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Metsola: "Europäische Demokratie wird angegriffen"

EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola wertet die mutmaßliche Bestechung ihrer Vertreterin Eva Kaili als Angriff auf die europäische Demokratie. "Das Europäische Parlament, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird angegriffen, die europäische Demokratie wird angegriffen, und unsere Art der offenen, freien, demokratischen Gesellschaften wird angegriffen", sagte Metsola am Montag in Straßburg. Zugleich kündigte sie an, dass das Verfahren zur Absetzung Kailis eingeleitet werde.

Für Metsola sitzt der Schock tief
Für Metsola sitzt der Schock tief

Der österreichische EP-Vizepräsident Othmar Karas (ÖVP) erklärte am Montag in der ORF-ZiB 2, er sei wütend, weil Korruption "ein tödliches Gift" für Politik und Demokratie sei. Er sei froh, dass die mutmaßlichen Delikte aufgedeckt worden seien. Das zeige aber auch, "dass das System funktioniert". Dass Katar nach eigenen Angaben mit der Sache nichts zu tun habe, kann Karas nicht wirklich glauben. "Nach dem, was wir wissen, ist das schwer vorstellbar."

Dass EU-Länder jetzt geplante Geschäfte mit dem Emirat - etwa zur Beschaffung von Flüssiggas - platzen lassen sollten, stellte der ÖVP-Politiker vorerst in Abrede. Erst müssten einmal die Ermittlungen abgeschlossen und die Ergebnisse abgewartet werden. Es handle sich um ein "kriminelles Netzwerk", das einen Angriff auf die europäische Demokratie gestartet habe.

In Brüssel trieben die Ermittler ihre Arbeit unterdessen voran. Dabei durchsuchten sie am Montag auch Räume im EU-Parlament im Brüssel, wie die belgische Staatsanwaltschaft mitteilte. Es seien Daten von Computern von zehn parlamentarischen Mitarbeitern beschlagnahmt worden. Am Sonntag habe es zudem Razzien in Italien gegeben.

Insgesamt gab es den Angaben zufolge seit Beginn der Ermittlungen 20 Durchsuchungen - 19 in Büros und Wohnräumen sowie eine im Europaparlament selbst. Dabei wurden demnach 600.000 Euro bei einem Verdächtigen gefunden, mehrere Hunderttausend Euro in einem Koffer in einem Brüsseler Hotel sowie 150.000 Euro in der Wohnung eines EU-Abgeordneten, dessen Name nicht genannt wurde.

Metsola sprach angesichts der Enthüllungen von Wut, Zorn und Kummer, wegen der laufenden Ermittlungen müsse sie ihre Worte jedoch sorgsam wählen. Zu Beginn der letzten Plenarwoche des Jahres in Straßburg sagte sie am Montag: "Die Feinde der Demokratie, für die allein die Existenz dieses Parlaments eine Bedrohung darstellt, werden vor nichts Halt machen." Die Malteserin sprach von "bösartigen Akteuren, die mit autokratischen Drittländern in Verbindung stehen". Diese hätten angeblich unter anderem Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften und Mitglieder des Parlaments als Waffe eingesetzt.

Die griechische Sozialdemokratin Kaili ist eine von sechs Verdächtigen, die in dem Korruptionsskandal seit Freitag von den belgischen Behörden festgenommen wurde. Vier davon kamen am Sonntag in Untersuchungshaft - darunter Informationen der dpa und anderer Medien zufolge auch Kaili selbst sowie ihr Lebenspartner. Die Staatsanwaltschaft wirft Kaili und den anderen Verdächtigen vor, Entscheidungen im Europaparlament im Sinne des Golfemirats Katar beeinflusst zu haben. Dafür sollen sie Gegenleistungen wie hohe Geldsummen oder Sachgeschenke kassiert haben. Derzeit wird etwa auf EU-Ebene in Erwägung gezogen, die Visa-Regeln für Staatsbürger von Katar zu erleichtern.

Kaili selbst geriet am Montag weiter unter Druck. In ihrer Heimat Griechenland ließ die Anti-Geldwäsche-Behörde alle Vermögenswerte der 44-Jährigen einfrieren. Zugleich wurde ihre Absetzung vorangetrieben. Von ihren Pflichten als Vize hatte Metsola sie bereits entbunden.

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen zeigte sich bestürzt: "Die Vorwürfe gegen die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments sind sehr schwerwiegend." Metsola versicherte: "Es wird nicht unter den Teppich gekehrt." Sie kündigte unter anderem eine interne Untersuchung, Reformen in Sachen Transparenz und den Schutz von Whistleblowern im Parlament an.

Mit Blick auf den Gaslieferanten Katar und andere autokratische Staaten schloss Metsola ihr Statement mit dem Satz: "Wir würden lieber frieren, als gekauft zu werden."

Katar wies die Vorwürfe in dem Skandal dagegen entschieden zurück. Es sei haltlos, die Behauptungen darüber mit der Regierung in Doha in Verbindung zu bringen, teilte die EU-Vertretung in Brüssel mit.

Im Europaparlament wurde für Dienstag ein Treffen der sogenannten Konferenz der Präsidenten angesetzt - das sind neben Metsola die Vorsitzenden der Fraktionen. Sie sollen das Verfahren zur Absetzung der ehemaligen Fernsehmoderatorin Kaili als Parlamentsvize einleiten. Noch am Dienstag könnte dann das Plenum darüber abstimmen. Aus ihrer griechischen Pasok-Partei und der sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament wurde sie bereits ausgeschlossen.

Wie griechische Medien am Montag übereinstimmend berichteten, veranlasste der Chef der nationalen Anti-Geldwäsche-Behörde, Charalambos Vourliotis, wegen der Ermittlungen das Einfrieren von Kailis Vermögenswerten. Gleiches gilt demnach für ihre Eltern, ihre Schwester sowie ihren ebenfalls in Belgien verhafteten Freund. Untersucht würden Konten, Immobilienbesitz, Unternehmensbeteiligungen und ähnliche Vermögenswerte.

Die im Raum stehende Visa-Erleichterung für Katar dürfte es so bald nicht geben. Zwar hatte der zuständige Ausschuss Anfang Dezember seine Position festgelegt, jedoch verwies das Plenum angesichts der jüngsten Enthüllungen das Dossier am Montag zurück an den Ausschuss.

Für Viktor Orban ist der Korruptionsskandal rund ums Europaparlament eine gute Nachricht. Daran ließ der ungarische Ministerpräsident die Welt Montagfrüh genüsslich teilhaben. Auf Twitter teilte Orban, gegen dessen Regierung in Brüssel seit Jahren schwerste Korruptionsvorwürfe erhoben werden, ein ikonisches Foto, ein sogenanntes Meme: Zu sehen ist eine sich vor Lachen krümmende Männerrunde, der unter anderem der frühere US-Präsident Ronald Reagan und Vize George Bush angehören. "Und dann sagten sie, das Europaparlament sei ernsthaft besorgt über die Korruption in Ungarn", schrieb Orban zu dem Bild. Und: "Guten Morgen ans Europaparlament."