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Insektensterben in Österreich - Kampf um jeden Brummer

Wann haben Sie das letzte Mal ein zermatschtes Insekt von Ihrer Windschutzscheibe entfernt? Lange her? Das ist keine gute Nachricht. Aber es gibt Menschen, die das erkannt haben. Und handeln.

54.125 ist eine stolze Zahl. Genauso viele Tierarten gibt es nämlich in Österreich, 40.000 davon sind Insekten. Diese Zahl hat die Salzburger Biologin Elisabeth Geiser in einer 2018 aktualisierten Artenliste veröffentlicht. 20 Jahre zuvor hatte die Wissenschafterin noch eine Aufstellung mit rund 8200 Arten weniger publiziert. Der Zuwachs sei "hauptsächlich auf eine genauere Erforschung der österreichischen Fauna zurückzuführen", schrieb Geiser. Insgesamt 40 Forscher trugen zur Erstellung der Liste bei.

Der Artenzuwachs erscheint doch erfreulich zu sein. Ist er aber nicht. Denn Geiser führt weiters an: "Diese neue hohe Artenzahl verdeckt allerdings ein ernstes Problem: Obwohl sich die Artenzahl scheinbar vergrößert hat, nimmt die Biomasse vieler Tierarten ab. Die Biomasse der Insekten ist nachweislich um 75 Prozent zurückgegangen, und zwar in verschiedenen und auch in geschützten Habitaten. Dadurch wird ein Domino-Effekt ausgelöst, der sich auch auf die Reproduktion von zahlreichen Vogel- und Fledermausarten und auf die Bestäubung von Blütenpflanzen auswirkt. Die erfreulich hohe Artenzahl für Österreich bezeichnet daher einen Status, der zahlreiche vom Aussterben bedrohte Arten mit einschließt."

Geisers Fachgebiet ist die Entomologie, also die Insektenkunde. Mehr als 20 Jahre war sie im Salzburger "Haus der Natur" tätig. Dort leitet heute Patrick Gros die Arbeitsgruppe Entomologie.

Der Wissenschafter ist ein Mann klarer Worte, wenn es um das Insektensterben geht: "Es ist die Nutzung der Landschaft durch den Menschen. Tiere finden keinen Raum mehr. Durch die monokulturelle Bewirtschaftung kann ja nichts mehr anderes wachsen als Gras." Vor allem im Flachland wie etwa dem Salzburger Zentralraum, auch wenn im Flachgau im Vorjahr Wildblumenwiesen-Projekte gestartet wurden.

Bild: SN/robert ratzer
Dort, wo wir früher auf einer Wiese gut 100 Schmetterlinge fanden, sehen wir heute nur mehr ein bis zwei.
Patrik Gros, Entomologe (Haus der Natur).

Doch gleichzeitig verschwinden in Salzburg täglich 0,6 Hektar Bodenfläche unter Beton und Asphalt. Die Versiegelung der Böden schreitet in Österreich mit 13 Hektar täglich munter voran. Die Allianz "Stoppt Bodenvernichtung" (gegründet von Hagelversicherungs-Chef Kurt Weinberger) kann zumindest auf prominente Mitstreiter zählen. Beispielsweise Festspiel-Jedermann Tobias Moretti, der mit seiner Frau einen Biobauernhof in Tirol bewirtschaftet.

Morettis Kritik: "Wir legen unsere Lebensmittelversorgung in Schutt und Asche und sägen am eigenen Ast."

Aber nicht nur die Intensivlandwirtschaft trage das Ihre zum Verfall der Biodiversität bei. Gros: "Gärten oder Straßenränder werden völlig sinnlos gemäht. Und dort, wo wir früher auf einer Wiese gut 100 Schmetterlinge fanden, sehen wir heute nur mehr ein bis zwei." In Koppl, wo er wohne, habe er aber schon einmal erreicht, dass Straßenränder zumindest nicht auf beiden Seiten der Fahrbahn niedergemäht werden. Solche ungemähten Flächen könnten auch Gartenbesitzer zulassen, Gros spricht von "Trittbrett-Biotopen".

An tot gemähten und tot gedüngten monochrom grünen Rasenflächen erfreut sich ohnehin nur der Mensch, der mit der chemischen Keule alles niederknüppelt. Gros: "In der Landwirtschaft ist vieles schon gar nicht mehr zugelassen. Aber es ist unglaublich, was für einen Dreck man trotzdem noch für den privaten Garten kaufen darf." Und er appelliert eindringlich: "Die ganze Natur hängt von den Insekten ab."

Besorgniserregende Beobachtungen in Zusammenhang mit Hummeln hat auch der Salzburger Biologe Johann Neumayer gemacht. Das Nahrungsangebot werde durch die Versiegelung der Landschaft und das häufige Mähen landwirtschaftlicher Flächen immer schwächer, für die Hummeln bedeute das seit Jahren Dauerstress, erklärt Neumayer. "Es ist schon fast Normalität, dass die Völker dahindümpeln." Auch private Gärten gäben immer weniger für die Insekten her.

Völlig chancenlos sind Insekten aber nicht - vor allem dann nicht, wenn sie beispielsweise an den Hängen wie jenem des Untersbergs ihr Habitat finden. Diese Hänge sind für Landwirtschaft schlicht zu steil. Gros: "Das ist unser Glück. Wir haben Gebirge."

Allerdings seien Insekten als wechselwarme Tiere stark von der Umgebungstemperatur abhängig. Ab 1000 Meter Seehöhe finden sie aber auch ohne menschliches Zutun immer weniger idealen Lebensraum. Das Dilemma wird zusätzlich dadurch verschärft, dass Schutzgebiete wie der Nationalpark deutlich höher liegen.

Deutlich tiefer, auf gut 450 Metern, liegt in Salzburg-Maxglan die Panzerhalle. Die heißt so, weil sie einst dem Bundesheer gehörte. Jetzt arbeiten dort verschiedenste Unternehmen. Die Psychologin, Psychotherapeutin und medizinische Wissenschafterin Elisabeth Adleff kümmert sich dort um ihre Klienten - und seit Neuestem auch um Bienen. Vier Stöcke sind am westlichen Ende der Panzerhalle aufgestellt, für einen übernahm Adleff eine Patenschaft: "Unser Ziel ist eine Bienen-Connection über Salzburg. Wir wollen andere Unternehmen ermutigen, ebenfalls so etwas zu machen." Aus den vier Maxglaner Stöcken soll ein Bienenhaus entstehen. Und in Bergheim, wo ein altes Handelszentrum in ein neues umgebaut wird, ebenso. Vielleicht klatschen dann auch wieder Insekten gegen Windschutzscheiben.


Eine mit Pollen beladene Biene fliegt zurück in ihren Bienenstock.
Eine mit Pollen beladene Biene fliegt zurück in ihren Bienenstock.