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130-Jahr-Jubiläum Ephesos: "Koressisches Tor" gefunden

Es handelt sich um einen geschichtsträchtigen Platz im antiken Ephesos, hier endeten die zu Ehren der Stadtgöttin Artemis abgehaltenen Prozessionen: Österreichische Archäologen stießen im Vorjahr auf den Standort des lange verschollenen, historisch belegten "Koressischen Tores" der einstigen Metropole. Die Grabung des Österreichischen Archäologischen Institutes (ÖAI) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) offenbart das massive Fundament, wie ein Besuch der APA vor Ort zeigt.

Das Koressische Tor ist heuer eines der wichtigsten Grabungsprojekte
Das Koressische Tor ist heuer eines der wichtigsten Grabungsprojekte

Seit 130 Jahren graben österreichische Archäologinnen und Archäologen in Ephesos und damit in einer der fünf größten Städte des römischen Reiches. Die hier belegte Siedlungsgeschichte reicht aber viel weiter, nämlich 9.000 Jahre zurück - bis zur Sesshaftwerdung des Menschen. Mit dem Koressischen Tor, einem der wichtigsten Projekte im heurigen Grabungsjahr, ist die langzeitliche Fundgeschichte um eine Facette reicher.

Drittes Stadttor lokalisiert

In einer Senke am Fuß des Berges Panayirdag, am nordöstlichen Rand des einstigen Stadtgebietes, stieß der Archäologe Martin Steskal auf das "Koressische Tor". Doch handelt es sich tatsächlich um das in einer Inschrift aus dem Jahr 104 n. Chr. erwähnte und auf eine Stiftung des in Ephesos lebenden Römers Gaius Vibius Salutaris zurückgehende Tor? "Ja, ich glaube, wir haben diese Frage gelöst", sagt der Ephesos-Grabungsleiter mit Blick auf bereits freigelegte Marmorblöcke: "Mit einem geschulten Blick lässt sich das ehemalige Stadttor schon gut erkennen."

Der Ort liegt hinter Feigenbäumen und Macchia, von der nahen Straße nicht einsehbar. Der Archäologe zeigt auf Strukturen, die auf zwei Durchgänge schließen lassen. In einem Bodenbereich, einstiges Straßenpflaster aus Marmor, zeichnen sich über Jahrhunderte entstandene Fahrrinnen ab. "Das Tor hat wohl 1.000 Jahre lang als Zugang zur Stadt gedient", so Steskal. Hinter ihm tragen Arbeiter aus dem nahe gelegenen Selcuk und ÖAI-Mitarbeiter weiteren Oberboden ab, sieben Erde, inspizieren jeden Stein und sortieren die Funde für die spätere Waschung im fünf Autominuten entfernten ÖAI-Grabungshaus in der westtürkischen Stadt.

"In Ephesos hat es drei Stadttore gegeben. Zwei davon waren lange bekannt", so Steskal. Das Magnesische Tor im Südosten des Stadtgebietes hat sich die Vegetation wieder zu großen Teilen zurückerobert. "Das zweite Tor, am damaligen Hafenkanal im Westen, ist so schlecht erhalten, dass fast nichts zu sehen ist." Auf die Lage des dritten Tores deutete eine von Steskal durchgeführte frühere "Sondage", also eine probeweise Freilegung von Bodenschichten, bereits hin: "Wir haben im vergangenen Jahr dann hier sondiert und die Struktur tatsächlich auf den Zentimeter genau angetroffen."

Vom Detail zum großen Bild

"Wir sehen hier Teile der Stadtmauer, die den Bergrücken hinunterkommt und auf der anderen Seite des Tores weiter verläuft", zeigt Steskal auf hinter Gestrüpp immer wieder aufblitzende Reste der bereits in der hellenistischen Zeit (ab 300 v. Chr.) angelegten, insgesamt neun Kilometer langen Befestigung. Sie begrenzte lange das 350 Hektar umfassende Stadtgebiet. Die Stadttore waren "neuralgische Punkte im Stadtgefüge". Sie waren Teil der Befestigungsanlage, empfingen möglichst repräsentativ Stadtbesucher, waren Verkehrsknotenpunkt, und hier wurden die Zölle eingehoben. Erst hinter den Stadttoren durften die Toten begraben werden.

Bereits freigelegt ist auch ein Umriss eines damaligen Wachturms. Bis Ende Juli will man hier heuer noch weiterarbeiten, insgesamt wohl noch "zwei bis drei Jahre".

