Die Aktivistinnen und Aktivisten hatten der Polizei die Räumung erschwert. "Mehrere Personen ketteten sich mit ihren Armen an der Innenseite eines Stahlrohres fest. Das Rohr war ins Erdreich betoniert", gab Gass bekannt. Andere Demonstranten wurden von Seiltechnikern der WEGA von einem Dach einer Holzhütte geholt. Mit Zuhilfenahme von technischen Geräten wurden die Fixierungen gelöst und die Personen vom Gelände gebracht.
Seitens der Aktivistinnen und Aktivisten hieß es am Nachmittag, die Polizei hätte die letzten beiden am Gelände verbliebenen Personen mithilfe eines Baggers aus einem Erdloch geholt. "Die Situation war nicht ungefährlich", berichtete die "LobauBleibt"-Sprecherin Anna Kontriner. Zum Glück sei nichts passiert. "Der Widerstand ist ungebrochen", betonte sie.
Denn mehrere Dutzend Aktivistinnen und Aktivisten besetzten wenig später einen neuen Baustellenabschnitt in der Anfanggasse. Laut Kontriner fanden sich 100 Aktivistinnen und Aktivisten auf dem Gelände - eine ehemalige Wiese, die planiert wurde - ein und nahmen Baufahrzeuge in Beschlag, wie in sozialen Medien veröffentlichtes Bildmaterial zeigte. Durch polizeiliche Einsatzkräfte wurde diese Blockade am Ende ebenfalls aufgelöst.
"Bürgermeister Ludwig muss endlich einsehen, dass wir unräumbar sind und seine klimazerstörende Autobahn-Politik niemals hinnehmen werden", meinte Lucia Steinwender, Sprecherin von "LobauBleibt", nach der Neubesetzung der Baustelle. Und weiter: "Lässt er uns räumen, kommen wir wieder, bis er endlich Ernst macht mit der Umsetzung des Klimafahrplans und den WienerInnen nicht länger ins Gesicht lügt." Für den Abend kündigten Fridays for Future, Extinction Rebellion und die "LobauBleibt"-Bewegung einen Protest vor der SPÖ-Zentrale in der Löwelstraße an.
Die Asfinag hatte Dienstagfrüh als Eigentümerin laut ihren Angaben die Polizei ersucht, das Camp in der Hirschstettner Straße zu räumen, "um die Bautätigkeiten ohne Gefährdung von Personen fortsetzen zu können". Seitens der Aktivistinnen und Aktivisten von "LobauBleibt" und von Umweltschutzorganisationen wie Global 2000 gab es heftige Kritik, Lob kam vonseiten der FPÖ und der ÖVP.
Laut Polizeisprecherin Gass sagte die Exekutive gegen 10.00 Uhr die behördliche Auflösung der Versammlung durch und forderte die Aktivistinnen und Aktivisten auf, das Gelände zu verlassen. Nach Ablauf einer gewissen Frist startete man die zwangsweise Räumung. Gass zufolge rechneten die Einsatzkräfte anfangs nur mit etwa zehn bis 15 Demonstranten "im Aktionsraum", allerdings war diese Schätzung mit großer Unsicherheit behaftet. Der Exekutive standen nur vom Eigentümer zur Verfügung gestellte Luftaufnahmen vom Gelände zur Verfügung.
Die Polizei begründete die Festnahmen damit, dass die Betroffenen die Örtlichkeit nicht verlassen und sich nicht legitimiert hätten. "Im äußersten Fall werden alle Personen nach dem Verwaltungsrecht festgenommen, wenn sie in dieser strafbaren Handlung verharren", hatte es zu Mittag geheißen.
Einige Festgenommene hatten sich an Gegenstände festgekettet, hieß es seitens der Polizei und der Aktivistinnen und Aktivisten. Andere wurden von Beamten weggetragen. Beide Seiten betonten, dass bisher alles friedlich verlaufen sei. Nach Polizeiangaben waren mehr als 400 Beamte im Einsatz.
