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Weiße Südafrikaner erlernen Magie der schwarzen Heiler

Für schwarze Südafrikaner sind traditionelle Heiler selbstverständlich. Nun überschreiten immer mehr Weiße die kulturelle Grenze.

Weiße Südafrikaner erlernen Magie der schwarzen Heiler
Weiße Südafrikaner erlernen Magie der schwarzen Heiler

Die weiße Südafrikanerin Valerie Harvey hat als Kind plötzlich Stimmen gehört. Wahrscheinlich waren es die ihrer Vorfahren. Damit begann ihr langer Weg, eine traditionelle Heilerin zu werden - obwohl dieser Beruf eigentlich Schwarzen vorbehalten war. Weiße lehnten traditionell die Arbeit der sogenannten Sangomas mit Kräutern, Knochen-Orakel oder Tieropfern als Voodoo-Zeremonien oder schlicht als Unfug ab. Inzwischen wenden sich aber immer mehr weiße Südafrikaner von der Schulmedizin ab und suchen Rat bei der traditionellen afrikanischen Heilkunst.

Die 62-jährige Katholikin Harvey ist heute stolz darauf, zu einer wachsenden Gruppe weißer traditioneller Heiler zu gehören, die eine Brücke zwischen den beiden Kulturen schlagen. Sie lernte fast zehn Jahre lang von drei verschiedenen schwarzen Heilern unterschiedlicher Stammesherkunft. Sie erklärten Harvey den Geisterglauben, wie man mit Kräutern heilt und wie man mit einem Knochen-Orakel in die Zukunft sieht. Während eines mehrtägigen Initiationsrituals musste sie fasten, halluzinogene Substanzen zu sich nehmen, Pflanzenrauch inhalieren, sich übergeben und Einschnitte in ihre Haut ertragen.

Rund 80 Prozent aller Südafrikaner verlassen sich Experten zufolge für ihre medizinische Erstversorgung auf traditionelle Heiler. Dabei weiß niemand genau, wie viele der geschätzt 200 000 Heiler im Land inzwischen Weiße sind. Der Experte für traditionelle Medizin an der Universität von KwaZulu-Natal, Professor Nceba Gqaleni, geht von mehreren Hundert aus. Forscherin Annette Wozniak 2009 von der Universität Witwatersrand in Johannesburg schrieb schon 2009, es handele sich bei weißen Heilern um ein wachsendes Phänomen.

Seit 2007 legitime Praxis
Seit dem Ende des rassistischen Apartheid-Regimes in Südafrika vor zwei Jahrzehnten wird die traditionelle Heilkunde offiziell nicht mehr als primitiv oder böse angesehen. Ein Gesetz von 2007 erkennt die Praxis als legitim an. Jetzt soll ein Expertenrat die Qualifikation traditioneller Heiler prüfen und sie registrieren, erklärt Gqaleni, selbst ein Mitglied des Rates.

Harveys Weg zum Beruf als Heiler begann bereits in den 1960er-Jahren, in den finsteren Zeiten der perfiden "Rassentrennung" am Kap, als Kontakte zur schwarzen Kultur nicht vorgesehen waren. Die damals elfjährige Harvey erlebte merkwürdige Dinge: "Ich träumte von einem Vogel, den ich noch nie gesehen hatte. Ich hörte Stimmen. Ich hatte Magen- und Gelenkschmerzen, die Ärzte nicht erklären konnten." Viele schwarze Südafrikaner würden Harveys Erlebnisse als "Thwasa-Krankheit" beschreiben, ein Zeichen der Vorfahren, dass man zum traditionellen Heiler berufen ist. Als Harvey 19 war, kehrten die Symptome zurück.

"Eine Verkäuferin in einem Esoterikladen riet mir, einen Sangoma aufzusuchen," sagt Harvey. Für die meisten weißen Südafrikaner, die heute rund 8,5 Prozent der Bevölkerung ausmachen, wäre das undenkbar gewesen. Doch vor rund drei Jahrzehnten begann sie mit ihrer Ausbildung zur Heilerin, trotz großen Widerstands von Familie und weißen Freunden. "Einige Freunde meiner Mutter haben sich geweigert, noch mit ihr zu reden."

Eingaben kommen von Engeln
Jetzt arbeitet Harvey hauptberuflich als Heilerin. Anstatt von den Geistern der Vorfahren als ihrer Inspiration zu sprechen, geht die Katholikin einfach davon aus, dass ihre Eingaben von Engeln und Heiligen kommen. Die meisten ihrer Patienten sind Schwarze, für die sie vor allem Karten legt, um die Zukunft vorherzusagen.

Die traditionelle Alternative zur Schulmedizin wird inzwischen immer mehr anerkannt. Einige südafrikanische Arbeitgeber akzeptieren sogar Krankschreibungen von Heilern. Laut Gqaleni arbeiten immer mehr Sangomas auch mit Schulmedizinern zusammen. Die Heiler schicken Patienten mit schweren körperlichen Leiden zu den Ärzten, während die Ärzte den Heilern Patienten mit psychosomatischen Symptomen übergeben. Die zunehmende Akzeptanz erleichtert Weißen auch den Eintritt in den Beruf.

"Einige Schwarze trauen einem weißen Sangoma möglicherweise nicht," meint Gqaleni. Doch der schwarze Sangoma David Shilaluke aus Orange Farm in der Nähe von Johannesburg sieht darin kein Problem, es habe doch früher auch in Europa traditionelle Medizin gegeben, sagt er. Heiler Norman Nkambule pflichtet ihm bei: "Wir können uns nicht weigern, unser Wissen mit bestimmten Leuten zu teilen, nur weil sie weiß sind."