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Wo aus dem Reichsadler eine Panther-Tätowierung wird

Ob Hakenkreuz oder einschlägige Symbole: Als Tattoo bleibt an Aussteigern oft ihre rechtsextreme Vergangenheit haften. Ein Studio schafft kostenlos Abhilfe. Die Warteliste ist lang.

Ein Panther überdeckt jetzt Reichsadler und Hakenkreuz auf Michaels Oberschenkel.
Ein Panther überdeckt jetzt Reichsadler und Hakenkreuz auf Michaels Oberschenkel.

Etwas zögerlich zieht Michael seine Jeans runter. Normalerweise vermeidet es der 37-Jährige, sich in der Öffentlichkeit umzuziehen. Zu groß ist die Scham über das, was zum Vorschein kommt: Auf seinem Oberschenkel prangt ein Reichsadler mit Hakenkreuz. Das Tattoo ist ein Überbleibsel aus einem dunklen Kapitel seines Lebens, als er mit Anfang 20 für vier Jahre Teil der rechtsextremen Szene war. Heute möchte er nichts mehr mit dieser Zeit zu tun haben.

Viel lieber wolle er sich darauf konzentrieren, seinen Sohn aufzuziehen, sagt Michael. "Ich bin viel lieber ein netter Mensch, statt andere zu hassen." Doch es gibt Hürden auf dem Weg zu einem normalen Leben. Als Gärtner müsse er sich jeden Tag in einer Sammelumkleide mit Kollegen umziehen und dabei geschickt sein Tattoo verbergen, erzählt er. Im Sommer trage er nur ungern kurze Hosen.

Das soll sich ändern. Deshalb steht Michael halb nackt im Tattoo-Studio On the Rocks in Siegen, wo er einen Termin für ein sogenanntes Cover-up-Tattoo hat. Das Studio ermöglicht ein Mal im Monat Aussteigern aus der rechtsextremen Szene, ihre alten Nazi-Tattoos übermalen zu lassen. Kostenlos.

Für Michael ist das eine große Chance: "Ich laufe jetzt seit über 13 Jahren mit diesem Tattoo auf dem Bein rum. Es ist ein ziemlich ekelhaftes Gefühl, damit weiterzuleben, wenn man diese Einstellung nicht mehr vertritt." Lange Zeit habe er keine Möglichkeit gesehen, das Tattoo überdecken zu lassen. "Die Tätowierer, die ich darauf angesprochen habe, haben mir immer so was zwischen 1500 und 2000 Euro aufwärts genannt. Ich verdiene halt nicht so viel, dass ich mir so was mal eben so aus dem Ärmel schütteln kann."

Deshalb sei er umso dankbarer für das Angebot von Studioinhaberin Lisa Meurer. Auch sie weiß, wie schwierig es für Betroffene ist, diesen Schritt zu gehen. "Viele schämen sich oder trauen sich nicht." Oft werde sie gefragt, ob das Angebot ein Witz oder wo der Haken sei, erzählt sie. Die Resonanz auf die Aktion sei bisher "unglaublich positiv": Ständig erhalte sie jetzt Anrufe mit unterdrückter Nummer. "Wir haben so viele Anfragen, dass wir schon ein Jahr Warteliste haben."

Mehr als ein Termin im Monat sei aktuell finanziell nicht drinnen. Denn jedes kostenlose Cover-up bedeute einen Ausfall von rund 600 Euro für das Studio. Beim letzten Aussteiger hätten sie aus einem riesigen Reichsadler auf der Brust eine große Eule gemacht, erzählt Meurer. Dafür seien gleich mehrere Sitzungen notwendig gewesen.

Die Idee für die Aktion hätte sie gemeinsam mit ihrem Partner, dem Tätowierer Luke, gehabt. Als Anfang 2024 eine Welle von "Demos gegen rechts" durch das Land schwappte, hätten sich die beiden gefragt: "Wie können wir einen Beitrag leisten, der tatsächlich etwas bewirkt, anstatt einfach nur irgendwo hinzugehen und den Mund aufzumachen und gegen eine Wand zu reden?" Angst vor Anfeindungen aus der rechten Szene habe sie keine. "Wir verurteilen ja niemanden aus der rechten Szene. Wir helfen lediglich den Leuten, die aus dieser Szene rauswollen und ein neues Leben wollen."

Eva Müller, Leiterin des bundesweiten Aussteigerprogramms Wendepunkt vom Bundesamt für Verfassungsschutz in Deutschland, betont, wie wichtig solche niedrigschwelligen Hilfsangebote seien. "Die erste große Hürde für Ausstiegswillige ist es, überhaupt in Kontakt zu treten. Ehemalige Rechtsextremisten befinden sich quasi im gesellschaftlichen Aus. Die haben dieses Stigma, Nazi zu sein, was es sehr schwer macht, Hilfe von außen anzunehmen."

Auch das Programm Wendepunkt bietet Ausstiegswilligen Cover-up-Tattoos an. Maßnahmen wie diese stehen laut Müller stellvertretend für eine grundlegende Veränderung in der Arbeit mit Aussteigern in den vergangenen Jahren: "Früher lag der Fokus sehr stark auf ideologischer Distanzierungsarbeit. Aussteiger bringen aber eine ganze Bandbreite an Problemen mit: psychische Erkrankungen, Sucht, prekäre finanzielle Verhältnisse oder zerrüttete Familien. Viele suchen einfach Halt, Anerkennung und Stabilität im Leben."

Die soziale Stabilisierung stehe heute an erster Stelle, "um Betroffenen auf dem Weg in ein neues Leben außerhalb des Rechtsextremismus zu helfen". Das Überdecken rechtsextremistischer Tattoos könne dabei ein wichtiger Schritt aus dem gesellschaftlichen Abseits in Richtung Reintegration sein.

Müller sagt, es seien oft persönliche Wendepunkte im Leben, die einen Ausstieg aus der Szene auslösten: Eine neue Beziehung etwa, ein Jobwechsel oder die Geburt eines Kindes. Michael erzählt, dass bei ihm neun Monate im Gefängnis zu einem Umdenken geführt haben. Wegen einer Geldstrafe habe er in Haft gemusst und dort keine Drogen mehr nehmen können. "In der JVA hatte ich das erste Mal über längere Zeit einen klaren Kopf, habe ziemlich vieles aus meinem Leben mal so Revue passieren lassen und konnte mich danach überhaupt gar nicht mehr damit identifizieren."

Nach etwa vier Stunden unter der Nadel haben sich Reichsadler und Hakenkreuz auf Michaels Oberschenkel in einen imposanten Panther verwandelt. "Ich bin froh, dass mein Sohn das nicht an mir sehen muss", sagt Michael.