Er ist als Vorstandschef seiner Firma gefeuert und vom Aufsichtsrat zurückgetreten. Die Oscar-Akademie hat ihn ausgeschlossen, die Vereinigungen der US-Produzenten (PGA) und Regisseure (DGA) haben entsprechende Verfahren eingeleitet. Harvey Weinsteins Karriere als Produzent scheint am Ende. Doch an Filmen der Weinstein Company (TWC) verdient der 65-Jährige weiter mit - und womöglich auch an zukünftigen Projekten.
Manche Filmfans diskutieren: Sollte Weinstein für seine mutmaßlichen sexuellen Übergriffe mit einem Boykott seiner Filme bestraft werden? Oder würde man damit die Falschen treffen?
"Boykottiert Weinsteins Filme", schreibt ein Leser im "St. Louis Post-Dispatch". Ein anderer fordert in der "Chicago Tribune" für die USA gar einen "kompletten und totalen Boykott aller Kinos von Küste zu Küste für ein Wochenende" oder gar für eine ganze Woche. Die Website "Mashable" dagegen merkt an: Man könne Kunst auch von einer Person trennen. Schließlich sind unzählige andere Menschen an Weinsteins Filmen beteiligt, darunter Schauspieler und Regisseure.
Wer dennoch gegen Weinstein ein Zeichen setzen wolle, dürfe sich seine aktuellen Filme weder im Kino anschauen noch ältere Titel auf DVD oder im Internet ausleihen oder seine TV-Serien gucken. Darunter wären aktuell etwa "Lion" um die Suche eines indischen Jungen nach seiner Familie und "Tulpenfieber" mit Christoph Waltz und Judi Dench.
Weinstein hat mit seiner früheren Firma Miramax außerdem Klassiker wie "Pulp Fiction", "Good Will Hunting" sowie die "Scream"- und "Kill Bill"-Filme produziert. Dank Vereinbarungen zur Gewinnbeteiligung könnte er bis heute an einigen oder all diesen Produktionen verdienen, andere Deals könnten nach all den Jahren erloschen sein. Die Weinstein Company antwortet bisher nicht auf Nachfragen rund um diese Verträge.
22 Prozent der Firmenanteile besitzt Weinstein dem Magazin "Vanity Fair" zufolge noch an TWC. Auch Einnahmen aus "Paddington 2" um den drolligen Bären mit Schlapphut und aus dem Horrorfilm "Polaroid", die im November beziehungsweise Dezember anlaufen, dürften also teils an Weinstein gehen. Dasselbe gilt für "The Current War" mit Benedict Cumberbatch, dessen November-Start nun auf ein unbestimmtes Datum im Jahr 2018 verschoben wurde. Auf große Auszeichnungen dürften diese Filme nicht hoffen.
Ein Investor ist derweil bemüht, das Unternehmen vor dem Abrutschen zu retten. Wie groß die Summe ist, die in die 2005 gegründete Firma gepumpt werden soll, verrät die Beteiligungsgesellschaft Colony Capital nicht. Doch nachdem der Streaming-Anbieter Amazon sowie Apple und Disney bei geplanten Projekten den Stecker gezogen haben, scheint TWC frisches Geld gut gebrauchen zu können. Sogar eine Übernahme aller oder wesentlicher Teile des Geschäfts durch Colony ist im Gespräch.
Bob Weinstein wirkt bemüht, sich vom älteren Bruder Harvey zu distanzieren, seinen eigenen Ruf zu retten und den einst gemeinsam gegründeten Laden allein über Wasser zu halten. Harvey sei "krank und verdorben" und überhaupt hätten die beiden in den vergangenen fünf Jahren nur rund zehn Mal persönlich miteinander gesprochen, zitiert ihn "Vanity Fair". Innerhalb der Branche wird sogar gemunkelt, ob Colony im Fall einer Übernahme nicht auch Bob Weinstein zur Tür bitten und die Firma umbenennen könnte. Denn die abstoßenden Vorwürfe dürften am Namen Weinstein noch lange haften bleiben.
Zu den "Big Six", also den sechs großen Filmstudios in Hollywood, zählt TWC nicht. Doch mit erfolgreichen Titeln wie "Django Unchained" und "Inglourious Basterds" von Quentin Tarantino, "The King's Speech" mit Colin Firth oder "Silver Linings" mischte TWC als sogenanntes "Mini-Major" stetig mit. Mit Blick auf den Marktanteil lag TWC mit 1,5 Prozent zuletzt immerhin auf dem achten Platz hinter Giganten wie Warner Bros., Universal, Buena Vista und 20th Century Fox.
Ob das in New York ansässige Unternehmen in den kommenden Wochen und Monaten dicke Aufträge aus der Film- und TV-Branche angeln kann, muss sich zeigen. "Einer der ersten hochkarätigen Dominosteine ist gefallen", schrieb "Entertainment Weekly", als der Streaming-Anbieter Amazon die Produktion einer mit Robert De Niro, Julianne Moore und Michael Shannon besetzten Serie absagte. Laut "Los Angeles Times" war allein für diese zwei Staffeln von Regisseur David O. Russell ein Budget von 160 Millionen Dollar (135 Mio Euro) vorgesehen.
Auch Apple ging nach den Vorwürfen auf Distanz zu Weinsteins Firma - zumindest vorerst. Eine als Biopic geplante Serie über Rock'n'Roll-Gigant Elvis Presley wurde ad acta gelegt, wie das Portal "Deadline" unter Berufung auf Eingeweihte berichtet. Und Disney strich Harvey Weinstein kurzum als Produzenten für "Artemis Fowl". Der Fantasy-Film nach der Romanserie des Iren Eoin Colfer soll im August 2019 erscheinen - als Produzent im Abspann dürfte nach der Causa Weinstein nun wohl jemand anders stehen.