Für ein eigenes Grundrecht auf Klimaschutz, wie es in mehreren Staaten diskutiert wird, wäre in Österreich eine - eher unwahrscheinliche - Zweidrittelmehrheit im Nationalrat nötig. Es gebe zwar das Bundesverfassungsgesetz zur Nachhaltigkeit mit einer Staatszielbestimmung zum umfassenden Umweltschutz, doch diese sei kein unmittelbar anwendbares Recht, sondern "nur" Auftrag an den Gesetzgeber, entsprechende Regelungen zu erlassen. Um den Gesetzgeber zu entsprechenden Handlungen zu verpflichten oder zu ermächtigen, bräuchte es "ein ambitioniertes Klimaschutzgesetz", sieht Ennöckl Handlungsbedarf.
Abwägung zwischen Gesundheit oder 130 km/h
Meinungen, wonach ein Grundrecht auf Klimaschutz die Freiheit beschränke, entgegnet Ennöckl, dass dies das Wesen von Grundrechten sei und es dabei immer um eine Interessenabwägung gehe. "Hier prallen grundrechtliche Interessen aufeinander, nämlich Schutz von Leben und Gesundheit der Bürgerinnen und der zukünftigen Generationen einerseits und der 'Freiheit', dass ich weiterhin mit 130 km/h auf der Autobahn fahre und fünfmal im Jahr per Flug verreise." Laut des Sachstandsberichts des Austrian Panels and Climate Change heuer "sind die drohenden Wohlstandsverluste, die drohenden Gefährdungen für Leben und Gesundheit relativ hoch". Daher sieht Ennöckl die Frage eher auf der politischen Ebene "welche unpopulären Maßnahmen traue ich mir als Regierung zu setzen, insbesondere bei der Bepreisung von CO2-Emissionen. Dieses effektive Mittel muss aber natürlich sozialpolitisch abgefedert werden und den Benzinpreis zu erhöhen, ist jetzt nicht gerade das, was in Österreich politisch opportun und beliebt ist". Ennöckl sieht "viele sehr einfache Lösungen, die aber politisch schwer durchsetzbar sind wie etwa Tempo 100 auf der Autobahn", wobei dies am billigsten wäre.
Klimakrise und ihre Bekämpfung für alle zu spüren
"Das Waldsterben in den 1980er-Jahren, das Ozonloch, diese Umweltkrisen konnten wir im Wesentlichen bewältigen, ohne dass es für die Bürger zu einem spürbaren Wohlstandsverlust oder zu einer Änderung der Lebensgewohnheiten gekommen ist." Das Verbot von FCKW, die Entbleiung von Benzin und Entschwefelungsanlagen in der Industrie hätten zwar auch etwas gekostet, doch das habe die Lebensführung des Einzelnen kaum berührt. "Das wird bei der jetzigen komplexen Klimakrise, wenn wir sie bewältigen wollen, nicht gehen, und das macht es natürlich weitaus schwieriger und für Politiker ist es eine extrem schwierige Abwägungspflicht im Hinblick auf die nächsten Wahlen, was sie ihren Wählerinnen und Wählern zumuten wollen". Der Rechtswissenschafter glaubt, dass bei klarer Kommunikation der Gefahren und Wohlstandsverlusten - "siehe Hochwasser in Niederösterreich voriges Jahr" - ein Großteil der Bevölkerung weitaus weiter als die Politik sei. "Man könnte weitaus mutiger sein als es die derzeitige Regierung ist."
Ennöckl wird in Linz "über die Geschichte, wie diese Idee eigentlich entstanden ist, dass sich aus den Grundrechten Verpflichtungen des Staates ergeben" sprechen. In Österreich habe die Verfassung "im Wesentlichen zwei Grundrechtskataloge", das österreichische Staatsgrundgesetz von 1867 und die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), "das heißt die EMRK gilt bei uns als unmittelbar anwendbares Verfassungsrecht". Zur Zeit ihrer Entstehung "war jetzt Umweltschutz noch nicht das Thema und Klimaschutz schon gar nicht". Es gebe allerdings mehrere Grundrechte, aus denen staatliche Schutzpflichten abzuleiten seien. "Das Grundrecht, das der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte am häufigsten heranzieht und in weiterer Folge viele europäische Gerichte auch in Frankreich, in den Niederlanden, in Deutschland ist der Artikel 8 EMRK, das ist das Recht auf Privat- und Familienleben. Der Begriff des Privatlebens ist ein sehr schillernder Begriff und umfasst auch den Schutz der Wohnung, Maßnahmen gegen den Überwachungsstaat wie bei der Vorratsdatenspeicherung, aber eben auch Schutz der körperlichen Unversehrtheit", erläutert Ennöckl.
