Eigentlich hätte aus Josef Winkler ein Pfarrer werden sollen. Durch die religiöse Erziehung habe man an ihm den Glauben aber kaputt gemacht, sagte der Autor einmal gegenüber dem ORF. Geworden sei aus ihm stattdessen eben ein literarischer Gotteslästerer. Zudem verriet er: "Ein Ziel von mir ist ja, exkommuniziert zu werden. Deswegen schreibe ich weiter."
Heftige "Nestbeschmutzer"-Vorwürfe hat dem Bauernsohn aus dem Dorf Kamering im Drautal die literarische Auseinandersetzung mit seinem Aufwachsen im dörflich und katholisch geprägten "wilden Kärnten" auf jeden Fall bereits des öfteren eingebracht. Sein wortgewaltiger Kampf gegen den früheren Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider und dessen politische Erben brachte ihn sogar ins Zentrum tagespolitischer Auseinandersetzungen.
Seine literarische Karriere begann der am 3. März 1953 Geborene, der zunächst verschiedene Berufe bekleidete, mit dem 1979 erschienenen Roman "Menschenkind". Dass ihm bereits mit seinem Debüt der Sprung "vom Misthaufen zu Suhrkamp" gelang, verdankt er Martin Walser, der damals das Manuskript an den renommierten deutschen Verlag empfohlen hat. Dem Suhrkamp Verlag ist Winkler bis heute treu geblieben. Gemeinsam mit den folgenden Büchern "Der Ackermann aus Kärnten" und "Muttersprache" gelang Winkler mit dieser "Das wilde Kärnten" genannten Trilogie nicht nur eine bemerkenswerte literarische Auseinandersetzung mit den Gespenstern und Schrecken seiner Kindheit, sondern auch die Möglichkeit, ab 1982 als freier Schriftsteller seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können.
Nicht nur für seinen Vater, dem er später das Buch "Roppongi. Requiem für einen Vater" widmete, war Josef Winkler zunächst der "Sauhund", der mit seinem nichts beschönigenden Schreiben vermeintlich Schande über die Familie und das Dorf brachte. In zahlreichen seiner Bücher steht der Vater auch im Mittelpunkt, ein prügelnder, familiärer Schrecken, der dem Sohn verboten hatte, Romane zu lesen. Seiner Beerdigung 2004 blieb Winkler fern und führte damit den letzten Befehl des Vaters aus: "Wenn ich nicht mehr bin, dann möchte ich nicht, dass du zu meinem Begräbnis kommst."
Für die Leser war Winklers von detailreichen Beschreibungen und mächtigen Bildern geprägte Sprache zwischen Alltag und Apokalypse jedoch eine Bereicherung. Persönlicher Schmerz, allgemeingültige Erfahrungen in einer zutiefst katholisch geprägten Gesellschaft (Winkler war acht Jahre lang Ministrant) und die Auseinandersetzung mit den "letzten Dingen" zwischen Tod und Leben, Himmel und Erde verbanden sich zu Büchern, die so poetisch wie realistisch, so faszinierend wie irritierend zugleich wirkten und sich rasch vom Stallgeruch der "kritischen Heimatliteratur" befreiten. Die Eroberung der Sprache in einer literatur- und bildungsfeindlichen Umgebung, inklusive wiederholtem Griff in die väterliche Brieftasche zum Bucherwerb, hat er oft beschrieben. Sein Aufwachsen habe ihm "einen ungeheuerlichen Stoff gegeben", meint Winkler.
Sein neues Buch "Lass dich heimgeigen, Vater oder Den Tod ins Herz mir schreibe" ist erneut eine lange Anklagerede, deren Motor Schmerz und Wut sind. Der Kärntner Dichter arbeitet sich darin aus neuer Perspektive an seiner Herkunft, am Dorf und der übergroßen Vaterfigur ab. Ausgangspunkt ist die Tatsache, dass der Kärntner SS-Massenmörder Odilo Globocnik nach seinem Zyankali-Freitod im Mai 1945 auf einem Gemeinschaftsfeld von Winklers Heimatdorf verscharrt wurde - in den "Sautratten", wo sein Vater und Großvater ihr Getreide anbauten und ernteten. Das Werk basiert auf dem gleichnamigen Theaterstück, das Winkler im Auftrag des Wiener Burgtheaters verfasste und welches am 10. November 2017 im Burgtheater-Kasino aufgeführt wurde. Das im Suhrkamp verlegte Werk erscheint am 12. März, präsentiert wird es am 15. März im Rahmen der Leipziger Buchmesse.
Winkler lebt heute mit seiner Frau in Klagenfurt, er hat einen 22-jährigen Sohn und eine 15-jährige Tochter. Die Universität Klagenfurt, an der er ab 1973 für einige Jahre in der Verwaltung tätig war und wo er heute als Lehrbeauftragter u.a. "Erkenntnis durch Kunst" zu vermitteln versucht, verlieh ihm 2009 das Ehrendoktorat. Zu den vielen Auszeichnungen wie dem spanischen Premio Lateral 2005, dem Großen Österreichischen Staatspreis 2007 und dem Georg-Büchner-Preis 2008, gesellte sich 2012 die Ernennung zum Präsidenten des Österreichischen Kunstsenats.
In zahlreichen Reisen und Auslandsaufenthalten von Rom bis Benares, von Mexiko bis Tokio, ließ er die daheim erlebte Provinzialität hinter sich und stieß doch auch in fernen Weltgegenden auf ähnliche Strukturen und Traditionen wie in der Heimat. Besonders tief geprägt hat ihn Indien, wohin er wiederholt gereist ist. Ob es sich um Leichenverbrennungen am Ufer des Ganges ("Domra" u.a.) oder das bunte Treiben auf einem römischen Markt ("Natura morte") handelt, immer werden in seinen Büchern Lebensfreude und Todeserfahrung, Blüte und Verwesung mit allen Sinnen erfahrbar.
"Ich habe nie für ein Massenpublikum geschrieben", bekennt der Autor, durch dessen Werk Jesus Christus wie Karl May, Jean Genet wie Hans Henny Jahn als Wegweiser dienen können. Winklers Bekenntnis, am liebsten lese er jene Bücher, "die ich mühsam entziffern, Satz für Satz erobern muss", lässt sich durchaus auch auf sein eigenes Schreiben anwenden. "Ich bin froh, dass ich meine Bücher geschrieben habe, kann aber nicht behaupten, dass ich sie - wenn ich sie nicht geschrieben hätte - auch unbedingt lesen möchte", bekannte Winkler einst im ORF-"Kulturmontag".