Die Pensionsversicherungsanstalt (PVA) steht wegen ihres Umgangs mit ME/CFS- und Long- bzw. Post-Covid-Betroffenen seit längerem in der Kritik von Patientenvertretern und auch Experten. Anträge von Betroffenen auf Berufsunfähigkeits- bzw. Invaliditätspension sowie auf die vorübergehende Berufsunfähigkeitspension ("Reha-Geld" genannt) und auf Pflegegeld werden seitens der PVA nur selten gewährt. Das untermauerte auch eine im Mai veröffentlichte gemeinsame Recherche von APA, ORF und der Rechercheplattform Dossier: Im überwiegenden Maße attestierten die von der PVA beauftragten Gutachter bzw. Gutachterinnen den Betroffenen Arbeitsfähigkeit - und das trotz teils drastisch beschriebenen Einschränkungen.
Antrags-Ablehnung bei PVA bei 75 Prozent
Die teils erheblichen Probleme bei der Gewährung von Leistungen für postviral Betroffene unterstrich im APA-Interview auch Holzinger. Derartige Schwierigkeiten bei der PVA gibt es laut ihm aber auch abseits dieser Krankheiten: "Wir haben generell ein Riesenproblem, denn wir haben eine Ablehnungsquote beim (vorübergehend ausbezahlten, Anm.) Reha-Geld von 75 Prozent aller Anträge", so der Obmann, dessen Verein (https://www.chronischkrank.at) laut eigenen Angaben zur Zeit rund 15.000 Personen unterstützt.
Probleme bei der Anerkennung der Erwerbsunfähigkeit oder Pflegebedürftigkeit gibt es demnach vor allem bei psychischen Erkrankungen, aber auch bei seltenen oder nicht erkannten bzw. nicht erhobenen Erkrankungen. Holzinger betonte, dass es zur Frage, welche Erkrankungen hierbei besonders betroffen sind, keine validen Daten gibt. Denn die PVA erhebt nicht die Ursprungsdiagnosen, mit denen die Patientinnen und Patienten ihre Anträge bei der Sozialversicherung stellen, sondern verzeichnet die von den Gutachterinnen bzw. Gutachtern dann in den Gutachten vergebenen Erstdiagnosen.
Diese weichen freilich oft von den eigentlichen Krankheiten ab, die die Betroffenen zum Gang zur PVA bewegt haben. Das zeigte auch die APA/ORF/Dossier-Recherche auf: Die Diagnosen ME/CFS oder Post Covid wurden bei mehr als der Hälfte der Gutachten komplett negiert und bei rund 40 Prozent in eine psychische oder psychosomatische Diagnose abgeändert. Dieses Vorgehen sehe man auch bei anderen Erkrankungen, sagte Holzinger.
Geringe Qualität der PVA-Gutachten
Probleme gibt es laut dem Vereinsobmann nicht nur bei der PVA, sondern auch bei der Sozialversicherung der Selbstständigen (SVS) und auch beim Sozialministeriumsservice (SMS). Bei Letzterem wird der Grad der Behinderung eingestuft, der für die (erhöhte) Familienbeihilfe und für den Behindertenpass entscheidend ist.
Kritisch sieht Holzinger die Qualität der Gutachten bzw. die Ausbildung der Gutachter, insbesondere bei der PVA. Die Begutachtungen würden oft nur sehr kurz dauern - und das bei Patienten, die mit einer ganzen Mappe an Befunden vorsprechen und bei denen sowohl die Arbeitsfähigkeit als auch der Antrag auf Pflegegeld gleichzeitig beurteilt werden soll. "Die Leute gehen nach 15 Minuten wieder raus, da kann man sich vorstellen, wie qualitativ 'hochwertig' diese Gutachten sind", ortet Holzinger Mängel. Man sehe sogar Fälle von Betroffenen, "die haben ein Pflegegeld, sind zum Teil bettlägerig und denen wird das Reha-Geld entzogen, was komplett unverständlich ist."