Es sind häufig nicht die Einzelfunde, die Archäologen so faszinieren. Vielmehr ist es das aus den verschiedenen Disziplinen zusammengetragene Wissen zu ihrer Einordnung. Man nutzt Analysen historischer Quellen, archäologische und naturwissenschaftliche Techniken, aus Luftbildern oder Drohnenflügen gewonnene Daten, Digitalisierungstechnologien, auch zur 3D-Rekonstruktion. "Geht man heute durch Ephesos, geht man vor allem durch eine römische Stadt", so Steskal. Etwa 30 Prozent des ehemaligen Stadtgebietes sind freigelegt. Der Untergrund ist mittels Georadars oder -magnetik weitflächig, je nach Technologie und Bodenbeschaffenheit, bis zu fünf Meter tief durchleuchtet.

Neue Erkenntnisse zum Serapeion

Bereits vor über 100 Jahren stieß man auf das Serapeion, eine imposante Tempelanlage in der Stadt. Es ist derzeit ein weiteres Großprojekt der österreichischen Grabungen. Von einer kleinen Erhebung im südwestlichen Teil von Ephesos, am Fuße des Berges Bülbüldag, lässt sich das "Trümmerfeld" gut überblicken: Hunderte massive Säulen-Bruchstücke, Fassadenfragmente und andere Funde überziehen einen großen Hof. Davor zeigen sich Umriss und Teile der Seitenwände des einst durch ein großes Erdbeben im Mittelalter zerstörten und lange als "Podiumstempel" angesehenen monumentalen Baus.

"Wir können nun aber zeigen, dass der Tempel in seinem Aussehen doch wohl anders einzuordnen ist. Ich bin sehr glücklich über den Erkenntnisgewinn", so der Forscher, der angesichts der noch nicht publizierten Ergebnisse nicht mehr verraten kann. Das ÖAI-Team um Steskal stieß in seitlichen Grabungslöchern von wenigen Metern Durchmesser fast bis auf den anstehenden Felsen vor.

Das im frühen 2. Jahrhundert n. Chr. errichtete Monument, das später in eine Kirche umgewandelt wurde, gilt als größter monolither Tempel in Kleinasien. Vieles spricht bei der Frage, wem er geweiht war, für Serapis, "ein ägyptischer Fruchtbarkeits- und Heilgott, der rund um diese Zeit extrem beliebt wird in Ephesos". So habe es in dem tonnenüberwölbten Hauptraum auch eine kühlende Wasserinstallation gegeben, man konnte "ein Plätschern" vernehmen - eine verlockende Vorstellung bei den aktuell 36 Grad Celsius Außentemperatur. Ein damaliger Kanal habe an den Nil in Ägypten denken lassen. "Wir wissen es nicht endgültig, aber es gibt gute Argumente für Serapis."

Konservierung als eine Hauptaufgabe

Die nicht weit entfernte Celsusbibliothek, deren Fassade in den 1970er-Jahren wieder errichtet wurde und die zu einem der beliebtesten Fotomotive für die jährlich 3 Millionen Ephesos-Touristen gilt, benötigt dringend eine Restaurierung. Über Marmorkorrosion könnten die Ornamente in 30 Jahren verschwunden sein, so Steskal. Die 2024 zur Finanzierung der Arbeiten gestartete Crowdfunding-Kampagne läuft derzeit noch.

Die Instandhaltung ist ein Arbeitsschwerpunkt des ÖAI. So rücken in jedem Grabungsjahr auch Restauratorinnen und Konservatoren aus, um systematisch die imposanten Wandmalereien und Bodenmosaike im mittlerweile überdachten und damit vor UV-Licht geschützten Hanghaus 2 zu reinigen und "reparieren". Das Haus mit seinen sieben Wohneinheiten zählt zu den besterhaltenen kaiserzeitlichen Wohnkomplexen im östlichen Mittelmeerraum. Doch Staub und Schmutz hinterlassen - neben dem menschlichen Einfluss - Spuren. "Heuer steht u.a. der Peristylhof der Wohnung II an", sagt Berna Caglar von der Universität Ankara, die für das ÖAI tätig ist. Der Bereich ist für die Touristen gesperrt.

