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Kohlenstoffzertifikate bedrohen Lebensgrundlage der Maasai

Berichte von Weideflächenverlust und intransparenten Vertragsabschlüssen. Kritik an von Volkswagen finanziertem Projekt.

Die Existenz von etlichen Maasai-Stämmen (Symbolbild) in Tansania dürfte gefährdet sein, sagen Kritiker.
Die Existenz von etlichen Maasai-Stämmen (Symbolbild) in Tansania dürfte gefährdet sein, sagen Kritiker.

Das Geschäft mit Kohlenstoffzertifikaten bedroht die Lebensgrundlagen der Maasai im Norden Tansanias, berichten zwei Mitglieder der Hirtengemeinschaft in einem Pressegespräch am Dienstag. Kohlenstoffprojekte würden zu einem Weideflächenverlust und intransparenten Vertragsabschlüssen führen. Kritisiert wurde vor allem der Konzern Volkswagen (VW), der sich ein Vorkaufsrecht für Kohlenstoffzertifikate gesichert hat.

Im Pressegespräch, das von Welthaus Graz und der Koordinierungsstelle der Österreichischen Bischofskonferenz für internationale Entwicklung und Mission (KOO) organisiert wurde, berichteten Joseph Oleshangay und Nkasiogi Lekakeny von Projekten, die langfristige Verträge mit Maasai-Dörfern über die Nutzung von Weideland anstreben. Im Zuge dessen bestehe die Gefahr, dass die Bewirtschaftung massiv beeinflusst, die Anzahl der Tiere reglementiert und das soziale Gefüge durcheinandergebracht werde.

"Die Weiderouten der Maasai richten sich traditionell nach Wasserverfügbarkeit, variierenden Trockenzeiten, Leckstellen für Mineralien oder dem Zug der Wildtiere. Nun muss sich alles der Idee der Kohlenstoffspeicherung unterordnen", erklärte Sigrun Zwanzger vom Welthaus Graz und forderte in einer Presseaussendung vor dem Pressegespräch: "Wir müssen unsere Hausaufgaben selbst machen und können unsere Klimaschutzverpflichtungen nicht auslagern".

VW-Projekt unter starker Kritik

Der deutsche Autohersteller Volkswagen habe bereits in Projekte zur Speicherung von Bodenkohlenstoff rund um die Serengeti investiert und sich die Vorkaufsrechte für Kohlenstoffzertifikate gesichert. Dabei zeige eine Studie in der Fachzeitschrift "Nature" aus dem Jahr 2024, dass die Projekte überschätzt werden, denn nur bei 16 Prozent konnte eine tatsächliche Emissionsreduktion nachgewiesen werden, hieß es im Pressegespräch. Gespräche zwischen Volkswagen und den Maasai wären bisher ergebnislos geblieben. Zwanzger kritisierte am Dienstag, dass trotz der Äußerung erheblicher Bedenken von Volkswagen keine Antworten gäbe.

Bereits eine im März 2025 veröffentlichte Studie der "Maasai International Solidarity Alliance" (MISA), der in Österreich Welthaus Graz und die KOO angehören, weist auf problematische Auswirkungen von Kohlenstoffhandel-Projekten auf die Lebensgrundlagen von Maasai im Norden Tansanias hin. Konkret wurden darin das Longido and Monduli Rangelands Carbon Project (LMRCP), welches von Soils for the Future Tanzania Ltd (SftFTZ) durchgeführt und von Volkswagen ClimatePartners finanziert wird, sowie das Resilient Tarangire Ecosystem Project (RTEP) von The Nature Conservancy (TNC) ins Auge gefasst.

Die zwei konkurrierenden Projekte zielen auf den Abschluss von langfristigen Verträgen mit Maasai-Dörfern über die Nutzung von Weideland ab. Die besagte Fläche ist mit knapp einer Million Hektar etwa so groß wie Kärnten und umfasst den Norden Tansanias. Durch geänderte und teilweise eingeschränkte Landnutzung soll zusätzlicher Kohlenstoff im Boden gespeichert und als Kompensation für CO2-Emissionen verkauft werden.

Die Studie zeige, dass viele Maasai nicht ausreichend über die Vertragsbedingungen informiert sind. Die betroffenen Gemeinden würden durch Fehlinformationen und Druck zu Vertragsabschlüssen bewegt. Dabei bleibe unklar, wie sich die Maßnahmen langfristig auf ihre Lebensweise auswirken. Hinzu komme, dass durch die Projekte spezielle, rotierende Weidehaltung eingeführt werden, die die traditionellen Weidemuster der Maasai einschränkt und die Mobilität der Hirtengemeinschaften untergräbt. Weiters steige auch die Gefahr für "Landgrabbing", indem Gemeindeland von ausländischen Investoren kontrolliert wird.

Neuer EU-Zertifikatehandel ab 2036

Ausschlaggebend für das internationale Interesse an Kohlenstoffzertifikaten ist unter anderem, dass die EU-Kommission die Treibhausgasemissionen in der Europäischen Union laut ihrem Anfang Juli vorgelegten Vorschlag bis zum Jahr 2040 um 90 Prozent im Vergleich zu 1990 reduzieren. Im Zuge dessen sprach man sich dafür aus, CO2-Zertifikate für "dauerhafte Entnahmen" von Kohlendioxid in den europäischen Emissionshandel aufzunehmen. Das betrifft vor allem die CCS-Technologie (Carbon Capture and Storage - das Abscheiden und Einlagern von Kohlendioxid).

Dieser Handel bezieht sich auf Art. 6 des Pariser Klimaabkommens und soll zusätzlich zum bestehenden innereuropäischen Handel (EU-ETS) aufgesetzt werden. Ab 2036 soll er in einer Höhe von bis zu 3 Prozent der Emissionen von 1990 für die Zielberechnungen mit einbezogen werden. Kritiker befürchten eine schwerere Kontrollierbarkeit der tatsächlichen Wirkung der eingesetzten Maßnahmen und eine Abschwächung der Klima-Anstrengungen innerhalb der EU durch Auslagerung.