Klagen gegen PVA zu 50 Prozent erfolgreich
Die schlechte Qualität der Gutachten ist laut Meinung Holzingers auch der Grund, warum die von seinem Verein unterstützten Klagen der Betroffenen gegen Bescheide der PVA zu 50 Prozent erfolgreich sind. "Die Gutachten sind einfach wirklich minderwertig. Das muss man klar sagen, die sind einfach schlecht gemacht", fand Holzinger klare Worte. Freilich beschreitet nur ein Teil der Antragssteller den Gerichtsweg, auch aus Kostengründen, wie Holzinger sagt. Denn: "Auch wenn man gewinnt, kriegt man die Rechtsanwaltskosten nicht ersetzt und das ist natürlich schon eine große Hürde." Grund dafür ist, dass laut Gesetz vor dem Sozialgericht keine Anwaltspflicht besteht - allerdings sei es ratsam, die Klage mit Hilfe einer Rechtsvertretung durchzuführen.
Über Vereine wie "Chronisch Krank" kann dies kostengünstiger, aber nicht gratis, abgewickelt werden: "Bei uns kostet ein Verfahren 400 bis 500 Euro." Die Betroffenen hätten aber oft auch diese Mittel nicht. Als Alternative könne man sich etwa an die Arbeiterkammer wenden, die kostenlos weiterhilft. Achten müsse man darauf, dass Rechtsanwälte zugewiesen werden, die auch mit der medizinischen Thematik bewandert sind, so Holzinger. Auch andere Vereine - etwa der KOBV (Kriegsopfer- und Behindertenverband) - bieten kostengünstige Beratung und anwaltliche Unterstützung an.
Probleme von "Fehldiagnosen" der Gutachter
Vor einem Problem stehen die Patientinnen und Patienten auch dann, wenn ihnen zwar Reha-Geld gewährt wurde, die Diagnose der PVA-Gutachter aber nicht der eigentlichen Erkrankung entspricht, erläuterte Holzinger. Denn aufgrund der "Mitwirkungspflicht" - also der Verpflichtung zur Einhaltung seitens der PVA vorgeschriebenen Rehabilitationsmaßnahmen und entsprechender Medikamentenversorgung - stehen Betroffene vor einem Dilemma: Erhält jemand beispielsweise anstatt der (eigentlich vorliegenden) Post Covid- seitens der PVA eine (fehlerhafte) psychische Diagnose, so habe dies zur Folge, dass auch entsprechende Behandlungsschritte zur vermeintlichen psychischen Erkrankung eingehalten werden müssen, was zu (auch schädlichen) Fehlbehandlungen führen kann. Verweigern die Betroffenen diese Anordnungen der Gutachter, so droht der Entzug der Leistung.
Vorwürfe, wonach Antragsteller Missbrauch betreiben könnten, kann Holzinger nicht nachvollziehen. Natürlich gebe es immer ein paar Wenige, die versuchen, sich Leistungen zu erschleichen. "Aber spätestens dann, wenn ich den Reha-Plan erfüllen muss, wenn ich Medikamente schlucken muss, spätestens dann ist es eigentlich vorbei."
Zuletzt hatten kolportierte Aussagen von PVA-Generaldirektor Winfried Pinggera für Aufsehen gesorgt, wonach er bei einem Gesprächstermin mit dem Gründer der We&Me-Stiftung, Gerhard Ströck, in Bezug auf ME/CFS-Patientinnen und Patienten und deren Ärzte von "Trittbrettfahrern" und "Scharlatanen" gesprochen haben soll. Pinggera ließ die Behauptungen zurückweisen - es habe sich um "konstruktive Gespräche" gehandelt, hieß es, Ströck blieb dennoch bei seinen Aussagen.
