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Technologie ist nicht neutral, sie gestaltet Zukunft

Christiane Varga, Zukunfts- und Trendforscherin, schreibt in ihrem Gastkommentar, wie große Tech-Konzerne und Künstliche Intelligenz eine mögliche Zukunft entwerfen.

Christiane Varga
Lehrkräfte, Schülerinnen, Schüler und künstliche Intelligenz (Englisch: AI): „Dream-Team“ in heimischen Klassenzimmern?
Lehrkräfte, Schülerinnen, Schüler und künstliche Intelligenz (Englisch: AI): „Dream-Team“ in heimischen Klassenzimmern?

Die großen Techkonzerne des Silicon Valley entwerfen keine neutralen Technologien, sie entwerfen mögliche Zukünfte. Und sie tun das mit Heilsversprechen, die religiöse Züge tragen: ewiges Leben durch künstliche Intelligenz oder die Rettung der Menschheit durch eine digitale Hyperintelligenz. Innovation wird zur Erlösung.

Besonders deutlich zeigt sich das im Trend zur Longevity, einem aktuellen Ableger des alten Menschheitstraums von der ewigen Jugend: Das Altern, ja der Tod, gilt als technisches Problem, das gelöst werden kann. Menschliche Hybris in Reinform, der man fast schon mitfühlend begegnen könnte, wären ihr nicht die reichsten und damit mächtigsten Männer der Welt anheimgefallen.

Peter Thiel, Mitgründer von PayPal, investiert seit Jahren in Start-ups, die radikale Lebensverlängerung erforschen. Auch Sam Altman (OpenAI) und Mark Zuckerberg verfolgen mit Millionenprojekten das Ziel, Krankheiten abzuschaffen oder zumindest aufzuschieben. Die Chan Zuckerberg Initiative will "alle Krankheiten bis zum Ende des Jahrhunderts heilbar machen". Was als Philanthropie daherkommt, ist Ausdruck eines Weltbilds, in dem Leid und Endlichkeit wie Softwarefehler erscheinen. Eines Weltbilds, in dem der Mensch sich die Zukunft, ja das Leben selbst, komplett untertan machen kann. Die Psychologie spricht von Gottkomplex.

Das große Problem ist außerdem, dass sich diese Entwicklungen auch auf das Leben von Menschen auswirken, die sich gar nicht für diese Themen interessieren. Auf unser aller Leben. Denn die bekannten Plattformen wie Meta, Google, Amazon oder ChatGPT agieren in ihren Strukturen bereits wie digitale Fürstentümer. Sie kontrollieren Märkte, Kommunikationswege und kulturelle Codes. Sie verteilen Sichtbarkeit und Reichweite über ihre Algorithmen an all jene, die sich ihren Spielregeln fügen.

Was in Kalifornien entschieden wird, hat Auswirkungen auf Europa, Österreich, ja Salzburg. Algorithmen steuern, welche Inhalte Schülerinnen und Schüler im Netz sehen, wie Wohnraum bewertet wird oder an welcher Stelle Mobilitätsdaten erhoben werden. Die globalen Entscheidungen haben also lokale Folgen. Freilich ohne demokratisch legitimiert zu sein. Wer Kritik übt, wird unsichtbar gemacht und findet auf der digital vernetzten Weltbühne keine Beachtung mehr. Der Datenspezialist Christopher Wylie deckte 2018 den Cambridge-Analytica-Skandal auf und wurde sogleich sowohl digital blockiert als auch öffentlich diskreditiert, vor allem von Facebook. Er plädiert schon lange für eine systemische Regulierung der Konzerne. Sein logisch-einprägsames Beispiel: Der Flugverkehr wird ebenfalls global reguliert, keiner käme auf die Idee, das den einzelnen Fluggesellschaften zu überlassen. Wieso können hingegen Techkonzerne unreguliert Schäden wie Täuschung, Falschinformation und Manipulation verursachen?

Was wir brauchen, ist eine neue kulturelle und politische Alphabetisierung: eine Sprache für diese neuen Machtstrukturen. Eine Fähigkeit, Ideologie hinter Innovationsrhetorik zu erkennen. Und ein klares Bewusstsein dafür, dass Technologie immer auch eine Vision von Gesellschaft transportiert.

Der erste Schritt ist deshalb das Sehenlernen: das Anerkennen dieser neuen Strukturen. Der zweite Schritt: eine Sprache finden für das, was geschieht und was sich daraus entwickeln könnte. Denn nur wer versteht, wo er gerade steht, kann den Weg in eine wünschenswertere Zukunft einschlagen.

Christiane Varga ist Zukunfts- und Trendforscherin mit Schwerpunkt auf gesellschaftlichem Wandel, urbaner und regionaler Entwicklung und der Frage: Wie wollen wir in Zukunft leben - gemeinsam und sinnstiftend?