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ORF-Funkhaus: "Dieses Haus atmet Geschichte"

Jahrzehntelang war das ORF-Funkhaus in Wien eine Institution. Jetzt zieht auch Ö1 in den Mediencampus auf dem Küniglberg. Zeit für einen Lokalaugenschein und Erinnerungen.

Der Haupteingang zum Funkhaus Argentinierstraße 30a.
Der Haupteingang zum Funkhaus Argentinierstraße 30a.
Mondänes Foyer, Teppich und Beschriftung mal abgesehen.
Mondänes Foyer, Teppich und Beschriftung mal abgesehen.
Eine Uhrzeit mit Symbolkraft.
Eine Uhrzeit mit Symbolkraft.
Reizvolle architektonische Lösungen im Bau von Heinrich Schmid, Hermann Aichinger und Clemens Holzmeister.
Reizvolle architektonische Lösungen im Bau von Heinrich Schmid, Hermann Aichinger und Clemens Holzmeister.
Ein Haus mit einer markanten Fassade.
Ein Haus mit einer markanten Fassade.
Bei dieser Tafel stehen Änderungen an.
Bei dieser Tafel stehen Änderungen an.
Das Riesenohr wurde zum Wahrzeichen.
Das Riesenohr wurde zum Wahrzeichen.
Vorentwurf von Schmid&Aichinger aus dem Jahr 1935.
Vorentwurf von Schmid&Aichinger aus dem Jahr 1935.
So sah das Gebäude zur Fertigstellung 1938 aus.
So sah das Gebäude zur Fertigstellung 1938 aus.
Bald kommen die Umzugtransporter.
Bald kommen die Umzugtransporter.
Kaffeehausatmosphäre im Medienzentrum.
Kaffeehausatmosphäre im Medienzentrum.

Für Multimediakünstler André Heller ist das Wiener Funkhaus "eine Art intellektueller Ventilator zur Durchlüftung Österreichs". Kabarettist Erwin Steinhauer neigt zu Poesie, wenn er an das Haus in der Argentinierstraße 30a denkt: "Im Funkhaus liegt Goldstaub in der Luft." Und für Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek ist das Funkhaus "so ein Zentrum, das nicht aufgegeben werden darf, wenn man etwas mitzuteilen hat". Allein: Jetzt ist es so weit, der ORF verlässt das 1935 bis 1939 erbaute legendäre Gebäude; in einer Woche fahren die Umzugtransporter für den Sender Ö1 auf. Die ORF-Radiozukunft findet im Mediencampus auf dem Küniglberg statt.

Die Abwanderung hatte 1996 mit dem Auszug von Ö3 begonnen, 2019 verabschiedete sich FM4. Dass nun auch Ö1 dem Funkhaus den Rücken kehrt, führt bei gar nicht so wenigen zu nostalgischen Reminiszenzen. Etwa bei Roland Adrowitzer, der von 1983 bis 1986 für "Innenpolitik Radio" gearbeitet hatte. "Es war ein ehrfurchtgebietendes Erlebnis, da hineinzugehen, dieses Haus atmet Geschichte", erzählt der 65-jährige Salzburger im SN-Gespräch. Es habe damals ein unglaublich familiäres Treiben in dem nach Plänen von Heinrich Schmid und Hermann Aichinger und unter Mitarbeit von Clemens Holzmeister errichteten Gebäude gegeben: "In der Kantine ist man abends noch lange bei ein paar Spritzern zusammengesessen und hat über Gott und die Welt geredet." Radio sei damals gänzlich anders, vor allem kommunikativer gewesen: "Man hat viele Menschen in der Produktion gebraucht, es gab noch Hörfunkcutterinnen, bisweilen hat man den Text einer Sekretärin diktiert und es gab wunderbare Tonmeister. Heute sitzt jeder allein im Kammerl, nimmt digital auf und versendet das dann."

Lokalaugenschein an der Adresse Argentinierstraße 30a: Im denkmalgeschützten Hauptstiegenhaus führt der Lichteinfall in Kombination mit dem Geländer aus Aluminium zu reizvollen Schattenspielen, unweit des immer noch mondän wirkenden Foyers rollen Fotos die wechselvolle Geschichte des Hauses auf. Zu sehen ist etwa ein Vorentwurf aus dem Jahr 1935 oder das 1938 mit der Hakenkreuzfahne geschmückte Gebäude. 1945 beschädigten Bomben das Haus schwer, die letzte Sendung des Reichssenders Wien ging am 6. April 1945 über den Äther. In den 1980er-Jahren erfuhr das Gebäude eine Erweiterung: Gustav Peichl entwarf die Pläne für einen Zubau, von wo aus der Aktuelle Dienst seine Journale sendete.

Heute sind Teile des Hauses eine Baustelle, so auch das 1997 von Adolf Krischanitz gestaltete Radio-Café, das im Mai 2023 wieder öffnen soll. In den Funkhausgängen ist es ruhig geworden, man schnappt Sätze wie diese auf: "Wie lang seid ihr noch da? Alles Gute zum Abschied!" Die Rhomberg Holding will heuer erste Wohneinheiten im Funkhauskomplex eröffnen, später soll das Ambiente ein "lebendiges Viertel", bestehend aus Wohnen, Gastronomie und Kultur, werden. Denn: Das ORF-Radio-Symphonieorchester verbleibt ebenso wie das Radio-Kulturhaus.

Was ist hier nicht alles passiert? Aus dem großen Sendesaal, in dem heute nur noch einzelne Livesendungen stattfinden, wurden weiland populäre Sendungen wie "Autofahrer unterwegs" oder "Was gibt es Neues?" von Heinz Conrads live übertragen. Auch Moderator Heinz Fischer-Karwin startete hier mit der Sendereihe "Aus Burg und Oper". Später sind an diesem Ort unter anderem die Musiker Nikolaus Harnoncourt und Friedrich Gulda aufgetreten, Patti Smith, Nick Cave und Peter Weibel mit seinem Hotel Morphila Orchester gaben eindrückliche Konzerte. Freilich säumten auch unzählige Politikerinnen und Politiker, Wissenschafterinnen und Wissenschafter jahrzehntelang das Funkhaus Wien. Hausintern war im Zusammenhang mit dem Repräsentationsbau des Ständestaats und dessen Archivschatz immer wieder von einer "Art akustischer Nationalbibliothek Österreichs" die Rede.

Von den SN zu der Übersiedelung befragt, hatte ORF-Radiodirektorin Ingrid Thurnher vor einigen Monaten gemeint: "Wir werden eine großartige Arbeitsumgebung haben, ich freue mich total darauf. Ich weiß, dass nicht alle das so sehen, aber ich denke, das neue Arbeitsumfeld wird überzeugen."

Das glaubt auch Roland Adrowitzer, der die Entscheidung, auf den Küniglberg zu wechseln, nachvollziehen kann. Nachsatz: "Aber etwas nostalgisch darf man sein." Adrowitzer versteht "alle Leute sehr gut, die sich hier wohlgefühlt haben", sagt er, der einst im Landesstudio Salzburg als Radiomann begonnen hat. Das Medium habe ihn immer fasziniert, weil es "ganz stark die Fantasie anregen kann". Der 65-Jährige zitiert einen Kalauer von anno dazumal: "Radio geht ins Ohr, Fernsehen ins Auge."