Große Probleme bei sozialer Absicherung von Jugendlichen
Holzinger sprach auch das - generelle - Problem jener jungen Erwachsenen an, die aufgrund fehlender Versicherungszeiten gar keinen Anspruch auf Leistungen aus der Sozialversicherung haben - etwa auf Rehabilitationsgeld oder Invaliditäts- bzw. Berufsunfähigkeitspension.
Vollendet ein Jugendlicher das 18. Lebensjahr und kann aufgrund seiner Einschränkungen weder ins Berufsleben einsteigen noch eine Ausbildung durchführen, fällt er aus allen sozialen Absicherungen, auch aus der Sozialversicherung heraus. Nur jenen, denen ein "Grad der Behinderung" von mindestens 50 Prozent sowie Arbeitsunfähigkeit zugesprochen wird, steht zumindest die Familienbeihilfe zu und damit auch die Möglichkeit, sich bei den Eltern mitversichern zu lassen. Abgewickelt wird das beim Sozialministeriumsservice (SMS).
Aber selbst bei einem Grad der Behinderung von 50 Prozent und der Bescheinigung von Arbeitsunfähigkeit stehen die Betroffenen abseits der Familienbeihilfe meist ohne jede weitere Geldleistungen da, sofern sie nicht davor mindestens sechs Monate versicherungspflichtig tätig waren. "Die kriegen sonst nichts. Sie bekommen oft nicht einmal Pflegegeld". Anspruch auf Versicherungsleistungen haben sie überhaupt keine - und in der Regel auch keinen Anspruch auf Sozialhilfe, da hier die Fürsorgepflicht der Eltern greift - und zwar unabhängig vom Alter der Kinder. "Also die kriegen keinen Cent sonst. Die sind zwar mitversichert bei der Mutter oder beim Vater, aber haben überhaupt kein Einkommen."
Vorprogrammierte Armut
Damit würden diese chronisch kranken jungen Erwachsenen in eine vorprogrammierte Armut fallen. Denn die Unterhaltspflicht der Eltern für (auch erwachsene) Kinder, bei denen keine Selbsterhaltungsfähigkeit besteht, ist laut dem Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (ABGB) sehr weitreichend, sie gilt praktisch unbegrenzt bei Krankheit oder Behinderung. Und die Sozialhilfe (nach dem Sozialhilfegrundgesetz und den entsprechenden Landesgesetzen) zielt streng auf das Haushaltsprinzip ab: Hier werden Leistungen nach "Bedarfsgemeinschaften" vergeben. Damit ergibt sich die Situation, dass erwachsene Kinder keinen Anspruch auf Sozialhilfe haben, solange sie im Elternhaushalt leben. "Da ist es so geregelt, dass der Elternregress dann schlagend wird", sagte Holzinger.
Nationaler Aktionsplan PAIS müsse umgesetzt werden
Unverständnis äußerte Holzinger, dass der bereits Ende 2024 vom damaligen Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) vorgestellte Aktionsplan des Bundes zu postakuten Infektionssyndromen (PAIS) wie Long Covid oder ME/CFS noch einmal überarbeitet wird. Dies sei "komplett unverständlich" und "katastrophal", da damit die ersten Leistungen somit erst 2026 oder 2027 abrufbar sein werden. Besonders "schockiert" sei er darüber, dass die Politik gerade bei Jugendlichen, die ja besonders häufig von Post Covid betroffen sind, "einfach überhaupt keinen Plan haben".
"Dringend" gefordert wird von Holzinger außerdem, dass die Erkrankungen ME/CFS und Post Covid in die sogenannte "Einschätzungsverordnung" aufgenommen werden, die zur Einstufung des Grads der Behinderung herangezogen wird. Ein entsprechendes Gesuch der Österreichischen Gesellschaft für ME/CFS war bereits im Vorjahr noch unter Minister Rauch abgelehnt worden. Die Ablehnung sei unverständlich und liege vermutlich an leitenden Beamten im Ministerium, so Holzinger.