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Amoklauf in Graz: Mutmaßlicher Täter für Bundesheer psychisch untauglich, hatte Leidenschaft für Ego-Shooter

Zwei Tage nach dem Amoklauf eines 21-Jährigen in seiner ehemaligen Schule in Graz lichten sich die Nebel um die offenen Fragen nur langsam. Die Polizei fand bei einer Hausdurchsuchung einen minutiösen Ablaufplan zur Tat. Eine der ermordeten Lehrerinnen soll er persönlich gekannt haben. Bei der Musterung war er auf Grund psychischer Instabilität untauglich.

Spuren am Tatort werden weiter gesichert
Spuren am Tatort werden weiter gesichert

Bei einer Pressekonferenz berichtete der Grazer Staatsanwalt Arnulf Rumpold am späten Vormittag vom aktuellen Ermittlungsstand. Aus derzeitiger Sicht gehe man von folgendem aus: Am Dienstag betrat ein 21-Jähriger ehemaliger Schüler mit zwei Waffen, die er legal besaß, das Schulgebäude. Der mutmaßliche Täter war bisher strafrechtlich unauffällig. Bei einer Hausdurchsuchung habe man noch am Dienstag eine Rohrbombe, Datenträger, einen Abschiedsbrief und ein entsprechendes Video sichergestellt. Die Staatsanwaltschaft hat ein Ermittlungsverfahren wegen mehrfachen und versuchten Mordes eingeleitet. Der mutmaßliche Täter ist tot.

Michael Lohnegger, Leiter des Landeskriminalamt Steiermark, gab anschließend einen Einblick in den aktuellen Ermittlungsstand. Über den mutmaßlichen Täter ist bisher bekannt, dass er eine berufliche Ausbildung absolvierte. Er wohnte mit seiner alleinerziehenden Mutter in Graz zusammen und besuchte an der betroffenen Schule die fünfte und sechste Klasse. Die sechste Klasse wiederholte er einmal, brach die Schule vor drei Jahren dann ab. Polizeilich sei er nie in Erscheinung getreten, betonte auch Lohnegger.

Mutmaßlicher Täter rüstete sich auf Toilette professionell aus

Auch über den zeitlichen Ablauf der Tat gibt es inzwischen neue Erkenntnisse.

Um 9.43 Uhr soll der mutmaßliche Täter am Dienstag die Schule über den offiziellen Eingang betreten haben. Die Waffen, soll er in einem Rucksack bei sich geführt haben. Zu diesem Zeitpunkt hätten sich 350 bis 400 Schülerinnen und Schüler im Gebäude befunden. Der junge Mann habe sich dann zunächst ins dritte Obergeschoss begeben und dort die Toilette aufgesucht. Dort stattete er sich professionell aus. Er soll einen Waffengurt mit Jagdmesser angelegt haben, ebenso eine Schießbrille und ein Headset. Mit zwei Waffen verließ er die Toilette und führte ab 9.57 Uhr ungefähr sieben Minuten lang den Amoklauf in der Schule durch. Die ersten Schüsse wurden im zweiten Obergeschoss abgegeben - scheinbar auf wahllose Personen. Dann gab der Täter auch Schüsse im dritten Stockwerk ab. Dort soll der mutmaßliche Täter eine Türe zu einem Klassenzimmer aufgeschossen haben. Im Anschluss besuchte er wieder die Toilettenanlage auf, wo er sich selbst suizidert haben soll. Er hätte zu diesem Zeitpunkt noch genug Munition gehabt, um die Tat fortzusetzen.

Ungefähr zum selben Zeitpunkt, sei bereits die erste Polizeistreife am Tatort eingetroffen und habe auch das Schulgebäude sofort betreten.
Aufgrund aktueller Erkenntnisse gehe man davon aus, dass der mutmaßliche Täter zu den betroffenen Schülerinnen und Schülern kein Näheverhältnis gehabt habe, berichtete Lohnegger weiter. Eine der ermordeten Lehrerinnen soll der mutmaßliche Täter persönlich aus dem Unterricht gekannt haben - welche Rolle dieses Näheverhältnis gespielt hat, ist bislang unbekannt. Ermittelt werde nach wie vor.

