"Warum?", fragt Déri. "Weil die Pride nur ein Instrument der Woke-Kultur ist. Zuerst war es nur eine Parade, dann wurde es zum Pride-Monat, und jetzt gibt es fast jedes Jahr eine größere Pride-Veranstaltung." In einem weiteren Video spricht Déri davon, dass es bei der Pride nicht um Gleichberechtigung gehe: "Wenn ihr die Aufnahmen aus Wien gesehen habt, gibt es hier alle möglichen Abweichungen, sexuelle Fetische. Entschuldigung, aber so ist es nun mal. Es geht um alles, nur nicht um Gleichberechtigung." Auch der Influencer Tamás Korondy nutzt TikTok, um gegen queere Menschen Stimmung zu machen. In einem Clip reagiert er auf eine Transfrau, er verzieht sein Gesicht und streckt ablehnend die Hand in die Kamera.
Regierungsnahe Agentur trainiert Influencer
Beide Influencer sind Teil der ungarischen Medienagentur "Megafon". Die Agentur wirbt auf ihrer Website mit kostenlosen Trainings für "Meinungsführer". Auf der Website heißt es, das Ziel der Agentur sei es, "der Stimme der Rechten mehr Gewicht zu verleihen und der Dominanz des linksliberalen Mainstreams im Internet entgegenzuwirken". Auf TikTok, Instagram und YouTube verbreiten die "Megafon"-Influencer Inhalte, die sich eng an Viktor Orbáns Regierungslinie orientieren.
Szilárd Teczár, Chefredakteur der Fact-Checking-Organisation "Lakmusz", erklärt im Gespräch mit der APA, dass die Finanzierung von "Megafon" undurchsichtig sei. Zwar streite der Gründer der Agentur, István Kovács, finanzielle sowie formelle Beziehungen zu Parteien ab, allerdings vermuten Beobachter eine Finanzierung aus öffentlicher Hand: "Wir können ziemlich sicher davon ausgehen, dass das Geld von Geschäftsleuten stammt, die der Regierungspartei (Fidesz, Anm.) nahestehen, und dass es wiederum durch staatliche Ausschreibungen generiert wird, die diese Unternehmen begünstigen", führt Teczár aus. "Es handelt sich also um eine Art verdeckte Verwendung staatlicher Mittel, um diese Narrative zu fördern."
Teczár und sein Team bei "Lakmusz" versuchen, mit Faktenchecks gegen Desinformation vorzugehen. Für den Journalisten ist das Besondere an der ungarischen Medienlandschaft, dass die Regierung nicht nur das System beeinflusst, sondern selbst als einer der größten Treiber von Desinformation gilt. "Während solche Geschichten in anderen Ländern eher in sozialen Medien oder auf Nischen-Websites erscheinen, sind es in Ungarn vor allem die regierungsnahe Mainstream-Presse oder sogar die Politiker selbst." Somit verschwimme in Ungarn die Grenze zwischen politischer Propaganda und gezielt angewendeter Desinformation.
Zentralisiertes Mediensystem
Seit Viktor Orbáns zweitem Amtsantritt im Jahr 2010 sank Ungarns Pressefreiheits-Ranking von Platz 23 auf Platz 68. Ein Grund dafür ist, dass im Jahr 2018 fast 500 regierungsnahe Medien zur Mitteleuropäischen Presse- und Medienstiftung "KESMA" zusammengefasst wurden. Die Stiftung vereint TV-Sender, Radiosender, Tageszeitungen und Online-Portale, die aus zentral koordinierter Berichterstattung gespeist werden. Gábor Polyák, Jurist und Medienwissenschaftler an der Eötvös-Loránd-Universität in Budapest, kritisiert, dass sich damit in Ungarn ein zentralisiertes Mediensystem etabliert habe. Die Medien operieren fast vollständig mit öffentlichen Gelder und würden somit keine wirtschaftlichen Risiken kennen: "Sie bekommen das Geld ganz unabhängig davon, was sie leisten, wie viele Leute sie erreichen, welche Arbeit sie wirklich ausführen und wie die ökonomische Lage aussieht", sagt Polyák. Vor dem KESMA-Zusammenschluss wurden Medienunternehmen von Orbán-nahen Unternehmern aufgekauft und im Anschluss an die Stiftung weitergegeben.
