Maria Rescigno (57) gilt als Expertin für Darmgesundheit und Immunabwehr des Gehirns. "Es war nicht so schwer, Ja zu sagen", meinte die Wissenschafterin, die zuletzt an der Humanitas Universität und am Humanitas Research Hospital in Mailand tätig war und auch schon ein Start-up zur Regulation des Gleichgewichts der Darmflora gegründet hat, bei ihrer Vorstellung vor Journalisten. Das 300 Mitarbeitende beschäftigende CeMM, auf dem Campus der Medizinischen Universität und dem AKH Wien gelegen, sei im Hinblick auf seine wissenschaftlichen Leistungen "eines der besten Institute in Europa, wenn nicht vielleicht in der Welt".
Alterungsprozesse, Krebserkrankungen, Erkrankungen des Immunsystems, seltene Krankheiten - das seien Forschungsthemen des Instituts, eines von fünf ÖAW-Instituten im Bereich Life Sciences, sagte Akademie-Präsident Heinz Faßmann. Hier sei auch stets die "therapeutische Brücke" geschlagen worden, also zwischen Forschung und medizinischer Anwendung. Rescigno, von einem internationalen Such-Komitee als die beste Kandidatin empfohlen, kommt nun mit ihrer Expertise zur Darmgesundheit und Immunabwehr des Gehirns hinzu. Die renommierte Wissenschafterin werde mit ihrer Mikrobiomforschung neue Schwerpunkte am CeMM setzen und "einen neuen Wind in das Institut bringen".
"Moderne Molekularphysiologin"
Superti-Furga, der das CeMM seit 2005 leitete, würdigte der ÖAW-Präsident als "ausgezeichneten Forscher", hochgeschätztes und weiterhin aktives ÖAW-Mitglied, Manager und "unglaublich talentierten Kommunikator, der den Elfenbeinturm der Forschung auch immer wieder gerne verlässt". Der Abgeworbene wird sich künftig verstärkt der Realisierung des neuen Zentrums für Biomedizinische Forschung und Biotechnologie (BRBC) in Carini nahe Palermo widmen, dessen Aufbau er seit seiner Ernennung bereits beratend begleitet hat.
"Es war eine unglaubliche Reise", sagte Superti-Furga: Das "Baby CeMM" habe man zur Adoleszenz gebracht. Es sei "ein echtes Juwel, was diese Fähigkeit angeht, die grundlegende Biologie in die Anwendung zu übertragen". Seiner Nachfolgerin und Landsfrau, "in Italien ein Superstar", streute der 63-Jährige Rosen, auch mit Blick auf ihren "integrativen Forschungsansatz": "Man kann Maria Rescigno als moderne, zeitgenössische Molekularphysiologin bezeichnen, der es nicht um einzelne Zellen, Organe oder Prozesse geht, sondern um die Wechselwirkungen zwischen diesen Prozessen." Zudem freue er sich, dass nun mit Rescigno und zugleich Elly Tanaka, seit 2024 Direktorin des Wiener Instituts für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der ÖAW, "neue Maßstäbe" gesetzt werden konnten: Auch die Medizinische Universität könne es vertragen, den Fokus stärker auf mehr Frauen in Führungspositionen zu legen.
"Wir sind Superorganismen"
Mit Blick auf ihre Forschung zum Mikrobiom und den Wechselwirkungen zwischen Wirt und Mikroben nannte Rescigno zwei bedeutende Punkte: "Wir haben mehr oder weniger die gleiche Menge an Säugetier- und Mikrobenzellen in unserem Körper. Wir sind also Superorganismen." Die Mikroben, darunter vor allem Bakterien, aber auch Viren, Pilze und andere, seien aber nicht nur Passagiere, sondern vielmehr für unseren Körper aufgrund ihrer vielen Funktionen unverzichtbar. Sie helfen bei der Verdauung, trainieren unser Immunsystem sich zu verteidigen und produzieren nützliche Substanzen.
Hinzu komme, dass die verschiedenen Arten von Mikroorganismen wiederum in Summe ein insgesamt 100-mal größeres Genom (Gesamtheit der Gene) bereitstellen als das menschliche Erbgut. Eine durch "schlechte" Mikroorganismen unausgewogene Mikrobiota - die große Population der Mikroben - sei mit verschiedenen Erkrankungen verbunden, und "mittlerweile wird immer deutlicher, dass dies nicht nur eine Folge der Erkrankung ist, sondern auch deren Ursache sein kann". Die Ursachen der Veränderungen zu kennen, eröffne Wege, Erkrankungen zu vermeiden oder vorzubeugen. "Und hier kommt meine Forschung ins Spiel", so Rescigno.
Ihr Fokus liegt auf der "Darm-Leber-Gehirn-Achse" und den damit verbundenen Störungen, darunter neurologischen Entwicklungsstörungen und neurodegenerative Erkrankungen. Die Forscherin entdeckte z.B. eine Art "Schutzbarriere" im Darm, die ähnlich wie die Blut-Hirn-Schranke verhindert, dass Bakterien ins Blut gelangen. Vor vier Jahren veröffentlichte sie zudem mit Kollegen im Fachjournal "Science", dass es eine weitere Schutzbarriere in einer speziellen Struktur des Gehirns (Plexus choroideus) gibt, die bei einer Darmentzündung geschlossen wird, um unser Denkorgan zu schützen. Darüber hinaus befasst sie sich mit Krebstherapien, bei denen gezielt veränderte Bakterien das Immunsystem gegen Tumore aktivieren und Krebszellen direkt bekämpfen.
Gründete 2016 ein Start-up
Rescigno, geb. 1968 in Neapel, studierte Biologie an der Universität Mailand. Von 1991 bis 1994 war sie "Visiting Scholar" an der University of Cambridge (Großbritannien) und kehrte im Anschluss nach Mailand zurück. Sie war beim National Research Council tätig und machte 1999 ihren PhD-Abschluss in Pharmakologie und Toxikologie. Weitere Stationen umfassten die Universität Mailand-Bicocca, das European Institute of Oncology (ebenfalls in Mailand) sowie die Universität Oslo im Rahmen einer Gastprofessur. Zuletzt war sie Gruppenleiterin sowie Vize-Rektorin für Forschung an der Humanitas Universität sowie stellvertretende Direktorin des Humanitas Research Hospitals in Mailand.
Sie konnte bisher drei Förderungen vom Europäischen Forschungsrat (ERC) einwerben und ist Mitglied der European Molecular Biology Organization (EMBO) sowie der Accademia dei Lincei. Im Jahr 2016 gründete sie das Biotech-Start-up Postbiotica, über das heute bereits fünf Produkte auf dem Markt angeboten werden - vor allem für Personen mit Magen-Darm-Problemen.
Maria Rescigno ist am CeMM bereits gut angekommen. Für ihren Vorgänger Giulio Superti-Furga, der auch als Professor an der Medizinischen Universität tätig ist, wird 2026 noch eine Art "Übergangsjahr": Er werde "50 Prozent hier und 50 Prozent dort" sein - am Wiener Institut dabei als Principal Investigator. Er sei überdies immer noch in ein paar Biotech-Unternehmen involviert und künftig auch als Großvater in Wien gefragt. Und nachdem die Errichtung des neuen Instituts in Sizilien wohl "länger dauert", schaue er, wie sich alles entwickelt.
(S E R V I C E - Forschungszentrum für Molekulare Medizin der ÖAW: https://cemm.at/)
(Quelle: APA)
