Es ist heiß. Das Thermometer zeigt deutlich mehr als 30 Grad an. Und daran wird sich auch in den nächsten Tagen nichts ändern. Allerdings macht sich die Hitze nicht in allen Gemeinden in Österreich gleich bemerkbar. Es gibt auch Kommunen, in denen es von Natur aus deutlich kühler ist als in anderen. St. Leonhard im Pitztal (Tirol) ist die Gemeinde in Österreich, in der es im Durchschnitt (1991 bis 2020) mit 12,5 Grad sehr frisch ist. Wer vor der Hitze fliehen will, ist auch in Warth (Vorarlberg) mit 12,9 Grad oder St. Jakob in Defereggen (Osttirol) mit 13,4 Grad gut aufgehoben. Kals am Großglockner (Osttirol), Mallnitz (Kärnten) und Seefeld (Tirol) zählen auch zu den Gemeinden in Österreich, in denen es grundsätzlich eher kühl ist.
Dass all diese Gemeinden niedrige Durchschnittstemperaturen aufweisen, hat zwei Gründe. Zum einem liegen sie in dem Bereich Österreichs, der von alpinem Klima geprägt ist. Typisch dafür sind kurze, relativ kühle Sommer und lange, schneereiche Winter. Außerdem gibt es reichlich Niederschlag und Kaltluftseen im Winter sowie herbstliche Hochdrucklagen, die als Altweibersommer bezeichnet werden. Zum anderen liegen diese Kommunen relativ hoch. Und pro hundert Höhenmeter nimmt die Temperatur etwa um 0,65 Grad ab.
Aber auch wenn man der derzeitigen Hitze also durchaus entgehen kann, an der generellen Erwärmung der Erde ändert das nichts. Dies zeigt sich auch an den Gletschern, die mittlerweile "von allen Seiten" schmelzen, wie die Glaziologin Andrea Fischer vom Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Innsbruck bei einer Begehung des Jamtalferners erklärt. Eisreste wird es in den Ostalpen gegen 2050 voraussichtlich nur noch in Schattenlagen in sehr hoch gelegenen Gebieten geben. Damit ist das prognostizierte Ende der Gletscher um rund 50 Jahre nach vorne gerückt.
Das macht die Arbeit der Gletscherforscher auch zu einem Kampf gegen die Zeit - bei steigenden Anforderungen, denn allein die Zeit für die notwendigen Messungen habe sich vervielfacht. Die grundsätzlichen Messmethoden der Gletscherforschung gehen noch auf das ausgehende 18. Jahrhundert zurück. Seit 1891 werden die Längenänderungen in Österreich systematisch dokumentiert, seit 1952 die Oberflächenmassebilanzen - also die Veränderungen der Eismassen, die an den Gletscheroberflächen gemessen werden. "Beide Methoden sind mittlerweile unzureichend", betonte Fischer. Die Gesamtschmelze wird damit nicht mehr abgebildet, weil eben der Zerfall von allen Seiten um sich greift. So bleiben Fragezeichen zu den echten Abgängen. Dazu kommt die Frage, wie sich die rasch frei werdenden Flächen entwickeln, wie sie von der Vegetation in Beschlag genommen und ob sie dadurch stabilisiert werden. All das hilft letztlich, die Naturgefahrensituation besser einschätzen zu können. Fischer führt weiter aus: "Wir sind mit Prozessen konfrontiert, die noch nie jemand beobachtet hat." Hier müssen auch die Messmethoden in internationalem Verbund entsprechend neu aufgesetzt und angepasst werden.
Die Alpen seien hier leider an vorderster Front, weil sie besonders niedrig liegen. Die Expertise, die man sich hier nun erarbeitet, würde später vielerorts gebraucht. Ebenso gilt es jetzt, besonders altes Gletschereis zu bergen, um es als Klimaarchiv der letzten Jahrtausende und als Zeuge des menschlichen Einflusses über die Zeit hinweg weiter erforschen zu können, auch wenn es dann nur noch im Labor existiert.
Die Chance, all das zu erfassen, zu verstehen und dann Warnsysteme zu verbessern, bietet sich nur im aktuellen engen Zeitfenster. "Wir wollen die Menschen in den Talräumen rechtzeitig warnen können", betonte Fischer. Dazu brauche es aber Ressourcen abseits der üblichen Forschungsförderschienen, die aufgrund langwieriger Begutachtungsabläufe nur bedingt für die Arbeit an so schnell fortschreitenden Prozessen ausgerichtet sind. Es gehe darum, grundlegend neues Wissen zu erarbeiten, um es den Behörden zur Verfügung zu stellen. Angesichts der österreichweit etwa rund 20 Personen, die sich hauptamtlich mit Glaziologie und daran angrenzenden Themen beschäftigen, sei das eine große Herausforderung. Denn eine der wichtigsten Aufgaben ist auch noch: der Öffentlichkeit ohne Alarmismus bewusst zu machen, wie rasch sich die Gebiete hoch oben verändern.
"Diese Prozesse werden uns in den Tälern betreffen", betont Fischer, die im Klimawandel durchaus auch Chancen sieht, "wenn wir es richtig angehen". Angesichts des "großen Gletscherzerfalls" dürfe man nicht die Nerven verlieren und solide an Herangehensweisen für die nächsten Jahrzehnte arbeiten. Angst sollte nicht zum treibenden Faktor in Bevölkerung, Politik und Wissenschaft werden, erklärt die Glaziologin: "Wir haben jetzt die Chance, die Dinge zu erkennen", sagt sie.