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Moldau - Land ohne Wiederkehrer

In der Republik Moldau wachsen 30.000 Kinder ohne Eltern auf. Sich um sie zu kümmern, fällt dem bitterarmen Land in Zeiten russischer Bedrohung schwer. Hilfe kommt aus Österreich.

Die Eltern sind weg: Großmutter Masha kümmert sich um ihre Enkel...
Die Eltern sind weg: Großmutter Masha kümmert sich um ihre Enkel...
...Ivan und Anton, hier im Concordia-Tageszentrum in Congaz.
...Ivan und Anton, hier im Concordia-Tageszentrum in Congaz.

Es gab Momente, da wurde es eng für Masha. Da stand ihr Leben auf der Kippe. Doch jetzt ist sie 68 Jahre alt und nichts und niemand kann sie mehr umhauen. Für Ivan (8) und Anton (7) ist das eine gute Nachricht. Schließlich haben sie ja nur ihre Oma. Sie hat sie großgezogen, sie schaut jetzt darauf, dass ihre Buben in die Schule gehen, dass sie etwas lernen. Um den Rest kümmert sich Masha. Dass es warm ist im Haus, dass genug Essen und zum Anziehen da ist. So viel man eben mit rund 250 Euro im Monat stemmen kann, in einem Dorf wie Congaz, im Süden der Republik Moldau, in der autonomen Region Gagausien. "So lange ich lebe, werde ich an ihrer Seite sein", sagt sie. Wie das geht, weiß sie. Masha hat fünf Kinder großgezogen. Auch das allein. Denn ihr Mann starb früh bei einem Autounfall. Sie hat kräftige Hände. Eine davon ist nicht ganz so beweglich wie die andere. "Als mein Sohn mir sagte, dass er mit seiner Frau das Land verlässt, erlitt ich einen Schlaganfall", erzählt Masha. Ivan und Anton waren da noch ganz klein. Arbeiten, Geld verdienen, ein besseres Leben führen als hier in der Republik Moldau, das wollen viele Menschen. Der Exodus ist beklemmend: Vor 30 Jahren hatte das Land noch 4,4 Millionen Einwohner. Jetzt sind es 2,4 Millionen. Darunter 30.000 Kinder, die ohne Eltern aufwachsen: Sozialwaisen. Und weitere 150.000, die ohne einen Elternteil auskommen müssen. Eine Trendumkehr ist bislang nicht gelungen. Immer noch verlassen Menschen zwischen 20 und 35 Jahren in Scharen ihre Heimat.

100 Kilometer nördlich sitzt Alexei Buzu in seinem Büro in der Hauptstadt Chisinau und brütet über dem, was er über alles liebt: Zahlen. Der 40-Jährige ist seit 2023 Arbeits- und Sozialminister. 36 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze, die Energiepreise hätten sich vervielfacht, dazu gelte es, 125.000 Geflüchtete aus der Ukraine in einen Arbeitsmarkt zu integrieren, der außerhalb Chisinaus nahezu inexistent ist. Was ihn besonders nervt sind Zahlen, die alt sind. Wie zum Beispiel jene: Als er anfing, gab es 3500 dokumentierte Fälle von Haushalten, die dringender Hilfe bedurften. "Jetzt haben wir schon 20.000. Und ich gehe von 60.000 aus." Buzu will ein neues Datenmanagement etablieren. Es soll zentral verwaltet werden. Dafür musste er den Oberhäuptern draußen in den 33 Regionen die Agenda entreißen. Viele Freunde hat er damit nicht gewonnen. Und 300 zusätzliche Sozialarbeiter will der Minister einstellen. Wie viel Zeit Buzu hat, weiß er nicht. "Darum muss alles so schnell wie möglich gehen." Nicht nur er, die gesamte Regierung unter Präsidentin Maia Sandu, steht mächtig unter Druck. Sandu wurde am 3. November im Rahmen einer Stichwahl wiedergewählt. Sie will ihr Land auf einen EU-Beitritt vorbereiten. Alexei Buzu fürchtet sich jedoch vor der Parlamentswahl im kommenden Jahr. Fake News, Propaganda und Wählerstimmenkauf hätten bereits den Wahlkampf um die Präsidentschaft 2024 bestimmt. "2025 wird es noch schlimmer", prophezeit Buzu. "Russische Kriminelle haben 300.000 Wähler gekauft. Sie wollen die Demokratie destabilisieren." Wer sein Kreuzerl beim pro-russischen Kandidaten Alexandr Stoianoglo machte, soll 70 bis 100 Euro erhalten haben. Vor allem in Gagausien dürfte die Rechnung aufgegangen sein. Da gab es Wahlsprengel, in denen Stoianoglo auf 98 Prozent der Stimmen kam.

Doch ausgerechnet dort, wo Sozialminister Buzu am meisten Gegenwind ortet, wird ihm auch die größte Unterstützung für seine Pläne zuteil, die sozialen Strukturen zu verbessern. Nur ein paar Gehminuten von Mashas Haus gellen fröhliche Kinderschreie, Musik dröhnt aus einem Lautsprecher. Es geht ausgelassen zu im Sozialzentrum der Concordia Stiftung. Die Hilfsorganisation aus Österreich ist die größte ihrer Art in der Republik Moldau mit insgesamt 44 Einrichtungen, von der Suppenküche bis hin zum multifunktionalen Tageszentrum für Kinder und Senioren. Solcher gibt es elf - eines davon in Congaz. Rund 60 Kinder machen dort nicht nur Hausübung, essen und spielen miteinander. Sozialarbeiterinnen und Psychologinnen leuchten sozusagen deren Zukunftsaussichten aus. Auch Ivan und Anton sind Dauergäste im Concordia-Zentrum. Ganz zur Freude ihrer Großmutter. Etwas gedämpfter ist die Stimmung bei Concordia-Vorstand Bernhard Drumel. Denn er kritisiert, dass finanzielle Hilfe aus Europa für Moldau zwar fließe, jedoch zu selten bei den Menschen ankommen: "Das Geld muss dafür verwendet werden, von Armut Betroffenen und Jugendlichen zu helfen, sich eine stabile Existenz im Land aufzubauen." Das reiche von Sozialhilfepaketen bis hin zur Schaffung attraktiver Berufschancen. Dies sei der einzige Weg, wie der Trend der Arbeitsmigration umgekehrt und die Zahl der Sozialwaisen reduziert werden könne. Drumel ist überzeugt: "Die kommenden Jahre werden entscheidend sein, ob sich das Land aus der Armutsfalle befreien kann."

Den SN liegt heute ein Erlagschein für Spenden an Concordia-Sozialprojekte in der Republik Moldau bei.