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Neun Jahre Haft für tödliche Bluttat am Wiener Hauptbahnhof

Weil er einen Landsmann erschlagen hat, ist ein 55-jähriger Ungar am Dienstag am Wiener Landesgericht wegen absichtlicher schwerer Körperverletzung mit Todesfolge rechtskräftig zu einer neunjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Den inkriminierten Mord verneinten die Geschworenen in ihrem Wahrspruch einstimmig. Der Angeklagte hatte dem Opfer am 7. April 2025 in einem Wartebereich am Hauptbahnhof elf Faustschläge ins Gesicht versetzt, die der Mann nicht überlebte.

Inkriminierte Gewalt spielte sich vor Augen zahlreicher Zeugen ab
Inkriminierte Gewalt spielte sich vor Augen zahlreicher Zeugen ab

Mehrere unmittelbar daneben sitzende Augenzeugen, die das Tatgeschehen mitbekamen, schritten nicht ein. Dabei wäre das Opfer bei rascher ärztlicher Hilfe wohl zu retten gewesen. Letzteres machte der gerichtsmedizinische Sachverständige Christoph Reisinger bei der Erstattung seines Gutachtens deutlich. Demnach hätte bei umgehender Einleitung der Rettungskette der 37-Jährige mit ziemlicher Sicherheit überlebt. Er starb letztlich nach seiner Überstellung in ein Spital an den Folgen eines Schädel-Hirn-Traumas und Blutungen im Schädelinneren.

Der Angeklagte und das Opfer hatten sich wenige Tage vor der Tat bei einer Zugfahrt von Budapest nach Wien kennengelernt. Beide hatten keinen Unterstand und hielten sich am Hauptbahnhof auf. Am 7. April kam es zu einem Streit, wobei beide Männer stark alkoholisiert waren. Schließlich ging der Ältere mit Fäusten auf den zunächst neben ihm Sitzenden los, wobei die Szenen von einer Überwachungskamera aufgezeichnet wurden.

"Er drischt auf den Kopf des Opfers ein wie auf einen Boxsack"

Ehe die Aufnahme im Gerichtssaal mehrfach abgespielt wurde, warnte Staatsanwältin Kerstin Wagner-Haase die Geschworenen vor. Sie sei "erschüttert von der Brutalität" gewesen, als sie das Video im Ermittlungsverfahren erstmals zu sehen bekam: "Er drischt auf den Kopf des Opfers ein wie auf einen Boxsack."

Mindestens genauso entsetzt hätte sie die Reaktion der Menschen, die unmittelbar neben bzw. dem Angegriffenen gegenüber saßen, verriet die Staatsanwältin. Es gab nämlich keine. Der Mann, der auf dem Sitzplatz unmittelbar neben dem 37-Jährigen saß und dem dessen Kopf nach einem Schlag sogar gegen die linke Schulter donnerte, blieb ungerührt sitzen, um schließlich aufzustehen und wegzugehen. Eine direkt gegenüber sitzende Frau beschäftigte sich weiter mit ihrem Handy. Andere schauten einfach weg. "Keiner dort zeigt Zivilcourage", kommentierte die Staatsanwältin das Geschehen.

Opfer fuhr zum Flughafen und verlor erst dort Bewusstsein

Nach dem elften Schlag entfernte sich auch der Angreifer. Der Attackierte hatte das Bewusstsein allerdings nicht verloren. Ungeachtet seiner schweren Verletzungen - er dürfte, wie später die Obduktion ergab, zwei Promille Alkohol im Blut gehabt haben - begab er sich mit einem Zug zum Flughafen, wo er wiederum von einer Überwachungskamera erfasst wurde. Am Morgen des 8. April wurde er dann in der Ankunftshalle im Terminal 3 reglos am Boden liegend aufgefunden. Der Ungar wurde mit einem Notarzthubschrauber in ein Wiener Spital geflogen und dort notoperiert, nachdem ein MRT die Schädelverletzungen zutage gefördert hatte. Das Leben des Mannes war allerdings nicht mehr zu retten.

Auf die Spur des Angeklagten kam man dank "perfekter und überaus engagierter Polizeiarbeit", wie die Staatsanwältin betonte. Mittels einer sogenannten Kamerarückverfolgung wurde von den Kriminalisten rekonstruiert, wie der 37-Jährige zum Flughafen gelangt war. Nach stundenlanger Sichtung von Bildmaterial von in öffentlichen Verkehrsmitteln angebrachten Überwachungskameras fand man zunächst heraus, dass der Ungar mit einer S-Bahn-Garnitur vom Hauptbahnhof Richtung Flughafen gefahren war. Daraufhin wurden die Bänder von Überwachungskameras am Bahnhofsgelände untersucht - man stieß auf die Szene mit den Faustschlägen.

Die Identität des Angreifers war jedoch unbekannt. Ein Polizist, der in die Erhebungen eingebunden war, erkannte dann den 55-Jährigen anhand des Bildmaterials wieder, als er am 10. April in zivil zufällig am Hauptbahnhof unterwegs war und dem dort wieder aufhältigen Ungarn begegnete. Der Beamte verständigte umgehend Kollegen, die den 55-Jährigen als dringend Tatverdächtigen festnahmen.

"Ich habe etwas Böses getan, es tut mir wirklich leid"

"Ich habe etwas Böses getan, es tut mir wirklich leid", sagte der Angeklagte nun vor einem Schwurgericht. Zum inkriminierten Mord war der 55-Jährige nicht geständig. "Er wollte ihm ordentlich eine reintunken. Aber töten wollte er ihn nicht", stellte sein Verfahrenshelfer fest. Der Anwalt wies darauf hin, dass der Angeklagte vom Opfer von sich aus abgelassen und nicht hingeschlagen habe, "bis er sich nicht mehr rührt". Man könne seinem Mandanten nur eine Körperverletzung nachweisen, aber in diesem Zusammenhang nicht die Todesfolge vorwerfen: "Wir wissen nicht, was im Zug zum Flughafen oder dazwischen passiert ist. Er kann auch gestürzt sein und sich dabei weiter verletzt haben."

Mit dem Urteil waren dann sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwältin einverstanden. Bei der Strafbemessung wurde "das außerordentlich hohe Ausmaß an Gewalt" als erschwerend gewichtet, so dass bei einem Strafrahmen von fünf bis 15 Jahren die verhängte Strafe "gerade noch angemessen" sei, sagte die vorsitzende Richterin in der Urteilsbegründung. "Sie haben einen Menschen zu Tode geprügelt", gab sie dem 55-Jährigen zu bedenken.