Der Teleskoparm, auf dem nun alle Hoffnungen ruhen, ist erstaunlich dünn. Wie eine Angel sieht er aus, kann sich aber ganze 22 Meter ausstrecken, und dann fest zugreifen. Seit einigen Tagen wartet er auf dem Gelände von Fukushima Daiichi, der wohl berühmt-berüchtigtsten Atomkraftwerksruine der Welt, auf seinen Einsatz. Und nun bangt ganz Japan, ob dieser Roboter wohl seinen Auftrag erfüllt: Radioaktive Trümmer aus der Ruine schaffen. Damit im Nordosten Japans irgendwann wieder Normalität einkehren kann.
Am Donnerstag beginnt damit der wohl schwierigste Prozess beim Rückbau des seit fast eineinhalb Jahrzehnten havarierten Atomkraftwerks. Rund 880 Tonnen radioaktiv verstrahltes Material, das an den katastrophalen Tagen vom Frühjahr 2011 zuerst bei sehr hohen Temperaturen schmolz, später wieder abkühlte und zu fester Masse wurde, soll nun aus den Reaktoren entfernt werden
Wie groß die Nervosität im Land ist, offenbarte am Montag eine Bemerkung des eigentlich vorsichtigen öffentlichen Rundfunksenders NHK. Auf der Website hieß es: "Es wird mit Spannung erwartet, ob die geplante Bergung reibungslos über die Bühne gehen wird." Eigentlich sollte schon vor drei Jahren mit der Entfernung der Trümmer begonnen werden. Doch technische Probleme und die Pandemie erzwangen eine Verschiebung.
Als am 11. März 2011 plötzlich die Erde bebte
Jetzt soll alles ganz vorsichtig ablaufen. Der Teleskoparm wird allein eine Woche benötigen, ehe er sich vor Reaktor 2 entsprechend positioniert hat, um durch ein Rohr seine Fühler auszustrecken. Eine weitere Woche wird erwartet, bis er dann einige Milligramm der Trümmer geborgen hat, die auf Strahlungsstärke untersucht werden. Wo der Schrott langfristig aufbewahrt wird, ist noch nicht klar. Wie so vieles auf dieser Riesenbaustelle in Fukushima.
Vor mehr als 13 Jahren erlitt Japan die größte Katastrophe seiner jüngeren Geschichte. Am Nachmittag des 11. März 2011 rüttelte plötzlich die Erde im Inselstaat, besonders stark an und vor der Nordostküste. Am Epizentrum wurde die sehr seltene Stärke 9 gemessen. Häuser kollabierten, im Boden brachen Risse auf, und dann kam die Riesenwelle. Ungefähr 20 Meter war sie hoch, und als sie sich vor der Küste auftürmte, rannten Menschen um ihr Leben. Viele schafften es nicht. Rund 20.000 starben.
Aber der riesige Tsunami, der auf das enorme Erdbeben folgte, war noch nicht alles. In der Präfektur Fukushima wurden nicht nur ganze Siedlungen von der Welle verschluckt, sondern eben auch das Atomkraftwerk Fukushima Daiichi überschwemmt. Dort fiel die Stromversorgung aus, gefolgt vom Kühlsystem, woraufhin es in drei der sechs Reaktoren zu Kernschmelzen kam. Radioaktivität trat aus, in den Tagen und Wochen nach dieser Dreifachkatastrophe verloren Hunderttausende ihr Zuhause.
Viele Maßnahmen in Fukushima sind umstritten
Japans Regierung hat sich seither immer wieder bemüht, die Krise in Fukushima für kontrollierbar zu erklären. Aber die Realität sah oft anders aus. Experten beklagten dürftige Sicherheitsvorkehrungen für Aufräumarbeiter auf dem Kraftwerksgelände. Tepco, die Betreiberfirma des havarierten Atomkraftwerks und Japans größter Stromversorger, machte zur Lage vor Ort mehrmals Äußerungen, die später wie Lügen klangen. Personen, die aus Fukushima flohen, wurden anderswo stigmatisiert.
Ein Reputationsproblem entstand längst nicht nur innerhalb Japans. Diverse Länder verboten Lebensmittelimporte aus der Region, teils gar aus ganz Japan. Die USA und die EU haben dies nach Analysen der Radioaktivitätswerte wieder aufgehoben. In mehreren asiatischen Ländern bleiben die Exportstopps bestehen. Es ist wohl eine Antwort darauf, dass Japan seit 2023 das für die geschmolzenen Reaktorkerne verwendete Kühlwasser nach einem Filterprozess in den Ozean leitet. Wie sicher dies ist, bleibt umstritten.
Der gesamte Rückbau der Ruine soll offiziell bis 2051 dauern, sich also über 40 Jahre hinziehen. Aber dies scheint derzeit kaum noch zu schaffen sein. Schließlich musste schon die Bergung der Trümmer mehrmals verschoben werden, ist drei Jahre im Verzug. Wobei die Devise mittlerweile ohnehin scheint: lieber gründlich als schnell. Denn davon, wie sozial- und umweltverträglich der Rückbau in Fukushima funktioniert, hängt auch ab, wie sehr sich Japans Gesellschaft in Zukunft noch für die Atomkraft erwärmen kann.
Japan setzt weiter auf Atomkraft
Japans konservative Regierung setzt weiterhin auf die Atomkraft, die vor 2011 immerhin rund 30 Prozent des Stromverbrauchs im Land ausgemacht hatte und eigentlich auf einen Anteil von 40 Prozent steigen sollte. Danach aber brachen landesweite Proteste aus, die Mehrheit im Land war plötzlich gegen diese Energiequelle, die nicht mehr als sicher und bei genauerem Hinsehen auch nicht mehr als günstig galt. Vorübergehend wurden gar alle der gut 50 Reaktoren im Land vom Netz genommen.
Mit strengeren Sicherheitsvorkehrungen sind mehrere von ihnen heute wieder am Netz. Kontrovers bleibt die Rückkehr zur Atomkraft aber weiterhin. Auch deshalb ist das Vorhaben der Trümmerbergung nicht nur von großer technologischer, sondern auch politischer Bedeutung. Sollte es nicht gelingen, den hoch radioaktiven Schutt sicher zu entfernen, gerät die Regierung weiter in Erklärungsnot. Sowohl bei ihrer Beteuerung, Fukushima werde wiederaufgebaut, als auch bei der, die Atomkraft sei sicher.
