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Gletscher schützt Gletscher nicht mehr lange vor Erwärmung

Direkt über Gletschereisflächen in Gebirgsregionen herrscht ein leicht anderes Mikroklima als in der Umgebung. Forscher sprechen davon, dass es eine Art lokale "Entkoppelung" gibt. Im Zuge der rapiden Klimaerwärmung zeigt eine Studie im Fachmagazin "Nature Climate Change" nun, dass pro Grad Celsius regionaler Lufterwärmung Bereiche direkt über Gletschern im Schnitt quasi nur um 0,83 Grad wärmer werden. Mit dem Eisrückzug verschwindet aber auch dieser leicht schützende Effekt.

Auf schmutzigen, verinselten Resteisflächen geht die Schmelze schnell
Auf schmutzigen, verinselten Resteisflächen geht die Schmelze schnell

Von den heimischen Gletscherflächen wird in den kommenden Jahrzehnten bekanntlich kaum mehr etwas übrig sein. Kaum mehr ein Jahr vergeht, in dem nicht Rekordschmelzen gemessen werden. Die vermeintlich permanenten Eisflächen in den Ostalpen sind dem Untergang geweiht. In anderen Weltregionen - vor allem jenen mit höher liegenden Gletschern - wird sich diese Entwicklung zwar verzögert und da und dort vielleicht etwas reduziert vollziehen, aber auch vermeintlich stabile Gletscher könnten schon auf dem Rückzug sein.

Suche nach Größe des Selbstkühlungseffekts

Das zeigte eine Forschungsgruppe von Gletscherforscherin Francesca Pellicciotti am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) in Klosterneuburg (NÖ) kürzlich im Fachjournal "Communications Earth & Environment" in Bezug auf eigentlich als sehr widerstandsfähig geltende Gletscher in Zentralasien. Unter der Leitung von Pellicciotti, ihrem ISTA-Kollegen Thomas E. Shaw sowie Co-Letztautor Benjamin Brock von der Northumbria University (Großbritannien) gingen die Forschenden nun der Frage nach, wie stark sich Gletscher sozusagen durch ihre eigene Existenz als Eiskörper von der menschgemachten Erderwärmung ein Stück weit entkoppeln.

Auf Basis von meteorologischen Daten, die direkt auf Gletschern und knapp daneben genommen wurden, kommen sie zu dem Schluss, dass die Bereiche knapp oberhalb der Eisfläche tatsächlich zu etwas weniger Erwärmung im Vergleich zur erweiterten Umgebung neigen. Der Selbstkühlungseffekt beträgt zur Zeit jedoch weniger als 0,2 Grad Celsius, heißt es in der Arbeit. Etwas stärker ist die Entkoppelung der Knapp-Über-Dem-Eis-Durchschnittstemperarturen demnach in wärmeren und feuchteren Regionen.

Europa bei Eigen-Kühleffekt schon am absteigenden Ast

Sieht man sich die weitere Entwicklung unter verschiedenen Klimaszenarien an, ist der relative Kühlungseffekt im Welt-Schnitt im aktuellen Jahrzehnt am größten. In den darauffolgenden Dekaden werden sich die noch vom Eis geprägten Flächen mit dem Schwinden selbiger in den Erderhitzungstrend in ihrer Region wieder einkoppeln - der Unterschied verschwindet zusehends. In Zentraleuropa - und damit auch über den österreichischen Gletschern - wurde der Höhepunkt des Eigen-Kühleffekts den Studienautoren zufolge bereits seit den frühen 2020er-Jahren überschritten.

Durch den in vielen gebirgigen Weltregionen noch bestehenden Effekt könne es sein, dass die Schmelze zumindest etwas langsamer vonstatten geht, als in manchen Klimaszenarien erwartet, meinen die Studienautoren. Gegen Mitte des Jahrhunderts ist es damit aber nahezu überall vorbei. Dann könnte es mitunter zu einem sich selbst verstärkenden Kreislauf kommen, in dem die Temperaturen auf Flächen, die kaum noch Eis bzw. nur noch stark verschmutzte, kleine Eisinseln aufweisen, vergleichsweise rasch ansteigen.

(S E R V I C E - https://doi.org/10.1038/s41558-025-02449-0)