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Europa bündelt DNA-Forschung im Kampf gegen Biodiversitätskrise

Europa fasst im Kampf gegen die Biodiversitätskrise die Forschung mit DNA-basierten Technologien zusammen.

In der neuen Initiative "Biodiversity Genomics Europe" (BGE) kooperieren Experten aus den Bereichen DNA-Barcoding und Genomsequenzierung. Davon erhofft man sich ein besseres Verständnis der biologischen Vielfalt und der Gründe für den Artenschwund. Österreich ist nicht direkt an BGE beteiligt, die heimische Forschung werde aber vom Projekt profitieren, sind Experten überzeugt.

"Die Zeit läuft ab", heißt es in einer Aussendung des von der Europäischen Kommission, Großbritannien und der Schweiz mit insgesamt 21 Millionen Euro geförderten Projekts BGE. Denn derzeit sei schätzungsweise jede vierte Art auf der Erde vom Aussterben bedroht. Das gefährde Lebensgrundlagen, Nahrungsmittelversorgung und wichtige Wasser- und Nährstoffkreisläufe.

Im Kampf gegen den massiven Artenschwund und die Zerstörung der Ökosysteme sei gesichertes Wissen wichtig, betonen die Forscher. Doch wie das Leben auf der Erde funktioniert und auf Umweltbelastungen reagiert, sei noch immer unvollständig verstanden. Um viele noch offene Fragen zu klären, werden große Hoffnung auf zwei Technologien gesetzt, mit denen sich mittels Erbgut (DNA) die Biodiversität erfassen und analysieren lässt: einerseits das DNA-Barcoding, andererseits die Genomsequenzierung.

"Beim DNA-Barcoding werden standardisierte Abschnitte der DNA verwendet, um Arten zu bestimmen", erklärte Nikola Szucsich vom Naturhistorischen Museum (NHM) Wien gegenüber der APA. Diese schnelle Methode eigne sich auch für die Analyse von Massenproben, etwa aus einer Insektenfalle. Szucsich leitet das Projekt "Austrian Barcode of Life" (ABOL), in dem Forscher seit 2014 an einer genetischen Bibliothek aller geschätzt rund 75.000 österreichischen Arten arbeiten. Damit sind sie auch im Projekt BIOSCAN Europe eingebunden, mit mehr als 100 Partnerinstitutionen aus 29 Ländern.

Sequenziert man dagegen das vollständige Genom von ausgewählten Individuen bzw. Arten, erhält man ein umfassendes Bild davon, wie biologische Systeme funktionieren, und kann funktionale Fragestellungen beantworten. So lässt sich mit der aufwendigen Methode etwa sagen, wie gut sich eine Art an geänderte Umgebungen anpassen kann, wie groß die Diversität innerhalb einer Art und damit wie gesund eine Population ist.

Damit beschäftigt sich das ERGA-Konsortium (European Reference Genome Atlas), in dem über 700 Mitglieder aus 37 Ländern zusammenarbeiten. Wenn es um den Schutz der Biodiversität geht, "will man die Vielfalt der Erscheinungsformen erhalten - und die ist in den Genen niedergeschrieben. Bevor man nicht weiß, welche Gene vorkommen, arbeitet man mit einer Black Box", betonte Berthold Heinze von der Abteilung für Genomforschung des Bundesforschungszentrums für Wald (BFW) gegenüber der APA. Er ist einer der Repräsentanten Österreichs in ERGA.

In der neuen Initiative "Biodiversity Genomics Europe" soll nun die Expertise der beiden Projekte BIOSCAN Europe und ERGA zusammengeführt werden. Von den genomischen Daten erwarten sich die Wissenschafter einen Quantensprung in der Biodiversitätsforschung, vergleichbar mit dem Humangenomprojekt in der Medizin. "Der Vorteil der Bündelung ist, dass man Synergieeffekte hat und voneinander lernen kann", sagte Szucsich.

Unter anderem ist im BGE-Projekt der Aufbau einer umfassender Barcode-Referenzbibliotheken für europäische Bestäuber und Schlüsselindikator-Arten für das Monitoring von Süßwasser- und Meeresarten geplant. Zudem sollen Referenzgenome von bis zu 500 Arten zusammengestellt und öffentlich zugänglich gemacht werden.

Auch Qualitätssicherung sei ein wichtiger Teil des Projekts, so Szucsich. Es sei notwendig Standards zu definieren, wenn man zum Schutz der Biodiversität auf der legistischen und politischen Ebene aktiv werden will. "Das hat auch starke Relevanz für Österreich - weil in diesen großen Projekten jetzt die Standards festgelegt werden, unter denen in Europa künftig Monitoring gemacht werden soll", sagte der Experte.

Auch wenn Österreich nicht direkt an BGE beteiligt ist, können die heimischen Forscher über ihre Mitgliedschaften bei BIOSCAN Europe und ERGA kooperieren bzw. sich an der Ausschreibung von Unterprojekten beteiligen. Bereits vor dem Start von BGE sei in einer Pilotstudie begonnen worden, einzelne Organismen zu sequenzieren. "Österreich hat dafür zwei Arten eingeschickt, die wir nun umsonst sequenziert bekommen", sagte Heinze. Dabei handelt es sich um eine Flechte (Cladonia norvegica) und einen Plattwurm (Gyrodactylus teuchis).

Zudem hat sich laut Heinze das Wellcome Sanger Institute (Großbritannien) angeboten, "die Zerreiche (Quercus cerris) für uns zu sequenzieren, eine eher wärmeliebende, unkomplizierte Eichenart, die mit sehr viel verschiedenen Umweltbedingungen zurechtkommt und daher aufgrund des Klimawandels für Österreich interessant sein könnte. Um das zu beurteilen, braucht man Genomdaten". Das neue Projekt biete zudem die Möglichkeit, weitere Arten zur Sequenzierung vorzuschlagen. Es gebe hier Gespräche mit der Schweiz, die Zirbe dafür zu nominieren, sagte Henze. Es stehe aber allen Forschern in Österreich offen, hier Vorschläge zu machen.