Die Anklage beruhte auf Aussagen des Opfers, wonach dieses vor dem 17-jährigen Bewohner eines Asylheims geflohen sei, nachdem es bei einem Drogendeal zum Streit gekommen war. Der Ägypter habe eine Woche vor der Tat Cannabis für 20 Euro an eine Bekannte des Opfers verkauft. Weil sie statt der vereinbarten zwei nur ein Gramm bekommen hatte, begleitete ihr Bekannter sie zu besagtem Treffen am 9. Mai 2025, um den Dealer zur Rede zu stellen. Als dieser ein Messer gezückt habe, sei das Opfer geflohen, vom Angeklagten eingeholt und mit mehreren Messerstichen verletzt worden.
Dem widersprach der Angeklagte vehement. Er bekenne sich nur als teilweise schuldig. Anfangs habe es sich nur um Notwehr gehandelt. Der 17-Jährige sei von dem Opfer - das ihm körperlich überlegen war - in den Schwitzkasten genommen und gewürgt worden: "Ich habe keine Luft bekommen. Ich wusste nicht, was ich machen soll. Ich hatte Angst zu sterben!" Aus dieser Position heraus habe er wild um sich geschlagen und versucht, seinen Kontrahenten mit dem Messer zu verletzen. Dass er jedoch nach der Rangelei nochmals auf den Mann eingestochen habe, tue ihm sehr leid, dafür verantworte er sich.
Verfolgungsjagd wegen Cannabis
Wie die Verteidigerin des Angeklagten, Margarita Obergantschnig, erklärte, habe ihr Mandant wegen des fehlenden Gramms Cannabis Drohnachrichten vom späteren Opfer erhalten. "Wenn er gewusst hätte, dass der Mann auch zum Treffpunkt kommt, wäre er gar nicht hingegangen", so die Verteidigerin. Für den vorsitzenden Richter, Uwe Dumpelnik, wirkten diese Nachrichten eher als "normale Reaktion darauf, wenn man über den Tisch gezogen wird" und weniger als Drohung. Dass der 17-Jährige nichts vom Auftauchen des Mannes gewusst hatte, bezeugte die Bekannte des Opfers.
Der 20-jährige Rumäne, auf den eingestochen wurde, schilderte in seiner Zeugenaussage, dass er bei dem Treffen den Angeklagten zur Rede gestellt habe. Als dieser davongerannt sei, habe er ihn bis zur Asylunterkunft verfolgt, weil er das fehlende Gramm Cannabis haben wollte. Dort habe der 17-Jährige nach einem Freund gerufen. Auf das Tatmesser angesprochen, gab der Rumäne an, dass der Angeklagte beim Gespräch noch kein Messer in der Hand gehabt habe. Der Ägypter habe dieses gezogen, während er vor ihm davonrannte. "Sie sind ihm trotzdem nachgerannt?", wollte der Richter wissen. Die Antwort des Opfers: "Ich habe nicht damit gerechnet, dass es so weit kommt." Videoaufzeichnungen vor dem Asylheim belegten, dass der Angeklagte mit dem Messer fuchtelnd auf den 20-Jährigen zuging. Sekunden später kam ein 36-jähriger Asylwerber aus dem Heim gerannt. Der 20-Jährige sei vor den beiden geflohen, weil er angenommen habe, dass der Angeklagte nun Verstärkung bekommen hätte.
Die Flucht endete in einer Sackgasse. Nach den Schilderungen des Opfers habe der Ägypter mit dem Messer in Richtung seines linken Brustbereichs gestochen. Der Stich habe jedoch lediglich die Jacke beschädigt und drang nicht tiefer. Als Folge habe er den Angeklagten in den Schwitzkasten genommen. Der 36-jährige Zeuge schätzte nach eigener Aussage die Situation so ein: "Ich sah einen großen Mann (Anm.: das Opfer) und einen kleinen Jungen (Anm.: den Angeklagten). Ich wusste von Anfang an, dass der Große dem Kleinen wehtun will. Er bekam keine Luft, hätte ich nicht eingegriffen, wäre er vielleicht heute tot." Der 36-Jährige habe den Ägypter aus dem Klammergriff befreit und den Rumänen zu Boden gedrückt. Aber der Angeklagte habe seine Hilfe ausgenutzt und in dieser Situation mit dem Messer auf das Opfer eingestochen.
Stichwunde hätte ohne Not-OP zum Tod geführt
Eine Gerichtsmedizinerin erklärte dem Geschworenengericht, dass die Stichverletzung im unteren linken Rückenbereich vier bis fünf Zentimeter tief war, mit einem starken Blutverlust einherging und notoperiert werden musste: "Diese Verletzung hätte ohne zeitnahe medizinische Versorgung zum Tod geführt." Auf der Rückseite des linken Oberschenkels kam es zu einer kombinierten Stich-/Schnittverletzung. Dass die Verletzung im Brustkorb nicht tiefer gegangen sei, sei "reines Glück" gewesen, auch diese "Bewegung wäre dazu geeignet gewesen, den Tod herbeizuführen". Aufgrund der geraden Einstiche könne ausgeschlossen werden, dass die Verletzungen aus einer Schwitzkastenposition heraus entstanden sind.
Staatsanwältin Doris Kügler sah die Kriterien für einen bedingten Vorsatz und versuchten Mord erfüllt: "Es reicht, wenn der Angeklagte es ernstlich für möglich hält, dass das Opfer durch den Angriff stirbt." Einen Mordversuch hielt Verteidigerin Obergantschnig für "äußerst weit hergeholt", immerhin sei ihr Mandant in Panik und dem Opfer körperlich unterlegen gewesen. Die acht Geschworenen waren sich einig und sahen in dem Geschehenen einen Mordversuch ohne aus Notwehr zu handeln. Bei einem Strafrahmen von ein bis 15 Jahren fand das Gericht vier Jahre unbedingte Freiheitsstrafe als angemessen, die Vorhaft wird angerechnet. Zusätzlich muss der Angeklagte 2.500 Euro an das Opfer zahlen und die Kosten des Verfahrens übernehmen. Die Verteidigung legte Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung ein, die Staatsanwältin gab keine Erklärung ab.
