Der PAIS-Aktionsplan, der die medizinische und soziale Versorgung von Betroffenen verbessern soll, wurde noch unter Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) unter der türkis-grünen Regierung entwickelt und hätte eigentlich bereits Ende 2024 fixiert werden sollen. Gescheitert ist dies am notwendigen Beschluss in der Bundes-Zielsteuerungskommission (aus Bund, Bundesländern und Sozialversicherungsträgern). Das Nein kam dem Vernehmen nach vom Dachverband der Sozialversicherungsträger und auch von einzelnen Bundesländern.
Die Umsetzung dürfte sich nun weiter (bis Mitte 2026) verzögern, hieß es vor zwei Wochen. Grund dafür sind laut Gesundheitsstaatssekretariat "Zweifel" "einzelner Partner" in der Zielsteuerungskommission - und zwar an den vom Bund (konkret dem PAIS-Referenzzentrum) zur Verfügung gestellten "zentralen Grundlagen". In Frage gestellt werden von einzelnen Stakeholdern insbesondere die Krankheits-Definition PAIS sowie die vom Referenzzentrum hochgerechneten Fallzahlen und die damit zusammenhängende Bedarfs-Analyse.
ÖGN: Niedergelassener Bereich als "Basisbetreuung"
In dem in der aktuellen Ausgabe des Verbands-Zeitschrift "neurologisch" publizierten "Standortbeschtimmung" wird der Plan als "sinnvolle und notwendige Strategie" bezeichnet. Dieser sehe vor, dass die Erstabklärung und Basisbetreuung im niedergelassenen Bereich (Allgemeinmedizin, Neurologie) stattfinde. "Von dort aus erfolgt bei Bedarf eine Zuweisung an dezentrale, interdisziplinäre Behandlungseinrichtungen der ambulanten Fachversorgung". "Spezialisierte Versorgungseinheiten sollen schließlich für die Behandlung von besonders schweren oder komplexen Fällen sowie für die Forschung zur Verfügung stehen", so das Statement. Ihre Rolle sieht die Neurologie dabei "als integralen Bestandteil dieser Versorgungsstruktur".
"Forschungsanstrengungen" nötig
Gleichzeitig sieht die Gesellschaft auf dem Gebiet der postakuten Infektionssyndrome "nach wie vor erhebliche wissenschaftliche Lücken". Obwohl immunologische und inflammatorische Prozesse bei PAIS oder ME/CFS eine Rolle spielen würden, sei der Nachweis einer spezifischen, kausalen neuroimmunologischen Pathogenese "bisher nicht erbracht worden". Wenig Freude hat die Gesellschaft daher mit der (international üblichen, Anm.) Bezeichnung "myalgische Enzephalomyelitis": Diese sei "aus neurologischer Sicht wissenschaftlich nicht begründbar".
Auch verweist man in der ÖGN darauf, das aktuell "keine zugelassenen, kausal wirksamen und evidenzbasierten Therapien" existieren würden. "Die Behandlungsansätze sind daher primär symptomorientiert". Diese wissenschaftlichen Unsicherheiten müssten "offen kommuniziert" werden, auch um falsche Erwartungen (insbesondere bei Betroffenen) zu vermeiden - und um die "Forschungsanstrengungen auf die Klärung dieser fundamentalen Fragen zu lenken".
Verweis auf Debatte in Deutschland
Inhaltlich sieht sich die ÖGN mit der deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) im Gleichklang: Die DGN hatte im Sommer ebenfalls eine Stellungnahme zu ME/CFS veröffentlicht - und diese sei "inhaltlich völlig mit der Position unserer Fachgesellschaft übereinstimmend", hielt ÖGN-Präsident Jörg Weber nun im Editorial der Zeitschrift seiner Gesellschaft fest.
Das DGN-Statement war von Patientenvertretern und Teilen der Wissenschaftscommunity teils scharf kritisiert worden, u.a. wegen deren Fokus auf vermeintlich psychische oder psychosomatische Ursachen und funktionelle Störungen - ein Aspekt, der im ÖGN-Statement kaum Raum fand. Die ebenfalls seitens der deutschen Gesellschaft geäußerte Ansicht, derzeit sei "nicht davon auszugehen, dass immunologische Faktoren eine entscheidende Rolle bei ME/CFS spielen" wurde etwa von der renommierten Immunologin Akiko Iwasaki von der Yale University (USA) klar zurückgewiesen.
Kein Kommentar zur erwarteten Verzögerung
Zu der erwarteten Verzögerung bei der Umsetzung des Aktionsplans und zu den berichteten Zweifel "einzelner Partner" in der Zielsteuerungskommission wollte man sich auf APA-Anfrage seitens der ÖGN nicht äußern. Auch für ein Interview stand seitens der Gesellschaft niemand zur Verfügung. Man bitte um Verständnis, dass der Vorstand der ÖGN zu diesen Fragen "nicht Stellung nehmen kann", hieß es schriftlich.
Referenzzentrum: Verzögerung bedauerlich
Seitens des PAIS-Referenzzentrums an der MedUni Wien hieß es zur APA, die Verzögerung sei selbstverständlich bedauerlich, aber auch ein "notwendiger Schritt", damit es zur Umsetzung der im Aktionsplan beschriebenen Maßnahmen auch auf Länderebene kommen kann. Die vor zwei Wochen erwähnten "Zweifel" einzelner Partner in der Zielsteuerungskommission seien bisher nur medial an das Referenzzentrum vorgedrungen. "Da wir im ständigen Austausch mit dem Bundesministerium stehen, werden wir dies intern klären und gegebenenfalls vorhandene Zweifel im direkten Austausch ausräumen", so die Leiterinnen des Referenzzentrums in einem schriftlichen Statement.
Betont wurde seitens des Referenzzentrums, dass man als Universität der Evidenz und den vorhandenen Daten verpflichtet sei. Daher gehe man davon aus, dass - "falls tatsächlich Zweifel vorhanden wären" - diese "nur aufgrund von fehlender Information entstanden sind". Das Referenzzentrum stehe selbstverständlich den Stakeholdern zum Austausch und zur Diskussion zur Verfügung.
Krankenpflegeverband: Kein Verständnis für Verzögerungen
"Überhaupt kein Verständnis" für die Verzögerung hat die Präsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbands, Elisabeth Potzmann. "Es ist nicht nachvollziehbar", sagte sie zur APA. Der Aktionsplan sei durch den obersten Sanitätsrat gegangen. Sie sehe "sehr hohen Handlungsbedarf", so Potzmann.
