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Nach Vorwürfen gegen Gmeiner nun Diskussion um Umbenennungen

Nach dem Bekanntwerden schwerer Missbrauchsvorwürfe gegen den 1986 verstorbenen Gründer der SOS-Kinderdörfer, Hermann Gmeiner, wird nun über die zahlreichen Zentren, Plätze und Straßen diskutiert, die in Österreich seinen Namen tragen. Umbenennungen stehen hier im Raum. Auch die Entfernung von Denkmälern wird überlegt - wobei in Imst sogar bereits zwei abmontiert wurden. Das Land Tirol prüft die Aberkennung von Auszeichnungen. Bürgermeister zeigten sich schockiert.

Gegen Gmeiner gibt es schwere Missbrauchsvorwürfe
Gegen Gmeiner gibt es schwere Missbrauchsvorwürfe

In Imst in Tirol, wo das erste Kinderdorf im Jahr 1951 eröffnet worden war, zeigte man sich angesichts der Vorwürfe gegen Gmeiner schockiert. Zwei Denkmäler des SOS Kinderdorf-Gründers - eine Bronzestatue vor der Imster Johanneskirche, eines vor dem Pflegezentrum - wurden bereits entfernt. Sie befinden sich unter Verschluss am Bauhof. Auch Umbenennungen einer Straße sowie von Kindergarten und Volksschule sollen folgen. "Es wird einen kompletten Schnitt mit allem geben, was seinen Namen betrifft", sagte Bürgermeister Stefan Weirather (ÖVP) zur APA am Freitag. Missbrauch von Kindern sei "einfach indiskutabel", begründete Weirather die Schritte. Auch die mögliche Aberkennung der Ehrenbürgerschaft der Stadt Imst stehe selbstverständlich im Raum. "Da sich die Ereignisse derzeit so überschlagen und Gmeiner schon lange tot ist, müssen wir aber erst prüfen, ob er überhaupt Ehrenbürger ist", so der Bürgermeister dazu. Weirather betonte aber auch, dass die derzeitigen Mitarbeiter von SOS Kinderdorf teils hervorragende Arbeit leisten würden. Sie gelte es vor "Pauschalverurteilungen" zu schützen. Kritik gab es vom Bürgermeister der Bezirkshauptstadt an der Informationspolitik der SOS-Kinderdorf-Führung: "Dass solche Informationen lange geheim gehalten wurden, ist nicht zufriedenstellend." Das SOS-Kinderdorf in Imst würde wie eine "Glaskugel" funktionieren, in der Themen nicht nach außen getragen worden seien.

Tirol leitet Aberkennungsprüfung für Auszeichnungen ein

Konsequenzen für den verstorbenen gebürtigen Vorarlberger Gmeiner werden auch auf Landesebene ins Auge gefasst. Das Land Tirol leitete hinsichtlich der Gmeiner verliehenen Auszeichnungen eine "Aberkennungsprüfung" ein, wie es am Freitag gegenüber der APA hieß. Der SOS Kinderdorf-Gründer war im Jahr 1980 mit dem "Ring des Landes Tirol" ausgezeichnet worden - der höchsten zu vergebenden Auszeichnung, für die ein Beschluss des Landtages notwendig ist. Bereits 1959 hatte Gmeiner das Ehrenzeichen des Landes erhalten. Im Tiroler Landes-Auszeichnungsgesetz sei festgelegt, dass eine Auszeichnung bei rechtskräftiger Verurteilung wegen strafbarer Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung ex lege als widerrufen gelte oder posthum aberkannt werde, sofern Tatsachen im Nachhinein bekannt werden, die einer Verleihung entgegengestanden wären. "Die im Raum stehenden Vorwürfe sind zweifelsohne mit einer Ehrwürdigung durch das Land Tirol nicht vereinbar", verlautete es aus dem Landhaus zur aktuellen Causa. Die Vorwürfe würden eine Neubewertung der Auszeichnungen "dringend notwendig" machen. Für eine Rückgängigmachung der Auszeichnungen seien die jeweiligen Gremien zu berücksichtigen, wurde betont.

Das Land sei ob der Vorwürfe jedenfalls "zutiefst betroffen." "Die Vorwürfe sind ernst zu nehmen und lückenlos aufzuklären. Das Land Tirol hat die Geschäftsführung von SOS Kinderdorf in Tirol bereits aufgefordert, sämtliche relevante Daten zu etwaigen Fällen in Tirol zu übermitteln", hieß es in der Stellungnahme.

Umbenennungs-Diskussionen in Wien

In Wien wird indes bereits über eine Umbenennung des im ersten Bezirk gelegenen Hermann-Gmeiner-Parks diskutiert. Wiens Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ) sprach sich gegenüber dem ORF Wien für eine Umbenennung aus. Voraussetzung dafür sei ein Antrag des Bezirks. Dort ließ man wissen, dass eine Umbenennung "unumgänglich" sei, falls sich der Verdacht erhärte. Im Park befindet sich auch eine Büste Gmeiners. Die Grünen sprachen sich am Freitag bereits für eine Entfernung aus.

