Hintergrund sind vermutlich Vorwürfe gegen die Ärztekammer und Krankenhäuser, welche die Karriere des Chirurgen weiter befördert hatten, obwohl er bereits einschlägig vorbestraft war. Der 74 Jahre ehemalige Chirurg war im Mai wegen Missbrauchs und Vergewaltigung von 299 zumeist minderjährigen Patienten zu 20 Jahren Haft verurteilt worden. Die Ärztekammer, die in dem Prozess als Nebenklägerin aufgetreten war, hatte dabei Bedauern über "Funktionsstörungen" in ihrem Bereich geäußert.
Die Staatsanwaltschaft betonte nun, dass zwischen verwaltungsrechtlicher und strafrechtlicher Verantwortung unterschieden werden müsse. "Manche wussten Bescheid und haben fahrlässig gehandelt, aber möglicherweise nicht vorsätzlich", sagte Staatsanwaltschaft Stéphane Kellenberger der Zeitung "Ouest-France".
Prozess für Betroffene zermürbend
Der Prozess gegen Le Scouarnec war für die Betroffenen zermürbend gewesen - auch, weil der Angeklagte keinerlei Reue oder Empathie zeigte. Seine Bitten um Verzeihung wiederholte er mechanisch, ohne erkennbare Gefühlsregung.
Dem Mediziner wurden 111 Vergewaltigungen und 189 sexuelle Übergriffe zur Last gelegt, die er pauschal gestand. Seine Opfer waren im Schnitt elf Jahre alt. Wie der Mediziner in seinen Tagebüchern notierte, verging er sich über 25 Jahre hinweg bei seiner Arbeit in verschiedenen Krankenhäusern an Buben und Mädchen unter dem Vorwand von Untersuchungen oder während sie unter Narkose standen.
Le Scouarnec war bereits 2004 wegen Besitzes von Kinderpornografie zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. Dies hatte seiner Karriere jedoch nicht geschadet. Die Staatsanwaltschaft ermittelt derzeit, ob es noch weitere Opfer gibt. Vor gut einer Woche war der 34 Jahre alte Anwalt von Le Scouarnec tot aufgefunden worden. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft handelte es sich um einen Suizid.
