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Assistierter Suizid überfordert viele Pflegekräfte

Auf deutliche Lücken in der Vorbereitung von Pflege- und Hospizpersonal auf den Umgang mit assistiertem Suizid deuten zwei neue Studien aus Österreich und Deutschland hin.

Die Studienergebnisse zeigen erhebliche emotionale Belastungen, Unsicherheit im Umgang mit Sterbewünschen und fehlende strukturelle Unterstützung.
Die Studienergebnisse zeigen erhebliche emotionale Belastungen, Unsicherheit im Umgang mit Sterbewünschen und fehlende strukturelle Unterstützung.

Die Untersuchungen, auf die das Bioethik-Institut IMABE im Vorfeld des Welthospiztages (11. Oktober) verweist, geben erstmals systematisch Einblick in die Einstellungen und Erfahrungen von Mitarbeitenden in der Palliativversorgung. Die im International Journal of Environmental Research and Public Health veröffentlichten Ergebnisse zeigen erhebliche emotionale Belastungen, Unsicherheit im Umgang mit Sterbewünschen und fehlende strukturelle Unterstützung.

145 Pflegekräfte wurden in Österreich befragt

In Österreich wurden dazu 145 Pflegekräfte aus Palliativ- und Hospizeinrichtungen zur Umsetzung des seit Anfang 2022 geltenden Sterbeverfügungsgesetzes befragt. Es ergab sich ein ambivalentes Bild: Zwar gaben 84,7 Prozent der Befragten an, den Wunsch ihrer Patientinnen und Patienten nach assistiertem Suizid zumindest teilweise nachvollziehen zu können, doch nur ein Drittel sprach regelmäßig mit ihnen über solche Anliegen. Mehr als 60 Prozent fühlten sich zudem in entsprechende Entscheidungsprozesse gar nicht eingebunden. Die Hälfte der Befragten befürwortete das Gesetz grundsätzlich, ein Drittel lehnte es ab. Es handelt sich dabei um eine der ersten systematischen Untersuchungen zum assistierten Suizid in Österreich nach dessen Legalisierung.

Bedeutung psychosozialer Unterstützung

Bemerkenswert sind laut IMABE die Gründe, die Patienten für ihren Sterbewunsch angeben. Im Vordergrund stehen psychosoziale Faktoren: 76,4 Prozent der Pflegekräfte berichten von Patienten, die einen Verlust an Autonomie erlebten, 66,9 Prozent nennen Angst und Unsicherheit, 63,6 Prozent das Empfinden von Würdeverlust. Starke körperliche Schmerzen wurden nur in etwa der Hälfte der Fälle als Hauptmotiv genannt. Die Präsidentin der Österreichischen Palliativgesellschaft, Gudrun Kreye, Co-Autorin der Studie, betont: "Diese Befunde unterstreichen die Bedeutung psychosozialer Unterstützung in der Palliativversorgung."

Als zentrales Problem sehen Kreye und ihre Kollegenschaft vor allem einen Mangel an professioneller Ausbildung. Nur etwa ein Viertel der Befragten gab an, regelmäßig Gespräche über Sterbewünsche zu führen, 26,2 Prozent sprachen nie oder nur selten darüber. Viele Pflegekräfte wüssten schlicht nicht, wie sie auf entsprechende Anfragen reagieren sollen. Da sie oft die ersten Ansprechpartner seien, führe dieser Mangel an systematischer Schulung zu emotionalen, moralischen und professionellen Hemmungen.

Angst vor Überforderung

Ein ähnliches Bild ergibt sich aus einer parallel dazu im Fachblatt "Healthcare" erschienenen Studie aus Deutschland, wo derzeit noch über eine Gesetzesregelung debattiert wird. 558 Mitarbeitende aus 32 Hospizeinrichtungen wurden zu ihrer Haltung gegenüber einer möglichen gesetzlichen Regelung zum assistierten Suizid befragt. Knapp 29 Prozent der Befragten "stimmten eher zu", 19 Prozent "voll und ganz", dass ärztlich begleiteter Suizid zulässig sein sollte. Gleichzeitig lehnten 40,7 Prozent eine persönliche Beteiligung ab. Besonders groß ist die Angst vor emotionaler Überforderung (34,1 Prozent), erhöhter Arbeitsbelastung (32,6 Prozent) und häufiger werdenden Konflikten mit Patienten (31,7 Prozent).

Hinzu kommt eine starke Verunsicherung auf institutioneller Ebene: Rund 80 Prozent der Teilnehmenden gaben an, ihre Einrichtungen seien auf Anfragen zum assistierten Suizid nicht ausreichend vorbereitet. Es fehlen laut Studie konkrete Leitlinien, Supervision, psychologische Begleitung sowie Fortbildungsangebote. Viele Mitarbeitende fühlen sich mit der gesellschaftlichen und berufsethischen Herausforderung alleingelassen.

Beziehungsaufnahme statt Auftrag

Auch in der deutschen Erhebung wurde deutlich, dass der Wunsch nach assistiertem Suizid häufig weniger als Ausdruck eines klaren Sterbeentschlusses zu verstehen ist, sondern vielmehr als Zeichen existenzieller Not, etwa durch Einsamkeit, Kontrollverlust oder Angst. Die Studienautoren warnen vor einer zunehmenden Tendenz, den assistierten Suizid als scheinbar pragmatische Lösung anzusehen, während palliative Möglichkeiten womöglich ungenutzt bleiben.

Bestätigt werden diese Ergebnisse durch das D-A-CH-Forum Suizidprävention und assistierter Suizid, ein Zusammenschluss von Fachleuten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. In seiner aktuellen "Ittinger Erklärung 2025" betont das Netzwerk: "Die Anfrage nach assistiertem Suizid sollte nicht als Handlungsauftrag, sondern in aller Regel als eine Form der Beziehungsaufnahme verstanden werden." Der Mensch wolle "nicht sterben, sondern 'so' nicht mehr leben".

Das Forum kritisiert zudem, dass der öffentliche Diskurs zu stark auf ein verkürztes Autonomieverständnis fokussiert sei. Suizidwünsche sollten nicht vorschnell als rationaler Entschluss interpretiert, sondern im Licht psychotherapeutischer, psychiatrischer und palliativmedizinischer Erkenntnisse betrachtet werden. Die Entwicklung in der Langzeitpflege zeige, dass pflegebedürftige Menschen zunehmend aus dem Gefühl heraus, zur Last zu fallen, den Suizid als "gutes Ende" sehen, was laut dem Forum eine "gefährliche Entsolidarisierung" darstelle.

Mitmenschlichkeit statt Tod-Beschleunigen

Als Kernforderungen nennen die Experten: verpflichtende Schulungen zum Umgang mit Sterbewünschen, klare Schutzregelungen für die Gewissensfreiheit von Pflegekräften sowie den Aufbau unterstützender Strukturen innerhalb von Gesundheitseinrichtungen. Eine menschenwürdige Begleitung bis zuletzt sei nur möglich, wenn Mitarbeitende auf allen Ebenen professionell, ethisch reflektiert und interdisziplinär geschult seien.

Das D-A-CH-Forum unterstreicht abschließend: Der Mensch sei ein "soziales Wesen", wobei Angewiesenheit auf andere keine Schwäche, sondern Wesensmerkmal des Menschseins sei. Nur eine Gesellschaft, die dies anerkennt, könne auf existenzielle Notlagen mit Mitmenschlichkeit statt mit Beschleunigung des Todes reagieren.