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Interview zu Suizidassistenz wird vom Presserat geprüft

Diskussion zwischen Chefredakteure Klenk und Helmberger-Fleckl, Ethikerin Kummer, Journalistin Jungnikl-Gossy und Präventionsexperte Kapitany. Presserat befasst sich infolge mehrerer Beschwerden am Freitag mit dem Beitrag.

Der Publizist und ehemalige Lehrer Nikolaus Glattauer wählte Anfang September im Alter von 66 Jahren aufgrund einer Krebserkrankung den assistierten Suizid und gab vorab dazu ein Interview. Das wird nun vom Presserat geprüft.
Der Publizist und ehemalige Lehrer Nikolaus Glattauer wählte Anfang September im Alter von 66 Jahren aufgrund einer Krebserkrankung den assistierten Suizid und gab vorab dazu ein Interview. Das wird nun vom Presserat geprüft.

Nach der Veröffentlichung eines Interviews mit dem Publizisten Nikolaus Glattauer kurz vor dessen geplantem assistierten Suizid ist in Österreich eine ethische Debatte entbrannt. Fachleute aus Suizidprävention und Medien kritisieren insbesondere die Art der Darstellung im "Falter" und auf dem Newsportal Newsflix, zudem sorgen mehrere Beschwerden auch für eine Befassung des Presserates mit dem Interview noch diese Woche. Es habe an Ausgewogenheit gefehlt, alternative Sichtweisen wie etwa aus der Palliativmedizin seien nicht ausreichend berücksichtigt worden, zudem sei auch die Veröffentlichung kurz vor dem Todestermin ein problematischer "Thrill" erzeugt worden, hieß es in einem vom "Falter" (Mittwoch) veröffentlichten Expertengespräch.

Ethikerin kritisiert mediale Darstellung

Kritik an der medialen Darstellung des assistierten Suizids als "mutige Entscheidung" übte Susanne Kummer, Direktorin des Instituts für Medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE). Die Expertin warnte vor möglichen gesellschaftlichen Auswirkungen und stellte die Frage: "Was denken Menschen, die an Krebs erkrankt sind, die im Rollstuhl sitzen, wenn sie lesen, dass der assistierte Suizid ein würdevoller Tod sei? Sind sie deshalb feige?" Die Berichterstattung drohe einseitig ein Bild zu vermitteln, "dass nur der assistierte Suizid als würdevoll gelten kann - das halte ich für gefährlich".

Weiters bemängelte Kummer auch das Fehlen einer breiteren Perspektive auf Alternativen wie die palliative Betreuung: "Ich wünsche mir vom 'Falter'" eine Coverstory über Sterben in Würde in der palliativen Betreuung - auf fünf Seiten, mit YouTube-Video und in allen sozialen Medien. Das wäre für mich ausgewogene Berichterstattung", so die Ethikerin. Sie hoffe darauf, dass der "Falter" die Suizidprävention künftig so ernst nehme, dass die Zeitung dafür die nächstjährige Auszeichnung mit dem "Papageno"-Preis bekomme.

Kriseninterventions-Experte sieht falsches Signal

Auch Thomas Kapitany, Leiter des Kriseninterventionszentrums Wien, äußerte Bedenken hinsichtlich der möglichen gesellschaftlichen Signalwirkung. Die öffentliche Sichtbarkeit des assistierten Suizids dürfe nicht das Bild vermitteln, "dass das die Antwort auf die Angst vor dem Sterbeprozess sei". Vielmehr sei es notwendig, in der Berichterstattung auch "andere Wege aufzuzeigen, wie Menschen mit Leid, Angst und Krankheit umgehen können".

Kapitany wies zudem auf einen möglichen sozialen und ökonomischen Druck hin, dem insbesondere ältere und pflegebedürftige Menschen ausgesetzt sein könnten: "Es ist leider nicht von der Hand zu weisen, dass dies ein möglicher Faktor ist, warum Frauen öfter den assistierten Suizid wählen als Männer." Kritisch sah der Psychiater und Psychotherapeut außerdem Glattauers Formulierungen im Interview. Dass er "nahezu launig" über die Zustände in der Palliativmedizin gesprochen habe, könne ein "verzerrtes Bild" erzeugen.

