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Klimaforscher warnt vor Abdriften in nur "drittbeste Welt"

Das Ziel, die Erderwärmung auf ein Plus von 1,5 Grad zu begrenzen, droht dramatisch zu scheitern bzw. scheint schon passé. Von der quasi "besten denkbaren Welt", in der ein Überschreiten dieser wichtigen Marke vermieden wird, bewege man sich nun eher in Richtung "zweit- oder drittbeste Welt", sagte der Klimaforscher Carl-Friedrich Schleussner im Vorfeld der ersten Konferenz zum Thema "Überschießen der Klimaziele" in Laxenburg (NÖ). Man müsse über das "Reparieren" nachdenken.

Massiv tauende Restgletscher zeigen hiesige Erwärmung an
Massiv tauende Restgletscher zeigen hiesige Erwärmung an

Das heiße jedoch keinesfalls, dass wir das 1,5-Grad-Ziel aufgeben sollten, allerdings werde es schwieriger und wohl nur nach einem Überschießen oder "Overshoot" erreichbar sein, so Schleussner, der einer der Hauptorganisatoren der von Dienstag bis Donnerstag laufenden "Overshoot Conference" am Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) ist, im Gespräch mit der APA. Das im Pariser Klimaabkommen paktierte Ziel gilt als neuralgische Grenze im Versuch, die Folgen der beispiellosen, menschengemachten Temperaturerhöhung der vergangenen Jahrzehnte einzugrenzen. Unter Wissenschaftern ist längst unstrittig, dass es auch "langfristig nicht sicher" für den Planeten und seine Bewohner ist, bei einem Plus von 1,5 Grad Celsius im globalen Schnitt zu verharren.

Europa und Alpenregion besonders stark betroffen

"Wir verfehlen unser Ziel", so der Leiter des IIASA-Klimaprogrammes. Im vom Klimawandel - entgegen manch früherer Annahme - sehr stark betroffenen Europa, und hier besonders in der Alpenregion, müsse man sich auf massive Veränderungen einstellen. So wird von den schon jetzt dramatisch geschmolzenen, für Österreich durchaus "identitätsstiftenden" Alpengletschern schon bald nur noch höchstens ein kümmerlicher Rest bleiben.

Das Jahr 2024 war das erste seit Messbeginn, das weltweit im Schnitt über 1,5 Grad wärmer als im vorindustriellen Mittel gewesen ist. Für heuer prognostizieren Grazer Forschende ein weltweites Plus von 1,48 Grad. Der "Zweite Österreichische Sachstandsbericht zum Klimawandel" (AAR2) wies kürzlich für Österreich im Vergleich zum Jahr 1900 bereits einen Temperaturzuwachs von durchschnittlich 3,1 Grad Celsius aus - und auf entsprechend steigende Gefahren durch Extremwetterereignisse, Wasserknappheit, Hangrutschungen oder für den Tourismus hin. Mittlerweile werde auch in unseren Breiten "die konkrete Bedrohung greifbar", sagte Schleussner. Wer dachte, dass die Erderhitzung nur in den Ländern des globalen Südens besonders durchschlagen wird, würde eines Besseren belehrt. Und die Entwicklung geht weiter, selbst wenn man jetzt die Treibhausgasemissionen dramatisch reduzieren würde.

"Sägen an Ast, auf dem wir sitzen"

Die Versäumnisse der vorigen und aktuellen Generationen fallen demnach den Nachkommen doppelt schwer auf den Kopf. Schleussner: "Wir sägen an dem Ast, auf dem wir sitzen." Und: Mittelfristig "müssten wir deutlich unter 1,5 Grad sein". Selbst beim Ausschöpfen aller zur Verfügung stehenden "natürlichen Senken", wie der Aufforstung oder dem Speichern von CO2 in langlebigen Produkten und Strukturen, wie Holzbauten oder Werkstoffen aus organischen Materialien, werde man über kurz oder lang Negativemissionen anstreben müssen. Das heißt, dass mehr Treibhausgas aus der Atmosphäre geholt, als ihr zugeführt wird.

Hier kommt oft CO2-Abscheidung und -Speicherung tief unter der Erde (Carbon Capture and Storage, CCS) ins Spiel. Diese Technologie gilt als vielfach fragwürdig, noch nicht fertig entwickelt, energieintensiv und nicht zuletzt entsprechend "teuer". Kurzum, in Zukunft bräuchte es eine funktionierende "gigantische planetare Müllabfuhr", um die Chance zu bekommen, die Temperaturen vielleicht wieder zu senken. Schleussner sieht also "gute Gründe", auch auf Technologien wie CCS zu setzen, allerdings nur zur aktiven Entnahme von CO2, nicht zum Weiterbetrieb fossiler Infrastruktur. Verpresst man nämlich CO2 unterirdisch und lässt gleichzeitig Kohle- und Gaskraftwerke in Betrieb, "geht sich das nicht aus".

Experte: Politik unterschätzt Thema Klimawandel weiter

Das alles mit möglichst viel wissenschaftlicher Erkenntnis und belastbarem Datenmaterial zu unterfüttern, sei eine große Aufgabe für die Forschung. Wie man sich dem annähert und welche Fragen hier alle hineinspielen, will man bei der "Overshoot"-Konferenz angehen. Es brauche auch in der Wissenschaft mehr Aufmerksamkeit für das Thema.

Obwohl Schleussner einräumt, dass - im Gegensatz zu noch vor wenigen Jahren - der Klimaschutz und die Umweltpolitik auf der politischen Agenda auch angesichts militärischer Bedrohungen derzeit abgehängt erscheinen, "ist den Menschen der Klimawandel nicht egal". Die Besorgnis in großen Bevölkerungsteilen nehme weiter zu. Vielen sei klar, dass ein politisches Wegschieben die Entwicklung "um keinen Zentimeter verlangsamt".

Keine Sicherheit ohne Energiesicherheit

Seitens der Politik würden zudem die Thematiken zu wenig verknüpft wahrgenommen: Will man die militärische Sicherheit erhöhen und macht sich gleichzeitig nicht von fossilen Energielieferungen aus von Aggressoren gelenkten Staaten unabhängig, bleibt Europa "extrem vulnerabel". Sicherheit ohne Energiesicherheit sei eine Illusion. Am Ausbau von Erneuerbaren führe daher kein Weg vorbei: Sehe man sich an, welche wirtschaftlichen Wachstumsraten etwa der massive Ausbau von Windkraft und Solarenergie in China mit sich bringt, sei es auch für Europa "geboten, dort dabei zu sein", betonte Schleussner. Sonst werde man rasch abgehängt - was sich etwa an der aktuellen Krise der europäischen Autoindustrie ablesen lasse.

(S E R V I C E - Konferenzwebsite: https://iiasa.ac.at/events/sep-2025/overshoot-conference-2025; AAR2: https://aar2.ccca.ac.at)