In Graz steht man der Idee, den Hermann-Gmeiner-Weg im südwestlichen Stadtbezirk Straßgang umzubenennen, aufgeschlossen gegenüber. Mit heutigem Wissen hätte man den Weg nicht nach Gmeiner benannt, er ist nicht mehr der ideale Namensgeber, hieß es auf Anfrage aus dem Büro von Bürgermeisterin Elke Kahr (KPÖ). Es sei zum Glück nur ein sehr kleiner Weg mit wenigen Häusern, der Aufwand wäre gering. Rückmeldungen über Widerspruch habe man nicht. Zuständig sei das Stadtvermessungsamt, die Sache müsste im Gemeinderat beschlossen werden, hieß es.

Die zuständige Grazer Vizebürgermeisterin Judith Schwentner (Grüne) ist für eine "offene und sorgfältige Prüfung". Von einer Umbenennung betroffen wären 29 Haushalte. Für den Bürgermeister des südsteirischen Wildon, Christoph Grassmugg (ÖVP), wo es ebenfalls einen Gmeiner-Weg gibt, ist es laut "Antenne Steiermark" nicht mehr "state of the art", dann noch jemandem "so eine Plattform zu geben". Am dortigen Hermann-Gmeiner-Weg gibt es rund 15 Objekte. Der Ortschef geht davon aus, dass niemand in einer Straße mit belastetem Namen wohnen möchte. Laut "Kleine Zeitung" werde in Kleinstübing nördlich von Graz - Standort des ersten steirischen Kinderdorfes - eine Umbenennung der Hermann-Gmeiner-Siedlung vorerst ausgeschlossen. Dies sei jetzt kein Thema, zitierte die Zeitung den Ortschef.

Debatte auch um Zentren

Auch die Organisation selbst überlegt, wie mit dem Erbe Gmeiners umgegangen werden soll. Die von SOS-Kinderdorf geführten Kärntner Ambulatorien in Moosburg und Villach ("Hermann-Gmeiner-Zentren") tragen den Namen des Gründers. Auch dort wird nun eine Änderung der Bezeichnung in Betracht gezogen, wie eine Sprecherin der "Kleinen Zeitung" erläuterte.

In Pinkafeld könnte das SOS Kinderdorf eine neue Adresse bekommen. Derzeit liegt es noch an der Hermann-Gmeiner-Straße, das dürfte sich aber ändern, wenn es nach Bürgermeister Kurt Maczek (SPÖ) geht. Er will das Thema Umbenennung im Stadtrat aufgreifen und diskutieren. Wenn die Vorwürfe gegen Gmeiner stimmen, sollte man darüber jedenfalls nachdenken, sprach er selbst sich auf APA-Anfrage für die Umbenennung aus.

Stadtsenat in Klagenfurt befasst

Auch in Klagenfurt gibt es eine Straße, die nach Hermann Gmeiner benannt ist. Am kommenden Dienstag werden die Mitglieder des Stadtsenats in ihrer Sitzung eine mögliche Umbenennung diskutieren, teilte eine Sprecherin von Bürgermeister Christian Scheider (FSP) auf APA-Anfrage mit.

Der Gründer der SOS-Kinderdörfer wurde an zahlreichen Orten gewürdigt. Straßen bzw. Wege in ganz Österreich tragen seinen Namen. Laut dem Straßenverzeichnis der Statistik Austria sind es mindestens 14.

Auch Salzburgs Stadtregierung prüft Umbenennung

In der Stadt Salzburg wird die Stadtregierung ebenfalls das Thema eingehend beraten. "Die in den Medien erhobenen Vorwürfe gegen den SOS-Kinderdorf-Gründer Hermann Gmeiner haben mich zutiefst erschüttert. Sollte sich die Tragweite der kolportierten Anschuldigungen bestätigen, sehe ich dringenden Handlungsbedarf. In einem solchen Fall ist es unsere Verantwortung, konsequent zu handeln und klare Zeichen zu setzen - aus meiner Sicht führt dann kein Weg an einer Umbenennung vorbei", sagte Bürgermeister Bernhard Auinger (SPÖ). Er kündigte Gespräche mit Vertreterinnen und Vertretern von SOS-Kinderdorf sowie anderen Städten und Gemeinden an, die sich ebenfalls mit der Frage von Straßen- und Parkbenennungen auseinandersetzen. Laut Auinger ist bei der Frage auch der direkte Austausch mit den Anrainerinnen der Hermann-Gmeiner-Straße wichtig.

Der Bürgermeister der Gemeinde Seekirchen am Wallersee im Salzburger Flachgau, Konrad Pieringer (ÖVP), sagte auf Anfrage, dass er sich zur Causa nicht äußern wolle, weil er die Sachlage nicht kenne. In Seekirchen befindet sich ebenfalls ein SOS Kinderdorf in einer nach dem Gründer benannten Straße.