Mitarbeiter sitzen auf dem Boden, verkleben gelockerte Mosaiksteinchen, flicken Löcher. Den Gemälden nähert man sich mit möglichst schonenden zeitgemäßen Reinigungstechniken, so Caglar: "Wir arbeiten gerade an einer Eros-Wandmalerei. Wir nehmen uns auch einiger älterer Ausbesserungen an." Es gehe immer um schützende Maßnahmen, die auch die Restaurierungshistorie in den Bildern nachvollziehbar belassen. Ab Mittwoch kann man den Expertinnen und Experten übrigens hier - wie auch beim Koressischen Tor - bei ihrer Arbeit im Zuge eines ORF-Livestreams, in Zusammenarbeit mit der ÖAW, wochentags zwischen 7.00 und 11.00 Uhr über die Schulter schauen (ORF ON, bis 25. Juli).

Häufige Keramik

Im ÖAI-Grabungshaus sitzt Laura Rembart und zeichnet Funde zur Dokumentation: "Was man mit Abstand am häufigsten aus dem Boden herausholt, ist Keramik", erklärte die Keramikforscherin. In einer Publikation in der Zeitschrift "Antike Welt" führte sie jüngst gemeinsam mit ÖAI-Kollegin Alice Waldner aus, wie Ephesos im 2. und 1. Jahrhundert v. Chr. eine wichtige Produktionsstätte für Keramik war und wie damit entsprechende Produkte - vor allem Wein und Olivenöl - in den gesamten Mittelmeerraum exportiert wurden.

"Es gibt keinen Ort im östlichen Mittelmeerraum, der in seiner Keramikgeschichte so gut aufgearbeitet ist, wie Ephesos. Wir wissen grob gesprochen, wie sich in dieser Hinsicht kulturelle Veränderungen von 700 vor bis 700 nach Christus gestalteten", so Rembart. Dazu habe auch die ehemalige Grabungsleiterin Sabine Ladstätter maßgeblich beigetragen. Archäologen um die im Vorjahr verstorbene Ladstätter war 2022 die Freilegung eines frühbyzantinischen Geschäftsviertels, ein Sensationsfund, gelungen.

Tafelgeschirr als Exportschlager

Rembart selbst konzentriert sich derzeit auf eine spezielle, aus dem Römischen abgeleitete Produktlinie für Ess- und Trinkgeschirr: die "Eastern Sigillata B" (ESB), die - wie die römische "Terra Sigillata" - den herausstechenden roten Überzug hat. "Wir wissen, dass das beliebte Tafelgeschirr ab dem 1. Jahrhundert n. Chr. von Ephesos aus in die ganze antike Welt exportiert wurde." Sie sucht nach Hinweisen, wo im Umland von Ephesos produziert wurde.

Das ESB-Geschirr hatte zudem auch diese markanten Stempel-Abdrücke in der Gefäßmitte: "Die Stempel sind Töpferstempel. Es gibt aber auch 'sprechende Stempel', also Grußworte oder Glückwünsche. In Ephesos haben wir 70 solcher epigraphischer Stempel zusammengetragen", so die Forscherin.

"Für Käse"

Unter Fundstücken von einer Grabung 2023 im Artemision, dem am Stadtrand des heutigen Selcuk gelegenen Tempels der Artemis, stieß sie auf eine sehr spezielle Prägung: einen Stempel mit der Aufschrift, die übersetzt "Für Käse" heißt. "Es scheint, dass damals für das Artemision extra Gefäße als Teil der Opfergaben produziert wurden." Man wisse von Inschriften aus anderen antiken Städten, dass es einen heiligen Käse für Opferrituale gegeben hat. Eine weitere Besonderheit: "Es ist im Moment der erste römische Befund, den wir aus dem Artemision haben."

Mit dem Artemision, das zu den "Sieben Weltwundern" der Antike zählte, steht auch das jüngst gefundene Koressische Tor in Zusammenhang. Von ihm ausgehend ging ein Weg zum Heiligtum. Und so nahmen an dem Tor die Tempelpriester die bei den heiligen Prozessionen durch die Stadt getragene Statue der Artemis Ephesia auch wieder in Empfang.

(Von Lena Yadlapalli/APA)

(S E R V I C E - ÖAW-ÖAI-Website zu Ephesos: https://www.oeaw.ac.at/oeai/; ÖAW-ÖAI-Website zu 130 Jahre österreichische Grabung in Ephesos mit weiterem Bildmaterial: https://go.apa.at/pcgcMI7S)