Wie stark Propaganda und Desinformation ineinandergreifen, zeigte zuletzt eine Kampagne aus dem regierungsnahen Umfeld gegen die neue Oppositionspartei TISZA. In regierungsnahen Medien wurde behauptet, dass sie massive Steuererhöhungen plane. Als Quelle dafür diente ein nicht verifiziertes Dokument ohne Autor, dessen Ursprung sich kaum nachvollziehen ließ. Obwohl die Oppositionspartei erwiderte, dass sie im Gegenteil Steuersenkungen plane, verbreitete sich das Narrativ im ganzen Land.
Medienwissenschaftler: Systematische Strategie von Fidesz
Medienwissenschaftler Polyák sieht bei der Regierungspartei Fidesz eine systematische Kommunikationsstrategie. Die Regierung arbeitet laut ihm mit dem Prinzip der Feindbilder, um Unterstützung zu sichern: "Jeden Tag können wir uns fragen, wen hassen wir heute?" Zu den üblichen Verdächtigen, die die Regierung als Feinde porträtieren, zählt Polyák Migranten, NGOs, den liberalen US-Financier George Soros, Brüssel und LGBTQ+-Personen auf. "Fidesz ist viel-viel stärker in der Kommunikation als in der Regierung. Sie können viel besser reden, als zum Beispiel die Probleme von den Schulen, Universitäten und so weiter zu lösen", resümiert der Medienwissenschaftler. Solche Kampagnen, meint Polyák, sorgen dafür, dass politische Debatte von künstlich erzeugten Konflikten bestimmt werde. "Diese virtuellen Pseudothemen beherrschen die Öffentlichkeit", sagt er.
Gesetzesentwurf erschwert Arbeit unabhängiger Redaktionen
Der politisch gelenkten Medienlandschaft stehen nur wenige unabhängige Redaktionen gegenüber, wie etwa "Lakmusz". Viele von ihnen kämpfen laut Szilárd Teczár mit finanziellen Problemen. Im Mai dieses Jahres wurde zudem ein Gesetzesentwurf ins Parlament eingebracht, der die ausländische Finanzierung von NGOs, Medienunternehmen und anderen Organisationen einschränken könnte. Offiziell wird dies mit dem "Schutz der nationalen Souveränität" begründet. Sollte das Gesetz verabschiedet werden, könnte das für unabhängige Medienunternehmen wie "Lakmusz" bedeuten, dass ihnen die Finanzierung schlagartig entzogen wird.
Sowohl Polyák als auch Teczár arbeiten für das "Hungarian Digital Media Observatory", einer Anti-Desinformationsplattform, die in Teilen von der EU gefördert wird. Die Plattform bündelt die Arbeiten von Forschern, Fact-Checkern und Medienpädagogen. Auf die Frage, wie effektiv Polyák die Arbeit von HDMO einschätzt, antwortete der Jurist: "Wenn ich aufrichtig bin, ist es nicht sonderlich effektiv". Abseits des gesellschaftlichen Mehrwerts ihrer Arbeit gestalten sich die Herausforderungen in einem Mediensystem, in dem staatliche Einflussnahme über weite Teile den öffentlichen Diskurs dominiert, entsprechend groß.
Erschreckende, reale Auswirkungen der Regierungskampagne
Welche realen Auswirkungen die Kampagnen der Regierung gegen sexuelle Minderheiten auf die Bevölkerung haben, zeigt ein Fall, der sich am Budapester Stadtgericht im Jahr 2023 zugetragen hat. Medienberichten zufolge wurde ein Mann angeklagt, der zwei junge Frauen in einer Straßenbahn bedrohte. Da sie Händchen hielten, beschimpfte der Mann die beiden Frauen: "Was treibt ihr hier für eine Schwulensache? Ich schneide euch die Kehle durch, ich lasse euch ausbluten." Dabei bedrohte er sie mit einem etwa 9 cm langen Messer.
Während des Prozesses am Budapester Stadtgericht wurde der Täter von der Staatsanwaltschaft gefragt, ob er gleich reagiert hätte, wenn es sich um ein heterosexuelles Paar gehandelt hätte. Daraufhin entgegnete der Täter, dass Ungarn noch nicht an dem Punkt sei, an dem gleichgeschlechtliche Paare "solche Dinge" in der Öffentlichkeit tun könnten. Er gab an, dass es nicht gesund sei, wenn Kinder gleichgeschlechtliche Paare in der Öffentlichkeit sehen würden. Zuletzt verteidigte sich der Angeklagte mit der Linie der Regierung: "Viktor Orbán denkt ähnlich."
(Von Judith Kantner/APA aus Ungarn)
