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Sommerzeit einmal neu gedacht

Der Tagesrhythmus der Menschen orientiert sich am Sonnenaufgang. Wie dem die Zeitumstellung folgen sollte.

Es wird wieder an der Uhr gedreht, im Bild in der belarussischen Hauptstadt Minsk.
Es wird wieder an der Uhr gedreht, im Bild in der belarussischen Hauptstadt Minsk.

Ist es wirklich Zeit, an der Uhr zu drehen? Um die halbjährliche Zeitumstellung wird seit Jahren intensiv gerungen. Nun gibt es eine neue Idee: die Zeitumstellung selbst verschieben. Das erste April-Wochenende sei für die Umstellung im Frühjahr besser geeignet als der letzte Sonntag im März, sagen zwei spanische Forscher. Dann würden günstigere morgendliche Lichtverhältnisse für einen guten Start in den Tag erwischt.

Aus physiologischer Sicht wäre es zudem sinnvoll, die Sommerzeit in der EU Anfang statt Ende Oktober enden zu lassen. Starte die Sommerzeit zu früh, werde ein größerer Anteil der menschlichen Aktivitäten in die dunklen Morgenstunden verlegt, argumentieren die Forscher. Die Rückkehr zur Winterzeit sollte entsprechend erfolgen, bevor der Hauptaktivitätsbeginn vor Sonnenaufgang liege. In diesem Jahr werden die Uhren am 30. März, also von Samstag auf Sonntag, um eine Stunde vor- und am 26. Oktober wieder zurückgestellt.

"Über die Zeitumstellung wird falsch diskutiert"

Über die Zeitumstellung werde derzeit falsch diskutiert, sind Jorge Mira von der Universität von Santiago de Compostela und José María Martín-Olalla von der Universität von Sevilla überzeugt: Der Lebensrhythmus der Menschen werde dadurch in Bezug auf die Sonne keineswegs verschoben, sondern im Gegenteil werde durch die Umstellung der morgendliche Beginn aller Aktivitäten wieder an den Sonnenaufgang angepasst.

Die spanische Nationalversammlung habe diese Art saisonaler Anpassung bereits im Jahr 1810 vorgenommen. "Das soziale Leben wird einfach umorganisiert, weil die Länge des Tages im Sommer es ermöglicht, die Dinge am Morgen früher zu erledigen als im Winter", erklärte Martín-Olalla. "Das Problem ist, dass die Zeitumstellung nur noch mit Energieeinsparung in Verbindung gebracht wurde, obwohl es sich um einen natürlichen Anpassungsmechanismus handelt."

Tagesrhythmus orientiert sich am Sonnenaufgang

Der Tagesrhythmus orientiert sich am Sonnenaufgang. Das belegten aktuelle und historische Beispiele von Gesellschaften mit späterer Aktivität im Winter und früherer Aktivität im Sommer, entsprechend der synchronisierenden Rolle des Morgenlichts für unseren Körper. Eine Analyse von schwedischen Daten aus dem Jahr 1746 zum Beispiel zeige, dass die Menschen im Sommer dreieinhalb Stunden eher aufstünden als im Winter. Auch in tropischen Gesellschaften ohne Zugang zu künstlichem Licht lägen die Aufstehzeiten in der Regel in der Morgendämmerung, die Schlafenszeit in der Regel rund drei Stunden nach Sonnenuntergang, erklären Mira und Martín-Olalla. Der physiologische Tageszyklus des Menschen orientiere sich stets am Sonnenaufgang. Für Menschen, die halbjährlich sehr unter der Zeitumstellung leiden, hat das spanische Forscherduo einen Rat: rechtzeitig anpassen. Der Wecker könne, jeweils drei Wochen vor dem Termin beginnend, wöchentlich um eine Viertelstunde in Richtung der "neuen" Zeit verstellt werden.

Seit 1996 gilt EU-weit die Sommerzeit

Seit 1996 gilt die Sommerzeit EU-weit und beginnt jeweils am letzten Sonntag im März. Am letzten Sonntag im Oktober werden die Uhren wieder zurückgestellt. In der Fachzeitschrift "Open Science" der britischen Royal Society gehen Mira und Martín-Olalla nun auf die physiologischen und sozialen Grundlagen und Auswirkungen auf die Gesundheit ein. In den vergangenen Jahren hatte es eine Reihe von Studien zu Folgen der halbjährlichen Zeitumstellung gegeben, etwa zu mehr Verkehrsunfällen in den Tagen danach und Gesundheitsproblemen wie zeitweisen Schlafstörungen und kurz erhöhten Herzinfarktraten. Der größte Nachteil der Zeitumstellung seien solche mit den Übergangszeiten verbundenen Probleme, sagen auch die spanischen Forscher. Eine relevante Gefahr sei aber nicht zu erkennen. Der kurzfristige leichte Anstieg des Risikos für Unfälle oder Herzinfarkte sei gering verglichen mit dem Einfluss zahlreicher anderer Faktoren.

Analysen oft auf

Vielfach sei zudem die Methodik solcher Studien fraglich, schreibt das Forscherduo. Stellungnahmen und Analysen etwa von Chronobiologen oder Schlafmedizinern seien oft ausschließlich auf Nachteile fixiert und ignorierten die heute oft vergessenen positiven Aspekte eines näher am Sonnenaufgang liegenden Arbeitsbeginns. Bei der Forderung nach einem Ende der Zeitumstellung sei zudem zu bedenken, dass die Abschaffung weit schlimmere Folgen haben könnte als die Umstellung selbst: Mit der Umstellung auf die Sommerzeit gewännen die Menschen Tageslichtstunden für Freizeitaktivitäten, für Spaziergänge, Sport draußen oder ein paar Stunden am Strand - was Wohlbefinden und Gesundheit fördert. "Wenn der Tag gleichmäßig in Schlaf, Arbeit und Freizeit aufgeteilt ist, macht eine Stunde 12,5 Prozent der verfügbaren Freizeit aus."

In einstigen medizinischen Stellungnahmen zur saisonalen Sommerzeit sei das dringende Bedürfnis der Menschen nach mehr Licht, Luft und Sonnenschein betont worden, heißt es in der Studie. Die Sommerzeit in Italien zum Beispiel sei 1964 begleitet von Bemerkungen über die psychologischen Verbesserungen eingeführt worden. Menschen lieben lange Sommerabende.

Doch auch eine ewige Sommerzeit widerspreche der menschlichen Physiologie, erklärte Mira. Menschen brauchten das blaue Licht der Sonnenstrahlung, um wach zu werden. Letztlich sei eine Entscheidung zwischen ewiger Sommer- oder ewiger Winterzeit so, als ob man wählen wolle, auch im Winter Sandalen oder Stiefel im Sommer zu tragen.