Zusatzschilder in St. Pölten

In St. Pölten, in der sich eine Hermann-Gmeiner-Gasse befindet, wurde auf Anfrage auf geplante Zusatzschilder verwiesen. Diese sollen künftig bei sogenannten "belasteten Straßennamen" - aber auch bei besonders positiv besetzten Bezeichnungen - angebracht werden und mittels QR-Code über die betreffenden Personen informieren. "Wir gehen damit einen eigenen St. Pöltner Weg, womit wir gleichzeitig auch Widerstandskämpfer:innen, NS-Opfer und Persönlichkeiten, die Positives geleistet haben, ins Bewusstsein der Bevölkerung rücken können", wurde mitgeteilt. Der Antrag dazu werde dem Gemeinderat in seiner nächsten Sitzung zur Beschlussfassung vorgelegt, hieß es.

In Hinterbrühl (Bezirk Mödling) soll über eine Umbenennung der Dr. Hermann Gmeiner-Gasse und der Hermann-Gmeiner-Schule diskutiert werden. Es gelte, "mit Vernunft und Augenmaß" und gleichzeitig den Erkenntnissen der heutigen Zeit entsprechend zu handeln, sagte Bürgermeister Erich Moser (ÖVP) zur APA.

Heimatgemeinde überlegt ebenfalls Schritte

Hermann Gmeiner wurde auch in seinem Heimatbundesland Vorarlberg mit zahlreichen Ehrungen bedacht. So ist er Ehrenbürger seines Geburtsortes Alberschwende. Dort ist der Gemeindesaal nach ihm benannt, auch ein Denkmal erinnert an ihn. "Das über Jahrzehnte geprägte Bild von Hermann Gmeiner ist durch die Vorwürfe aus den aktuellen Berichten stark erschüttert. Die Vorwürfe werfen große Schatten auf das Lebenswerk von Hermann Gmeiner", befand Bürgermeister Klaus Sohm in einer Aussendung am Freitag. Die Gemeinde werde sich gründlich Gedanken über den Umgang mit ihrem Ehrenbürger machen. Man hoffe auf eine vollständige Klärung im Sinne der Betroffenen.

In Dornbirn ist Gmeiner ein Park und ein Weg gewidmet, in der Stadt wird nun laut Medienberichten überlegt, wie man damit umgehen soll. Gmeiner erhielt zudem 1974 das Goldene Ehrenzeichen des Landes Vorarlberg. Eine Entziehung der höchsten Vorarlberger Landesauszeichnung ist bei lebenden Personen unter bestimmten Voraussetzungen möglich, eine posthume Aberkennung ist gesetzlich nicht vorgesehen.

Das kritisieren die Grünen bereits seit längerem in Bezug auf die NS-treue Schriftstellerin Natalie Beer, die 1975 das Silberne Ehrenzeichen erhielt. Die Diskussion - eine Änderung wurde bisher von ÖVP und FPÖ abgelehnt - könnte durch den Fall Gmeiner nun wieder Aufwind erhalten. Die SPÖ forderte am Freitag ebenfalls eine Gesetzesänderung, die eine posthume Aberkennung in begründeten Fällen ermöglicht.

Linz prüft etwaige Schritte

Die Stadt Linz prüft ebenfalls etwaige Schritte, hieß es am Freitag auf Anfrage aus dem Büro der Stadtregierung. In der oberösterreichischen Landeshauptstadt gibt es im Stadtteil Ebelsberg einen rund 250 Meter langen Gmeinerweg, der 1992 nach dem Gründer der SOS-Kinderdörfer benannt wurde.

Bundesländer erwarten "vollste Transparenz"

Die Kinder- und Jugendhilfereferenten der Bundesländer haben sich bei ihrem Treffen in Salzburg am Freitag "zutiefst betroffen" zu den zuletzt bekannten Vorwürfen gezeigt. Die Konferenz "erwartet sich vollste Transparenz und Kooperation vonseiten des SOS-Kinderdorfs. Dazu gehört auch die umgehende und umfassende Bereitstellung aller für eine grundlegende Aufarbeitung notwendigen Unterlagen", heißt es in einer gemeinsamen Erklärung.

Salzburgs Soziallandesrat Wolfgang Fürweger (FPÖ) ging in einer Aussendung weiter: Er forderte namens seines Bundeslandes zum einen eine öffentliche Entschuldigung "ohne Ausflüchte und ohne PR-Formulierungen. Eine ehrliche und persönliche Anerkennung des Leids ist längst überfällig". Zweitens fordert er eine lückenlose und transparente Aufklärung. Daraus müsse ein tragfähiges Sicherheits- und Kontrollsystem entstehen, das neue Vorfälle ausschließe. "Aufklären heißt nicht beschwichtigen, sondern Missstände ein für alle Mal abstellen", so Fürweger. Und drittens erwarte sich das Land bis Ende 2026 einen vollständigen Abschlussbericht mit klaren strukturellen Maßnahmen.