Schutzpflicht des Staates vor Klimagefahren
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) prüft seit den 1990er-Jahren einen Eingriff und eine Verletzung des Artikel 8 EMRK, wenn ein Staat es verabsäumte, seine Bürgerinnen und Bürger vor unmittelbar drohenden oder bestehenden Gefahren zu schützen. Ennöckl nannte Industrieanlagen und illegale Mülldeponien als Beispiele. Daraus leiten der EGMR und andere Gerichte auch eine Schutzpflicht des Staates in Bezug auf die Gefährdungen durch die Klimakrise ab. "Und in dem Urteil zu den Schweizer KlimaSeniorinnen von 2024 hat er das dann eben präzisiert, sehr weitgehend konkretisiert, welche Pflichten aus diesem Artikel 8 sich ableiten", führte der Rechtswissenschafter aus, "eigentlich eine unmittelbare Verpflichtung des Staates zum Schutz der Bürgerinnen vor den Folgen des Klimawandels".
Der Verein Schweizer KlimaSeniorinnen hatte den Staat geklagt, weil seine Mitglieder, Frauen mit dem Durchschnittsalter von 73 Jahren, besonders von den Auswirkungen des Klimawandels wie Temperatursteigerungen betroffen seien. Der Gerichtshof hielt zum ersten Mal fest, dass Artikel 8 der EMRK ein Recht auf effektiven Schutz vor schwerwiegenden negativen Folgen des Klimawandels auf Leben, Gesundheit und Wohlbefinden enthält. Die Schweiz habe nur unzureichende Maßnahmen ergriffen und damit Artikel 8 der EMRK verletzt. Insbesondere müssten Emissionsgrenzen festgelegt werden, angemessene Gesetze verabschiedet und deren Umsetzung auch überwacht werden.
Politik säumig bei Umsetzung von Klimazielen
Österreich habe derzeit nur verbindliche Reduktionsziele durch die Europäische Union, die nationalen seien 2020 abgelaufen. "Diese Verpflichtung, die der EGMR zur Schweiz judiziert hat, die trifft uns auch, und die ist bislang mangels politischer Einigung eben nicht umgesetzt worden", kritisiert Ennöckl. Denn auch der Verfassungsgerichtshof habe nicht die Möglichkeit, die Untätigkeit des Gesetzgebers zu sanktionieren, erklärt Ennöckl das oftmalige Scheitern von Klimaklagen in Österreich. In anderen Staaten gebe es einen größeren Spielraum um auch gegen eine Untätigkeit vorzugehen. "Das Damoklesschwert, das über Österreich schwebt, ist die Reaktion der Europäischen Union, wenn wir unsere Klimaziele nicht erreichen. Und ich finde, sechs bis acht Milliarden Euro - das ist die Summe, die laut Rechnungshof an Strafzahlungen drohen kann - wären ein guter Grund, um nachzudenken, ob es nicht vernünftiger wird, das Geld in effektiven Klimaschutz zu investieren."
Innerhalb der Europäischen Union könne man den Klimaschutz in zwei große Bereiche einteilen, einmal den Emissionszertifikatehandel, "das ist das System, das am besten funktioniert", und die konkreten Ziele für jeden Mitgliedstaat für den gesamten anderen Bereich, bei deren Nichteinhaltung Strafzahlungen drohen. Die Ziele für 2040 würden gerade verhandelt, "und da merkt man, dass es aufgrund des Rechtsrucks in Europa deutlich schwieriger ist, hier gemeinsam halbwegs effektive Klimaschutzziele zu beschließen, die im Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen des Paris-Reglement stehen."
Der Jurist Ennöckl ist zum ersten Mal beim Grundrechtstag. "Ein Publikum von rund 120 Richterinnen und Richtern ist natürlich ein spezielles", hofft er auf eine rege Diskussion. Der 52-Jährige ist Professor und Leiter des Instituts für Rechtswissenschaften an der Universität für Bodenkultur Wien.
(S E R V I C E - Grundrechtstag 2025 in Linz "Klimakrise / Krisenklima - Wie wandeln wir Demokratie, Gesellschaft und Recht?" 25. und 26. September, im Ars Electronica Center, mit unter anderem Wissenschafter des Jahres 2022 und 2024, Franz Essl und Sigrid Stagl, mehr Infos und Programm unter https://richtervereinigung.at/veranstaltung/grundrechtstag-2025/)