"Okay, Sie sind eine starke Person", kommentiert die selbst aus einer Opferfamilie stammende Kärntner Slowenin das kategorische Nein Zalewskis auf die Frage, ob er denn nach dem Krieg vom Konzentrationslager geträumt habe. Er habe keine Zeit gehabt, "irgendwelche nächtlichen Träume zu haben, weil ich mich auf mein Leben konzentrieren musste", betont der Zeitzeuge. Es galt, die finanziellen Lebensbedingungen zu ordnen und zu arbeiten.
"Das heißt, Sie haben überlebt, also psychisch überlebt. Das ist gesund", stellt die Historikerin fest. So könne man das nicht sagen, entgegnet Zalewski. Vielmehr betrachte er sich "als ein Kind des Glücks". "Ich habe immer wieder Menschen getroffen nach der Befreiung, die sich normal verhalten haben mir gegenüber, die normal mit mir gesprochen haben. Aber die Erinnerung ist natürlich da, obwohl ich schon 100 Jahre alt bin. Ich kann mich an jeden Tag erinnern, an jeden Tag des Aufenthalts im Konzentrationslager."
"Man kann nicht normal denken, wenn man an das KZ denkt"
Die Leiterin des Ostmitteleuropazentrums am Institut für Osteuropäische Geschichte der Universität hat für ihre Forschungsarbeiten schon zahlreiche NS-Opfer interviewt. Viele von ihnen hätten erst sehr spät über ihre Erfahrungen gesprochen. "Das heißt, die Kinder wissen gar nicht, dass ihre Eltern Opfer des Nationalsozialismus waren, und ich möchte wissen: Wann haben Sie Ihren Kindern davon erzählt?", beginnt die Universitätsprofessorin das Gespräch mit dem Zeitzeugen, der als jugendlicher Untergrundkämpfer in Warschau Wehrmachtsautos sabotierte und dann 600 Tage in NS-Lagern zubringen musste.
"Ich werde kurz antworten. Über meine Erinnerungen rede ich nicht, wenn ich nicht darum gebeten werde", antwortet Zalewski. Begonnen habe es, weil zu Treffen von NS-Opferverbänden, in denen er aktiv war, auch Menschen gekommen seien, die nicht in Konzentrationslagern gewesen seien. Seine Erinnerungen habe er in einer "wasserdichten Kiste" im Wasser versenkt und nur hervorgeholt und aufgemacht, wenn jemand danach gefragt habe. So habe er normal leben können. "Man kann nicht normal leben, wenn man an das KZ denkt."
"Wann kommt dann die Wahrheit ans Licht?"
"Als Historikerin muss ich den Menschen etwas weitergeben, und ich brauche Zeugen wie Sie", unterstreicht Wakounig. Doch der 100-Jährige sieht sein Engagement als Geschichtsvermittler mit einer gehörigen Portion Skepsis. Wenn man "glaubwürdig erzählen will, was alles passiert ist, muss man es wirklich wohlüberlegt tun", sinniert er. "Denn ein Mensch, der das nicht miterlebt hat, kann sich gar nicht vorstellen, dass ein Mensch einem anderen Menschen das antun kann." Dazu kommt, dass seit dem Zweiten Weltkrieg schon 80 Jahre vergangen sind. "Es gab einen derartigen Wandel, in jedem Bereich unseres Lebens, das heißt, ein Vergleich der heutigen Zeit mit der damaligen ist nicht realistisch, ist Fantasie."
Zalewski hat nicht nur die NS-Diktatur überlebt, sondern auch vier Jahrzehnte Kommunismus. Entsprechend distanziert sieht er die Geschichtsschreibung. "Geschichtsbücher werden immer auf Bestellung geschrieben", richtet er der Historikerin aus. Man schreibe im Kommunismus anders als in der Monarchie. "Wann kommt dann die Wahrheit ans Licht?", hält die Historikerin dagegen und korrigiert sich nach einem Einwand gleich auf "Tatsachen". "Eine Tatsache ist: Der Stärkere regiert", sagt Zalewski. "Ich bin Automechaniker, das ist schon ein Zusammenprall der Kulturen", kommentiert er den Austausch mit der Historikerin, die davor ein flammendes Plädoyer für Aufarbeitung der Geschichte gehalten hatte, ohne die es keine Versöhnung geben könne. "Bei Ihnen habe ich gelesen, und da stimme ich Ihnen zu, dass das erst die Nachfolgegeneration tun kann, denn die involvierten Täter oder Opfer tun sich schwer", bilanziert Wakounig.
