SN.AT / Panorama / Wissen

Die Traditionelle Chinesische Medizin boomt - was kann sie wirklich leisten?

Die Traditionelle Chinesische Medizin ist eine uralte Lehre aus dem Reich der Mitte. Die Lehre boomt auch hierzulande. Wie evidenzbasiert sind ihre Methoden?

So wie Wasser und Feuer oder Tag und Nacht Gegensätze bilden und gleichzeitig zusammengehören, bildet auch das Gegensatzpaar Yin und Yang eine Einheit. Zumindest wenn es nach den Grundsätzen der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) geht. Was steckt hinter den Heilmethoden?

Die Lehren der TCM sind vor mehr als 2000 Jahren entstanden. Zu den Grundkonzepten gehören neben Yin und Yang die Lebenskraft Qi, die laut TCM-Anschauungen durch sogenannte Meridiane (Energielinien) fließt. Krankheiten werden als Resultat eines gestörten Gleichgewichts zwischen diesen Gegensätzen gesehen. Ziel einer TCM-Behandlung ist es, die Balance zwischen den Kräften im Körper wiederherzustellen.

Die TCM fußt auf fünf Säulen: Akupunktur, Kräutertherapie, Koordinationsübungen wie Qigong und Tai-Chi, Tuina-Massagen sowie der Ernährung. Die Akupunktur ist dabei die wohl bekannteste und am weitesten verbreitete Behandlungsmethode der TCM. Mittels Akupunkturnadeln werden bestimmte Punkte des menschlichen Körpers stimuliert, um die Lebensenergie Qi in Fluss zu bringen.

"Je nachdem welche Diagnosen gestellt werden, kommen eine oder mehrere der Säulen der TCM zur Anwendung", erklärt Markus Traintinger, Allgemeinmediziner und TCM-Spezialist in Salzburg. In seiner Ordination in der Salzburger Altstadt bietet er sowohl schulmedizinische Zugänge als auch Methoden der TCM an. Rund ein Drittel seiner Patientinnen und Patienten behandelt er mit TCM-Therapien.

Während sich die klassische Schulmedizin an den Naturwissenschaften orientiert, wird TCM als funktionale Wissenschaft verstanden. "Im Prinzip behandelt die westliche Medizin Krankheiten", sagt Traintinger. Erkrankungen werden dabei als Fehlfunktionen von physikalisch-chemischen und biologischen Mechanismen angesehen, die korrigiert werden müssen. "Bei der TCM steht hingegen der Mensch in seiner ganzheitlichen Betrachtung im Vordergrund", sagt der Experte. Das Hauptziel der TCM sei eine ausgeglichene und gesunde Lebensführung. Die Vorsorge sei wichtig und: "Das Ziel ist, möglichst gesund alt zu werden, um irgendwann Weisheit zu erreichen", sagt Traintinger.

In der evidenzbasierten Schulmedizin ist die Wirksamkeit der TCM-Methoden umstritten. Jedoch hat sogar die Weltgesundheitsorganisation WHO die TCM im Jahr 2019 als offizielle Medizintherapie anerkannt. In Australien, den USA oder asiatischen Ländern wie China, Japan und Korea findet die TCM eine breite Anwendung. Auch hierzulande erfreuen sich ihre Methoden immer größerer Beliebtheit.

Die Studienlage ist vor allem in der westlichen Welt aber noch sehr dünn. Einige Analysen gibt es jedoch: Eine Studie aus dem Verbund der sogenannten GERAC-Studien (German Acupuncture Trials) nahm vor Kurzem etwa das Thema Akupunktur genauer unter die Lupe. Das Ergebnis: Chronische Schmerzen im unteren Rücken und Knieschmerzen können mittels Akupunktur stärker reduziert werden als durch eine Standardtherapie. Die Studie zeigte aber auch, dass es unerheblich ist, ob bei der Akupunktur klassische Akupunkturpunkte eingestochen werden oder "Scheinpunkte" - also solche, die nicht dem Verständnis der TCM entsprechen.

"Bei einer Akupunktur muss man aber immer unterscheiden, welche Person akupunktiert und wie die Therapie genau angewandt wird", sagt Traintinger. Vor allem komme es auch immer auf die richtige Diagnose an: "Je nach Ursache und Diagnose im Sinn der TCM muss man die Punkte variieren und anpassen. Nach Schema zu stechen bringt schlechtere Resultate", sagt der Arzt. Im Osten gebe es sehr viele Studien, die die Wirkung der TCM belegen. "Viele davon sind jedoch nicht übersetzt."

Grundsätzlich wird die Traditionelle Chinesische Medizin stets als nebenwirkungsarm und sicher bezeichnet. Traintingers Ansicht nach gibt es Krankheitsbilder, die sich mit TCM zumindest gleichwertig behandeln lassen wie mit schulmedizinischen Methoden: Viele Kopfschmerzformen, Allergien, Befindungsstörungen, Erschöpfungszustände oder zum Beispiel eine chronische Gastritis. "Vorsichtig sein sollte man bei schweren Erkrankungen. Ich würde zum Beispiel niemals eine Krebserkrankung allein mit TCM behandeln", sagt er.

"Die TCM ist eine ideale Komplementärmedizin", resümiert Traintinger. "Sie ist eine sehr gute Ergänzung und eine individuelle Medizin - und auf diesem Gebiet kann sie sehr viel leisten." Wann TCM-Therapien wirklich sinnvoll sein können, wird der Experte bei seinem Vortrag im SN-Saal näher beleuchten.