Rohrbombe offenbar nicht rechtzeitig fertig gestellt

Nachdem die Identität des Täters festgestellt war, wurde die bereits erwähnte Hausdurchsuchung durchgeführt. In Abschiedsbrief und -video habe man inhaltlich eine allgemeine Entschuldigung an die Familie festgestellt, ein Motiv sei darauf nicht erkennbar. Zusätzlich habe man eine Rohrbombe gefunden. Diese habe alle Komponenten gehabt, die eine funktionierende Rohrbombe benötigt, war aber nicht funktionsfähig. Auch eine handschriftliche Notiz wurde gefunden, aus der hervorging, dass der gesamte Ablauf des Amoklaufs genau geplant war. Auch die Rohrbombe hätte der mutmaßliche Täter wohl benutzen wollen, hier habe scheinbar die Zeit gefehlt.

Täter für Bundesheer psychisch untauglich

Die Waffen hatte der mutmaßliche Täter legal in Graz gekauft. Mitte Mai habe er seine Waffenbesitzkarte erhalten. Er sei bereits seit März fünfmal mit einer Leihwaffe in einem Schützenverein in Graz gewesen und absolvierte dort Schießübungen. Bekannt geworden war am Donnerstag auch, dass der Amokläufer bei der Stellungskommission des Bundesheeres aufgrund psychischer Instabilität als untauglich erkannt worden ist. Das Heer darf solche Informationen aus Datenschutzgründen nicht weitergeben.

"Er lebte extrem zurückgezogen"

Durch Befragungen aus dem Umfeld des mutmaßlichen Täters, etwa eines ihm nahestehenden Freundes, ergebe sich zudem folgendes Bild: "Er lebte extrem zurückgezogen, war nicht gewillt an Unternehmungen in der realen Welt teil zu nehmen." Er habe sich viel in den virtuellen Raum zurückgezogen, habe online an Ego-Shootern teilgenommen und hier auch soziale Kontakte gepflegt. "Aber auch hier gibt es keine Erkenntnisse, dass er jemals in Richtung Schule Ärger oder Unmut geäußert hat". Somit sei noch nicht geklärt, warum die betroffene Schule Opfer der Tat wurde.

Hochgeladenes Material auf Upload-Plattform

Die Polizei hatte noch am Dienstag eine Upload-Plattform für Video und Fotos von Zeugen bereitgestellt. Auf dieser sei bereits einiges an Material zum Sichten eingelangt, sagte Yorgun. Mit dabei seien etwa auch Videos aus den Klassenräumen. Diese Daten würden nun ebenfalls nach und nach gesichtet. Zeugen können weiterhin ihre Videos und Fotos unter https://upload.bmi.gv.at/ hochladen. Am Donnerstag werden sowohl Polizei und Staatsanwaltschaft über den Ermittlungsstand als auch das Land Steiermark und die Steiermärkische Krankenanstaltengesellschaft über die medizinische Versorgung der Verletzten in Pressekonferenzen berichten.

Helmut-List-Halle als Anlaufstelle

Auch am Donnerstag ist die als Ort der Begegnung und der Hilfeleistung bereitgestellte Helmut-List-Halle geöffnet. Am Mittwoch wurden dort laut Bildungsministerium bis zum späten Nachmittag über 200 Kinder und Jugendliche psychologisch betreut. Auch Eltern waren vor Ort und wurden von Expertinnen und Experten beraten. Insgesamt waren 30 Schulpsychologinnen und Schulpsychologen aus der Steiermark sowie anderen Bundesländern und 46 Personen der Kriseninterventionsteams im Einsatz.

Die List-Halle soll auch in den nächsten Tagen zur Verfügung stehen. Das Beratungs- und Betreuungsangebot der Bildungsdirektion Steiermark wird auch am Wochenende fortgeführt. Wann das BORG Dreierschützengasse wieder geöffnet wird, ist noch nicht klar - keinesfalls aber noch in dieser Woche.

Direktorin und Schulsprecher des Borg Dreierschützengasse meldeten sich in einem Instagram-Video zu Wort: "Wir halten zusammen"

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