Auf dem Gelände hatten die Protestierenden nicht nur Holzhütten errichtet, sondern auch Erdhöhlen gegraben. Letzteres erschwerte das Vorgehen der Polizei. Es war zunächst völlig unklar, wie viele Aktivistinnen und Aktivisten sich in Erdhöhlen vergraben hatten. Diese zu entfernen gestaltete sich insofern schwierig, als mit Vorsicht vorgegangen werden musste, da im Falle zu starker Erschütterungen die Gefahr bestand, dass das Erdreich nachgab. Eine Aktivistin berichtete der APA, es befänden sich zur Unterstützung der Polizei auch Bauarbeiter am Gelände.
Medienvertretern blieb der direkte Zugang zum Protestcamp verwehrt. Die Hirschstettner Straße war mit Polizeiabsperrungen blockiert, ein beachtliches Aufgebot der Exekutive ließ auch zwei Dutzend Protestierende nicht passieren, die sich vor den Gittern eingefunden hatten und die daher eine spontane Solidaritäts-Kundgebung mit Gitarrenbegleitung abhielten.
Auch etliche Securitys der Asfinag waren im Einsatz, die nach Darstellung der Asfinag ein Baubüro beschützten, in dem sich kritische Infrastruktur befand. Securitys waren aber auch auf der gesperrten Autobahn-Abfahrt zugegen und mit ihren gelben Warnwesten gut im Umkreis des abgeriegelten Protestcamps zu sehen.
"LobauBleibt"-Sprecherin Anna Kontriner gab gegenüber der APA an, in der Früh wären 30 bis 40 Personen auf dem Gelände gewesen. Vor der vollständigen Sperre hätten noch einige Unterstützerinnen und Unterstützer über ein Waldstück nachrücken können. Das dementierte die Polizei. Am Abend hieß es allerdings, Sympathisanten hätten nach der Räumung des Camps versucht, "in den Aktionsraum zu gelangen". Die neuerliche Besetzung habe "durch das koordinierte Einschreiten der Polizei" verhindert werden können.
Im Einsatz waren rund 400 Beamtinnen und Beamte - unter anderem die WEGA. Neben dem eigentlichen Einsatz waren zahlreiche Polizisten für die Logistik und auch als Reserve am Ort des Geschehens. Auch für den Verkehr gab es Sperren. "Wir rechnen mit einem längeren Einsatz", sagte Gass. "Es sind ausreichend Einsatzkräfte vorhanden, um auf alle Umstände vorbereitet zu sein."
Die Asfinag wies darauf hin, dass man die Bautätigkeit aufgrund von vertraglichen Verpflichtungen gegenüber der Stadt Wien fortsetzen müsse. "Eine verhältnismäßige und deeskalierende Vorgehensweise im Sinne des Dialogs der vergangenen Monate" sei dabei ein zentrales Anliegen. "Ein umsichtiges Vorgehen und ein respektvoller Umgang mit den Aktivistinnen und Aktivisten waren und sind uns wichtig", betonte Asfinag-Unternehmenssprecherin Petra Mödlhammer.
Im übrigen sei die Neugestaltung der bereits bestehenden Anschlussstelle Hirschstetten auf der Südosttangente (A23) ein "Umbau", kein "Neubau". Gewährleistet werde dadurch auch, dass der tägliche Stau im Ampelbereich der Hirschstettner Straße reduziert wird, und damit auch die Lärm- und die Abgasbelastung für die Anrainerinnen und Anrainer abnimmt. Die Wiederaufnahme der Arbeiten an dieser "Bestandsbaustelle" sei dem Ende der Winterpause geschuldet, hieß es vonseiten der Asfinag weiter, ab Ende März beginne man im städtischen Bereich wie jedes Jahr wieder mit den vorgesehenen Tätigkeiten.
Die Aktivistinnen und Aktivisten von "LobauBleibt" übten scharfe Kritik. Deren Sprecherin Lucia Steinwender, sagte gegenüber der APA, dass sie starken Druck, der von der Stadt Wien in den vergangenen Wochen Druck auf die Asfinag ausgeübt wurde, als Ursache vermute, die Arbeiten wieder aufzunehmen. In einer Aussendung hieß es, Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) wolle mit dem Bau der Stadtautobahn Fakten schaffen, um den Lobautunnel doch noch durchzusetzen. "In Zeiten von fossilem Krieg und Klimakrise wäre das ein fataler Schritt in die falsche Richtung."
