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Was steckt hinter der Ideologie der Reichsbürger und Staatsverweigerer?

Sogenannte Reichsbürger und Staatsverweigerer richten sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung. Doch welche Ideologie steckt eigentlich dahinter und wie viele Personen können der Szene zugeordnet werden.

Staatsverweigerer stellen sich offen gegen den Staat oder verleugnen dessen Existenz.
Staatsverweigerer stellen sich offen gegen den Staat oder verleugnen dessen Existenz.

1. Was versteht man unter "Reichsbürgern" bzw. "Staatsverweigerer"?

Staatsverweigerer stellen sich offen gegen den Staat oder leugnen gar dessen Existenz. Bisher ist unklar, wie groß die Schnittmenge von Staatsverweigerern und Rechtsextremen ist. In Deutschland stehen die Reichsbürger für diese Schnittmenge. Die Anhänger erkennen die Bundesrepublik Deutschland nicht als Staat an. Reichsbürger erklären wahrheitswidrig, das historische Deutsche Reich bestehe bis heute fort. Sie negieren heutige demokratische und rechtsstaatliche Strukturen wie Parlament, Gesetze oder Gerichte. Steuern, Sozialabgaben oder Geldstrafen wollen sie nicht zahlen. Dasselbe gilt in Österreich, wo sie Staatsverweigerer genannt werden.

Das deutsche Bundesamt für Verfassungsschutz rechnet der gesamten Szene der Reichsbürger rund 21.000 Anhänger zu. Etwa zehn Prozent von ihnen sieht die Behörde als gewaltorientiert an. Bei rund 1.150 handelt es sich nach Angaben der Behörde um Rechtsextremisten.

In Österreich konnten im Mai exakt 3856 Personen der Szene der Staatsverweigerer zugeordnet werden. 2017 lag die Zahl noch bei rund 1500, 2018 stieg sie auf 2600, Ende 2020 waren es 3693. Omar Haijawi-Pirchner, der Leiter der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN), sprach gestern von "einer starken Szene" im Land.

2. Welche Ideologie steckt genau dahinter?

Staatsverweigerer verbreiten Verschwörungstheorien, Antisemitismus und Rassismus. Auch die Verschwörungsmythen der Reichsbürger transportieren nach Auffassung des Verfassungsschutzes Deutschland antisemitische Muster, die etwa auch bei Rechtsextremen eine wichtige Rolle spielen. Dazu gehören etwa die Leugnung des Holocausts, eine Schuldzuweisung an "die Juden" oder der sogenannte "Deep State"-Mythos, nach dem geheime Mächte vermeintlich das Weltgeschehen lenkten.

Weit verbreitet ist etwa die falsche Behauptung, Deutschland sei weiterhin von den vier Siegermächten des Zweiten Weltkriegs besetzt. Doch das ist hinlänglich widerlegt. Der Zwei-plus-Vier-Vertrag von 1990 regelte im Zuge der Vereinigung der damals beiden deutschen Staaten die Außenpolitik der Bundesrepublik mit den Alliierten. Damit endete der Sonderstatus Deutschlands, der seit 1945 in einer Art internationaler Vormundschaft durch die Siegermächte bestanden hatte.

Die Bundesanwaltschaft schreibt über die aktuelle Razzia in Deutschland: "Die Mitglieder der Gruppierung folgen einem Konglomerat aus Verschwörungsmythen bestehend aus Narrativen der sogenannten Reichsbürger- sowie QAnon-Ideologie." Auch in Österreich hat QAnon mitunter durch die Coronapandemie einen Aufschwung erhalten."QAnon ist in Österreich immer wieder Thema, auch wenn sie hierzulande nicht unbedingt als eigene Bewegung oder Strömung gedeutet werden kann", sagt Alexander Fonto, Sozialarbeiter von der Beratungsstelle Extremismus.

3. Was sind QAnon und der angeblich "tiefe Staat"?

QAnon ist die Bezeichnung für eine komplexe Verschwörungserzählung, die 2017 in den USA ihren Anfang nahm. Damals begann ein Nutzer mit dem Pseudonym "Q" auf einer Internet-Plattform, auf der man anonym und ohne Einschränkungen Beiträge posten kann, Geheiminformationen über vermeintliche Kriminelle aus Politik, Finanzwesen und Showbusiness zu veröffentlichen. Seither geht es bei QAnon etwa um angebliche Pädophile und Kannibalen in den höchsten Machtzentralen.

