SN.AT / Panorama / Wissen

Neue Studie: Wie Fingerzeige auf Gemälden Alter Meister wirken

In der Malerei der Renaissance und des Barock setzten die Alten Meister wie Raffael, Michelangelo, Rembrandt oder Rubens häufig zeigende Finger in ihren Gemälden ein, um auf bedeutende Bereiche im Bild aufmerksam zu machen. Eine Forscherin der Uni Wien hat in einem Eyetracking-Experiment getestet, ob diese Gesten bei Betrachtern tatsächlich den erwünschten Effekt erzielen. Sie zeigte, dass die Fingerzeige speziell den Blick von Laien tatsächlich auf das Wesentliche lenken.

Caravaggio nutzt Fingerzeige, um den Blick auf Wesentliches zu lenken
Caravaggio nutzt Fingerzeige, um den Blick auf Wesentliches zu lenken

Die Kunsthistorikerin Temenuzhka Dimova hat sich bereits im Rahmen ihrer Doktorarbeit in Frankreich auf "die Sprache von Gesten in frühneuzeitlichen Gemälden" spezialisiert. In einem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt hat sie am Labor für Kognitive Forschung in der Kunstgeschichte der Universität Wien untersucht, ob solche Gesten auch intuitiv, also ohne Vorwissen, verstanden werden.

Eyetracking während der Betrachtung von Kunstwerken

Dazu nutzte sie "Eyetracking" - eine Methode, bei der unter kontrollierten Bedingungen die Pupillenbewegungen von Personen aufgezeichnet werden, während sie ein Kunstwerk betrachten. Dies erlaubt den Forscherinnen und Forschern herauszufinden, an welchem Punkt die Bildbetrachtung beginnt, wo der Blick länger verweilt, wie das Auge über das Werk wandert und wohin der Blick immer wieder zurückkehrt. Aus den aufgezeichneten Augenbewegungen lassen sich zum Teil jahrhundertealte Theorien über die Wirkung von Bildern überprüfen.

In ihrem Projekt hat Dimova mit drei unterschiedlichen Gruppen gearbeitet: Mit Laien ohne spezielle Kunstausbildung (85 Personen), mit Kunstgeschichte-Studierenden, die also schon mit fachlicher Vorbildung an ein Bild herantreten (50 Personen), und - weil sie als Museumsführerin immer wieder Kontakt mit gehörlosen Besuchern hatte - mit Gehörlosen, die fließend Gebärdensprache beherrschen (30 Personen). Bei den Gehörlosen, die sich ja mit Gesten unterhalten, hat sich die Kunsthistorikerin gefragt, "ob Personen, die darauf trainiert sind, visuelle Reize zu verstehen, Bilder anders wahrnehmen als Hörende".

Den Testpersonen wurden im Labor auf einem großen Bildschirm je 40 Sekunden lang insgesamt 16 Gemälde gezeigt, die mehrere Zeigegesten enthalten. Nach der Aufzeichnung der Augenbewegungen wurden den Probanden Fragen gestellt, um zu sehen, wie sie die Gemälde interpretieren.

Kurzer Blick auf Geste beeinflusst Bildverständnis maßgeblich

Für die Forscherin überraschend war, wie kurz die Ungeschulten den ausgestreckten Zeigefinger betrachteten. Eine halbe Sekunde reichte aber aus, um die Blickrichtung und das Verständnis des Gemäldes maßgeblich zu beeinflussen. Die Laien konzentrierten sich eher auf kleinere Bereiche im Bild, "hauptsächlich Gesichter und offensichtliche Bildelemente, und erkundeten das Gesamtbild weniger umfassend", so Dimova in einer Aussendung des FWF.

Im Vergleich dazu waren die Kunstgeschichte-Studierenden und die Gehörlosen deutlich interessierter an Bilddetails: Sie erkundeten größere Flächen der Gemälde, waren dabei deutlich schneller und explorativer. Die Ergebnisse bestätigten Dimovas Vermutung, dass Gehörlose durch ihr Training in visueller Wahrnehmung und ihre Ausbildung in einer "räumlichen" Sprache - der Gebärdensprache - sensibler für visuelle Details von Gemälden sind. "Sie sehen Bilder ähnlich an wie Leute, die genau wissen, was an einem Gemälde wichtig ist", so die Kunsthistorikerin.

Zeigegesten lenken Blick auf das Wesentliche

Mit der Gruppe der Laien wurde ein weiteres Experiment durchgeführt: Aus acht Bildern entfernte die Forscherin mit einem Bildbearbeitungsprogramm die Zeigegesten. "In den bearbeiteten Gemälden haben sie die eigentlich relevanten Bereiche des Bildes viel weniger beachtet", so Dimova - die Zeigegesten lenken also tatsächlich den Blick auf das Wesentliche im Bild.

(SERVICE - Ergebnisse von Dimovas Arbeit werden im Fachjournal "Psychology of Aesthetics, Creativity and the Arts" veröffentlicht; Preprint: https://doi.org/10.31234/osf.io/rd7jv_v1)