Seitens der Stadt Wien wollte man die Räumung nicht kommentieren. Diese sei "Angelegenheit der Asfinag" wie es aus dem Büro von Verkehrssprecherin Ulli Sima (SPÖ) hieß. "Nicht die Stadt Wien, sondern die Asfinag und damit die für diese zuständige grüne Verkehrsministerin ist für die heutige Räumung der besetzten Stadtstraßenbaustelle verantwortlich", stellte SPÖ-Verkehrsausschussvorsitzender Erich Valentin in einer Aussendung fest. Ob die zuständige Ministerin Lenore Gewessler (Grüne) im Vorfeld das Gespräch mit den Protestierenden gesucht hat, sei "nicht bekannt". Es sei jedenfalls "erfreulich, dass die Asfinag und damit die Verkehrsministerin ihren Verpflichtungen nachkommt und ihren Teil des Stadtstraßenprojekts umsetzt", betonte Valentin. Die Verkehrsministerin habe im Zuge ihrer Evaluierung "bekanntlich grünes Licht für die Gemeindestraße gegeben".
Kritik kam von Global 2000. "Die Räumung unterstreicht erneut die rückständige Verkehrspolitik der Stadt Wien in der Donaustadt. Nach Absage des Lobau-Tunnels wäre es nur logisch, die Pläne der Stadtstraße zu prüfen und dem tatsächlichen Bedarf anzupassen", kritisierte Agnes Zauner, Geschäftsführerin der Umweltschutzorganisation.
"Ausgerechnet am Tag, nachdem der Weltklimabericht die dramatischen Folgen der fehlgeleiteten Klima- und Verkehrspolitik der vergangenen Jahrzehnte in unmissverständlichen Worten aufgezeigt hat, ist diese Räumung an Zynismus kaum zu überbieten", sagte Klara Maria Schenk, Klima- und Verkehrsexpertin bei Greenpeace in Österreich in einem Statement.
Ludwig halte wider besseren Wissens am klimafeindlichen Projekt seiner Stadtautobahn fest, "damit erzwingt er jetzt auch die Räumung des zweiten Klimacamps. Das wird sich als historischer Fehler erweisen", sagt der Klimaschutzsprecher der Grünen, Lukas Hammer. Die Asfinag sei zur Herstellung des Anschlusses zur Autobahn A23 vertraglich verpflichtet und müsse dieser Aufforderung der Stadt Wien nachkommen, nur diese könnte das absagen.
NEOS-Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr wollte sich am Rande einer Pressekonferenz zur Räumung nicht konkret äußern. "Die Stadtstraße muss kommen", verwies er aber auch auf vertragliche Verpflichtungen. Nun gelte es, die Gegner des Projekts "in bestmöglichem Diskurs" zu überzeugen.
Zustimmung kam hingegen vom FPÖ-Verkehrssprecher im Wiener Rathaus, Anton Mahdalik, der vom "Durchputzen" auf der besetzten Asfinag-Baustelle sprach, die verzögerten Bauarbeiten hätten einen Schaden von über 22 Millionen Euro für die Steuerzahler verursacht. Die Ortsteile Aspern, Breitenlee, Essling, Neu-Essling, Hirschstetten und Stadlau würden durch diese Entlastungsstraße insgesamt über 40.000 Autos weniger pro Tag und somit deutliches Minus an Lärm-, Abgas- und Feinstaubbelastung verzeichnen. Über 100.000 Menschen könnten so ab 2025 "im wahrsten Sinne des Wortes aufatmen".
Auch die ÖVP gab sich zufrieden. "Mit der heutigen Räumung des letzten Protest-Camps gegen die geplante Stadtstraße wurde die rechtswidrige Besetzung endlich beendet. Nun müssen die rechtsstaatlich zugesicherten Baumaßnahmen vorangetrieben werden, es darf keine Zeit mehr verloren werden", sagte die Wiener ÖVP-Verkehrssprecherin und Gemeinderätin Elisabeth Olischar.