Integraler Bestandteil der Bewegung ist die Erzählung von einem angeblichen "tiefen Staat" (Deep State). Dahinter versteckt sich die Idee, hinter politischen Entscheidungen stünden geheime Mächte, die nicht demokratisch legitimiert seien. Die eigentliche Kontrolle habe eine angeblich verborgene "Elite" in höchsten Regierungsämtern und gesellschaftlichen Positionen.

Der Verfassungsschutz erkennt darin "Anleihen an das klassische Phantasma der jüdischen Weltverschwörung". Als vermeintliche Mitglieder dieser von Verschwörungserzählern auch als "Kabale" bezeichneten Gruppe sind denn auch häufig Jüdinnen und Juden, jüdische Organisationen oder als "jüdisch" charakterisierte Menschen. Als Vertreter der "Kabale" werden dabei häufig der US-Investor George Soros, Microsoft-Gründer Bill Gates, die Bankiersfamilie Rothschild oder der Gründer des Weltwirtschaftsforums im schweizerischen Davos, Klaus Schwab, genannt.

4. Welche Symbole werden verwendet?

Am bekanntesten bei den Reichsbügern ist wohl die schwarz-weiß-rote Flagge des früheren Deutschen Kaiserreiches. Sie war auch zu sehen, als Aktivisten im Sommer 2020 versuchten, in den Reichstag zu gelangen. Sie gilt als Gegenentwurf zu den Farben Schwarz-Rot-Gold, die im 19. Jahrhundert bei den Anhängern eines modernen deutschen Nationalstaates ihren Anfang nahmen und heute für die demokratische Bundesrepublik stehen.

QAnon-Anhänger wiederum arbeiten häufig mit Codes. Neben dem Buchstaben "Q" ist wohl am häufigsten das Kürzel "WWG1WGA" zu finden - "Where We Go One, We Go All" (sinngemäß: Einer für alle, alle für einen). Experten sehen darin einen Reiz für Verschwörungsgläubige: dass sie über Codes an einer großen Erzählung beteiligt sind. Zudem gibt es apokalyptische Motive, die im typischen Schwarz-Weiß-Denken von QAnon eine wichtige Rolle spielen. Als "Messias" wird der frühere US-Präsident Donald Trump angesehen, der die Welt angeblich rette.

5. Wie hoch ist das Gewaltpotenzial?

In Österreich gibt es seit einigen Jahren immer wieder Razzien im Milieu der Staatsverweigerer, bei denen tonnenweise Munition und Waffen sichergestellt wurden. Über die Gefährlichkeit der Staatsverweigerer ist jedoch nahezu nichts bekannt. Durch welches Verhalten Staatsverweigerer auffielen, wie viele als rechtsextrem einzustufen sind oder ob sie sich gar bereits bewaffnet haben, geht aus der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage durch Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) nicht hervor. Sabine Schatz, in der SPÖ Sprecherin für Erinnerungskultur, sagt: "Es steigt ja nicht nur die Personenanzahl, wir beobachten auch eine zunehmende Bewaffnung. Der Innenminister muss die Bevölkerung über die Gefahren dieser staatsfeindlichen Verbindungen detailliert informieren."

Reichsbürger in Deutschland versuchen, auf gesellschaftliche Proteste aufzusatteln. So sind zum Beispiel auch unter ihrem Einfluss die Demonstrationen gegen die staatliche Corona-Politik im Verlauf der Pandemie immer aggressiver geworden. So waren etwa bei den Protesten in Berlin am 29. August 2020 neben Rechtsextremen und Verschwörungstheoretikern auch Reichsbürger dabei. Damals wurde die Absperrung vor dem Reichstag durchbrochen und vorübergehend die Treppe des Gebäudes erstürmt.

Der deutsche Verfassungsschutz rechnet für das Jahr 2021 den Reichsbürgern 1.011 extremistische Straftaten zu, darunter 184 Gewalttaten. Der Behörde zufolge besaßen Ende 2021 rund 500 Szeneangehörige eine waffenrechtliche Erlaubnis.

Erst im April 2022 sollen Reichsbürger Sprengstoffanschläge und die Entführung von Gesundheitsminister Karl Lauterbach geplant haben. Bei bundesweiten Durchsuchungen wurden seinerzeit vier Männer festgenommen.

Reichsbürger wehren sich massiv gegen staatliche Institutionen - und das schon bei solchen relativ geringen Maßnahmen wie etwa dem Einbau eines Stromzählers. In der Vergangenheit gab es immer wieder Fälle, bei denen auf Beamte geschossen oder eingeschlagen wurde. Im Oktober 2016 etwa tötete ein "Reichsbürger" bei einer Razzia im bayerischen Georgensgmünd einen Polizisten. Das Spezialeinsatzkommando (SEK) wollte die Waffen des Jägers beschlagnahmen.