Bauprojekte an Gedenkorten "wie Abriss von Cheops-Pyramide für Luxushotel"
"Dass Sie so ein langes Leben haben und dass Sie Ihre Mission auch in Österreich durchführen können, das ist für mich eine Tatsache und eine Notwendigkeit, dass so etwas passiert", unterstreicht die Historikerin. "Also ich bin ein Akteur der Geschichte?", fragt Zalewski etwas ungläubig. "Natürlich, das ist für mich vollkommen klar. Und alles, was Sie erzählen, ist auch nachgewiesen worden."
Einig sind sich die beiden auch, was den Umgang mit Gedenkstätten betrifft. Mit Blick auf das Bauprojekt auf dem Gebiet eines früheren NS-Frauenlagers bei Wiener Neustadt bezeichnet es Wakounig als "schlimm, dass man so etwas nicht verhindern kann". "Das ist ähnlich, als würde ich die Cheops-Pyramide in Ägypten niederreißen, um ein Luxushotel hinzubauen", kommentiert Zalewski.
"Überlebenswille war stärker als zwischenmenschliche Kontakte"
Auch wenn das damalige Geschehen vollständig erforscht scheint, hat die Historikerin eine Reihe von konkreten Fragen an den Zeitzeugen. Etwa, in welcher Sprache sich die Häftlinge aus verschiedenen Ländern unterhalten haben. Die Kontakte seien "eingeengt" gewesen auf die Frage, wie man Lebensmittel erwerben könne. "Es hat sich sozusagen eine internationale Sprache wie Esperanto herauskristallisiert, aber natürlich eingeschränkt auf das Thema Essen." Ob es Freundschaften gegeben habe? Diesbezüglich will Zalewski eher von "zwischenmenschlichen Beziehungen" sprechen, doch auch die hätten sich verloren. "Der Überlebenswille war stärker als zwischenmenschliche Kontakte." Dass die KZ-Erfahrungen seine Stereotypen gegenüber bestimmten Nationen, etwa den Deutschen, verstärkt haben, verneint der Überlebende. "Nein. Jeder Mensch, unabhängig von seiner Nationalität, ist ein Mensch, und ich beurteile ihn nicht nach dem, was er sagt, sondern nach dem, was er den Mitmenschen tut.
Ein Dissens zeigt sich zwischen den beiden Gesprächspartner beim Thema Gesang. Auf die Frage, ob Häftlinge zum Erkennen ihrer Landsleute gesungen hätten, entgegnet Zalewski, dass das Singen verboten gewesen sei. "Das stimmt nicht, die slowenischen Insassen haben Chöre gebildet, etwa in Dachau. Wir kennen das", entgegnet Wakounig. "In Mauthausen und Gusen ist es ganz anders gewesen", schildert Zalewski unter Verweis darauf, dass die dortigen Lager als Vernichtungslager genutzt worden seien.
"Ich hoffe, ich darf diese Frage stellen"
"Ich habe noch eine abschließende Frage, und ich hoffe, ich darf das stellen", sagt Wakounig am Ende des 45-minütigen Gesprächs. "Gestern habe ich mit einem Kollegen gesprochen, und dieser Kollege wollte wissen, ob es in einem KZ möglich war, aus dem Herzen zu lachen."
"Geht es um Lächeln oder Lachen? Es gab ein Lächeln vielleicht durch ein komisches Ereignis. Das Lachen war so wie jenes von Menschen während eines Begräbnisses", antwortet Zalewski. "Das bedeutet ein verzweifeltes Lachen", interpretiert die Historikerin. "Ich unterscheide zwischen Lachen und Lächeln", bekräftigt Zalewski. "Ich auch. Ich bin sehr glücklich darüber, dass ich mit Ihnen sprechen konnte. Ich bewundere Sie, und ich wünsche Ihnen noch viele schöne Jahre."
(Von Stefan Vospernik/APA)