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Können Mann und Frau "nur Freunde" sein?

Ist eine Freundschaft ohne sexuelle Beziehung überhaupt möglich oder ist dann zumindest einer oder eine stets unglücklich, weil er oder sie sich neben der emotionalen auch sexuelle Nähe erhofft?

Wie kann eine freundschaftliche Beziehung gestaltet werden?
Wie kann eine freundschaftliche Beziehung gestaltet werden?

Nicht umsonst ist es in vielen Kulturen dieser Erde undenkbar, dass Männer und Frauen miteinander "nur befreundet" sein können. Meiner Erfahrung nach geht mann/frau aber oft vor lauter Angst vor allzu viel Nähe schnell auf Distanz - insbesondere, wenn der/die andere gebunden ist. Die kleine und angeblich ein bisschen hässliche Schwester Freundschaft erscheint dann als gefährliche Anarchistin, welche die Exklusivität ehelicher oder sonstiger partnerschaftlicher Exklusiv-Beziehungen zu sprengen vermag.

Tatsächlich hat Eros in einer Freundschaft zwischen Männern und Frauen - wie übrigens eben auch in schwulen und lesbischen Freundschaften - manchmal diese Macht. Mit dem Ausleben sexueller Intimität gewinnt die Freundschaft eine andere Beziehungsqualität, wobei mit der Betonung der anderen Beziehungsqualität weder eine Höher- noch eine Abwertung der Freundschaft verbunden ist.

Manchmal aber verzichten Freunde und Freundinnen ganz freiwillig auf den erotischen Flächenbrand und wärmen sich lieber an einem kleinen Feuer. Letztlich geht es darum, eine Entscheidung zu treffen, wie eine Beziehung gestaltet wird und welche Form sie annehmen soll. Dazu müssen zwei Menschen einen Weg finden, der für beide passt und Ausdruck der Verantwortung für die Umgebung um sie herum ist.

Jede Entscheidung hat ihren Preis

Alle Entscheidungen haben ihren Preis, an deren Folgen alle Beteiligten zu tragen haben - nicht nur Freund und Freundin, sondern auch die Menschen, für die sie möglicherweise bereits Verpflichtungen übernommen haben.

Frauen und Männer, die das Terrain ausdrücklich platonischer Freundschaft betreten, gehen immer "gewagte Beziehungen" ein. Nicht umsonst betrachtet die Umgebung normalerweise argwöhnisch, wer hier mit wem spricht / gerne zusammen arbeitet / essen geht / sich auch abends mal trifft usw. Ausgiebig wird dann kommentiert: "Haben die jetzt oder haben die nicht?" So war es ein gefundenes Fressen für die Weltpresse, darüber spekulieren zu können, ob Papst Johannes Paul II. mit der polnisch-amerikanischen Philosophin Anna-Teresa Tymieniecka vielleicht nicht doch mehr erlebt hat als "nur Freundschaft"? Auch diese enge Beziehung stand also noch posthum unter dem Rechtfertigungsbedarf, den Männer und Frauen in freundschaftlichen Beziehungen praktisch immer erfahren: "Wir sind nur Freunde", sagen sie dann und signalisieren nach allen Seiten: "Nein, wir haben nichts miteinander."

Sexualität als Trieb

Warum ist dieses Versteckspiel in unserer liberalen Gesellschaft notwendig, in der es doch angeblich kaum mehr Begrenzungen gibt? Vielleicht liegt es unter anderem an der Art, wie wir über das Begehren und über Sexualität sprechen. Hier dominiert nach wie vor die Rede von der Sexualität als Trieb. Dieser Trieb muss unbedingt ausgelebt und in geordnete Bahnen gelenkt werden, weil er sich sonst ungezügelt Bahn bricht und alles mit sich reißt.

In einem solchen Denken ist der bewusste Verzicht auf sexuelle Handlungen - wie in der monastischen oder priesterlichen Lebensform zölibatären Lebens, also eine rein platonische Freundschaft - zwischen heterosexuell empfindenden Männern und Frauen praktisch unmöglich. Nach dem Triebmodell muss eine Beziehung zwischen Mann und Frau irgendwann im Bett landen, sonst "stimmt was nicht".

Wo die Rede vom Trieb, der unbedingt nach Befriedigung verlangt, jedoch abebbt, weitet sich der Raum für die Freundschaft im Sinne einer tiefen Verbundenheit, die auch zwischen den Geschlechtern möglich ist - ungeachtet der jeweiligen geschlechtlichen Orientierung, ungeachtet von Alter und sozialer Schicht.

Traditionelle Geschlechterrollen müssen aufgebrochen werden

Neben der notwendigen Veränderung des Diskurses über Sexualität ist die zweite Voraussetzung für die Möglichkeit von Freundschaft zwischen Männern und Frauen die Arbeit an den traditionellen Geschlechterrollen. Wo Männer in der festgeschriebenen traditionellen Rolle von Männlichkeit "immer nur das eine wollen" und emotional inkompetent sind, brauchen sie dringend eine Frau zur "Triebbefriedigung" und als "emotionale Blindenhündin". Das klassische Pendant ist die Frau, die sich ganz und gar für ihren Mann aufopfert und bei diesem Selbstopfer nicht zuletzt in ökonomische Abhängigkeit gerät. Beziehungen, die unter diesem Stern stehen, sind Abhängigkeitsbeziehungen, keine Freundschaften.

Beide Beziehungsformen - Liebe und Freundschaft - setzen ein gleichberechtigtes und partnerschaftliches Miteinander voraus. Sie gelingen beide nur, wenn die Geschlechter einander in Augenhöhe begegnen können. Wo die Liebe dann beginnt und die Freundschaft aufhört oder umgekehrt, ist letztlich nicht mehr zu beantworten. Ich meine, dass sie irgendwann auch gar nicht mehr beantwortet
werden muss.

Dieser Beitrag ist dem neuen Buch von Angelika Walser entnommen: "In deiner Nähe geht es mir gut - Warum Freundschaften lebensnotwendig sind" (128 S., 14,95 Euro, Tyrolia 2017). Die Salzburger Professorin für Moraltheologie und spirituelle Theologie setzt sich historisch, psychologisch, soziologisch und ethisch mit Freundschaft auseinander.

Buchpräsentation: Dienstag, 19. September,
20.00 Uhr, Panoramabar/Stadtbibliothek Salzburg, Anmeldung: stadtbibliothek@stadt-salzburg.at