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2384 gepeinigte Heimkinder klagen an

Der Weiße Ring legte einen erschütternde Abschlussbericht über Opfer in Kinderheimen der Stadt Wien vor. Gewalt gab es auch noch in den 1990er Jahren.

2.384 Betroffene erhielten finanzielle Hilfeleistungen
2.384 Betroffene erhielten finanzielle Hilfeleistungen

Neun Jahre lang haben die Stadt Wien und die Opferschutzorganisation Weißer Ring versucht, das Unrecht, das Kindern in Wiener Heimen angetan wurde, zu erfassen. Am Mittwoch wurde der Abschlussbericht veröffentlicht. Er ist erschütternd. Die Zahl der Meldungen, im Untersuchungszeitraum von 1945 bis 2000 Opfer von Gewalt geworden zu sein, überstieg alle Erwartungen um ein Vielfaches. Insgesamt 2384 Betroffene erhielten finanzielle Hilfeleistung. War man beim Magistrat ursprünglich von einem Budgetbedarf von zwei Mill. Euro ausgegangen, so mussten schließlich für Entschädigungen und Psychotherapie 52,5 Mill. Euro aufgewendet und auch die Meldefrist mehrfach verlängert werden.

"Die Opfer haben Unfassbares erlebt, es ist unsere Pflicht als Stadt, unsere Verantwortung wahrzunehmen, geschehenes Unrecht ohne Relativierung anzuerkennen und uns dafür aufrichtig und zutiefst zu entschuldigen", sagte Bürgermeister Michael Ludwig. "Es handelt sich hier um ein Kapitel in der Geschichte unserer Stadt, das nie hätte geschrieben werden dürfen", ergänzte Jugendstadtrat Jürgen Czernohorszky.

Die Übergriffe erfolgten nicht nur in den Nachkriegsjahren bis in die späten 1970er Jahre. Der jüngste Entschädigte wurde 1996 geboren und ist heute 23 Jahre alt. Das älteste Opfer, das sich an die Opferhilfeeinrichtung wandte, wurde 1927 geboren. Insgesamt 160 Personen (sieben Prozent aller registrierten Opfer) sind nach 1980 zur Welt gekommen und wurden somit in jüngerer Vergangenheit zu Opfern. "Es gab gewalttätige Übergriffe bis in die 90er Jahre hinein. Bedauerlicherweise haben die Heimreformen der 1970er Jahre nicht so schnell gewirkt, wie man sich das vorgestellt hat. Auch die Betreuer haben sich nicht von heute auf morgen geändert", sagte Josef Hiebl, stellvertretender Leiter der Kinder- und Jugendhilfe.

Johannes Köhler, Leiter der Wiener Kinder- und Jugendhilfe, erklärte:"Es ist für uns heute schwer zu verstehen, wie unsere Institution, die dem Kinderschutz verpflichtet ist, so vielen Kindern und Jugendlichen so unfassbares Leid zufügen konnte. Unverständlich ist, wie in der Nachkriegszeit die Aufsichtsmechanismen derart versagen konnten."

Die mit Abstand schlimmsten Heime, weil von den Betroffenen häufigsten genannt, waren Eggenburg und Wilhelminenberg. Aber auch Biedermannsdorf, Hohe Warte sowie die Privatheime Hütteldorf, Pitten und Wienersdorf waren Hotspots des Missbrauchs. Insgesamt betrieb die Stadt Wien in den 1970er Jahren 17 eigene Heime und 34 private Träger (vor allem der Kirche) betrieben im Auftrag der Kinderhilfe Häuser in Wien und Niederösterreich. Während das Kinderheim Wilhelminenberg bereits 1977 geschlossen wurde, wurde Eggenberg erst 2013 aufgelöst.

Mehr als die Hälfte aller Heimopfer, insgesamt 1329 Personen, wurde zudem eine monatliche Heimopferrente von zuletzt 306,60 Euro (2018) zuerkannt. Die Zusatzrente steht auch Heimopfern zu, die eine der Invaliditätspension vergleichbare Leistung wie Reha-Geld erhalten bzw. die wegen einer Behinderung arbeitsunfähig sind.

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