Doris Helmberger-Fleckl, Chefredakteurin der Wochenzeitung "Die Furche", kritisierte den Zeitpunkt der Veröffentlichung. Die mediale Inszenierung kurz vor dem Todestag habe "alle in einen Thrill hineingezogen, in eine Mischung aus Bewunderung und Entsetzen". Fehlende Multiperspektivität habe dazu geführt, dass andere Formen des Sterbens, etwa im Hospiz, im Bericht kaum zur Sprache gekommen seien. Auch sei unklar geblieben, ob alle Beteiligten - darunter auch die behandelnde Ärztin - über die geplante Veröffentlichung ausreichend informiert gewesen seien.

Tabuthema Sterben bleibt heikel

"Falter"-Chefredakteur Florian Klenk verteidigte hingegen seine mediale Vorgangsweise als den journalistischen Gesetzen entsprechend und warf seinerseits dem für Lebensschutz zuständigen Bischof Hermann Glettler "Bevormundung, Einmischung und Abwertung" vor für dessen Aussage, er hätte Glattauer gerne "Bitte mach das nicht" gesagt sowie für dessen Kritik an einer erfolgten "öffentlichen Zurschaustellung" des Suizids. Glattauer habe selbst den Wunsch geäußert, seine Entscheidung öffentlich zu machen, um Tabus zu lüften und eine gesellschaftliche Debatte anzustoßen, argumentierte der Chefredakteur.

Klenks Aussagen, ein Nachahmungseffekt ("Werther-Effekt") sei bisher nur bei Medienberichten über gewaltsame Suizide, nicht jedoch bei assistierten Suiziden nachgewiesen, zudem könne Wissen über letztere die Zahl ersterer verringern, trafen auf Widerspruch: Schweizer Zahlen zeigten, dass derartige Behauptungen bloß Mythos seien, zudem fehle es in Österreich an wissenschaftlicher Begleitung zur Suizidassistenz, kritisierte IMABE-Direktorin Kummer. Kapitany merkte an, der Leitfaden für suizidpräventive Berichterstattung sei mittlerweile auch über assistierten Suizid ausgeweitet worden; dieser mache zwischen beiden Todesarten keinen Unterschied, ergänzte Helmberger-Fleckl.

Einigkeit signalisierten die Diskutanten über die Notwendigkeit, die Sprachlosigkeit rund um das Thema Tod und Sterben zu beenden. Die Autorin Saskia Jungnikl-Gossy sah einen "Gesprächsraum eröffnet" durch die Berichterstattung. Die Lüftung von Tabus sei auch im Interesse der Suizidprävention, bemerkte Kapitany, da sie Menschen Ängste nehmen und sie dabei ermutigen könne, Hilfe zu suchen. Wichtig sei dabei jedoch immer die Ausgewogenheit in der Berichterstattung. Positiv sei auch, wenn nun über "Mängel im System" diskutiert werde, die auch Glattauer angesprochen hatte. Derzeit rede nur jede vierte Pflegekraft mit ihren Patienten über das Sterben, bemerkte dazu Kummer, während Helmberger-Fleckl auf das Tabu der "Übertherapie" in der Intensivmedizin wies. "Der Tod wird als Feind gesehen, Sterben zu lassen muss man da erst lernen."

Presserat berät über das Vorab-Interview

Seitens des Presserats hieß es am Mittwoch auf Anfrage von Kathpress, dass sich der Senat am Freitag mit dem umstrittenen Glattauer-Interview befassen werde. Grund dafür seien mehrere eingegangene Beschwerden. Ob der Presserat eine Stellungnahme abgeben oder ein Verfahren gegen den Falter einleiten wird, sei derzeit noch offen.