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Manganknollen als Sauerstoffquelle in der Tiefsee: Studie liefert Hinweise auf "Geobatterie"

Eine rätselhafte Sauerstoffquelle auf dem Meeresgrund im Pazifik fasziniert die Forschungswelt. Was hat es damit auf sich? Forschende sprechen bereits von einer "Geobatterie", die sich durch die Spannung auf den Manganknollen ergibt.

Diese Illustration zeigt den Tiefseebergbaubetrieb: Der Tiefseeboden ist reich an Metallen und Mineralien, die in vielen Produkten Verwendung finden, darunter Solarpaneele, Elektrofahrzeuge und Windturbinen. Allerdings könnte ihre Gewinnung enorme Auswirkungen auf die Umwelt haben, Ökosysteme zerstören und das Wasser durch Sedimentwolken verunreinigen.
Diese Illustration zeigt den Tiefseebergbaubetrieb: Der Tiefseeboden ist reich an Metallen und Mineralien, die in vielen Produkten Verwendung finden, darunter Solarpaneele, Elektrofahrzeuge und Windturbinen. Allerdings könnte ihre Gewinnung enorme Auswirkungen auf die Umwelt haben, Ökosysteme zerstören und das Wasser durch Sedimentwolken verunreinigen.

Seit wenigen Tagen, konkret seit 15. Juli, verhandelt die Internationale Meeresbodenbehörde (ISA) in Jamaika - erneut - über die Zukunft des kommerziellen Tiefseebergbaus. Denn im Vorjahr waren die Verhandlungen nach Wochen mangels Uneinigkeit gescheitert. Unter den teilnehmenden 168 Mitgliedsstaaten ist auch Österreich. Der WWF Österreich warnte daher vergangenes Wochenende bereits vor "einer schrankenlosen Ausbeutung der Tiefsee". Er forderte im Sinne des Vorsorgeprinzips den Stopp des Tiefseebergbaus, bis alle Auswirkungen auf die Meeresumwelt wissenschaftlich bekannt sind.

Neue Studie: Meerwasserelektrolyse durch natürliche Spannung auf Manganknollen möglich

Mitten in diese Verhandlungen platzt nun eine neue Studie, die vor Kurzem im Fachjournal "Nature Geoscience" veröffentlicht wurde. Kurz zusammengefasst beschreiben hier die Forschenden rund um Erstautor Andrew K. Sweetman von der Schottischen Vereinigung für Marinewissenschaften (The Scottish Association for Marine Science, kurz: SAMS) ein neues Phänomen: Demnach maßen die Forscher in der sogenannten Clarion-Clipperton-Zone zwischen Mexiko und Hawaii in Tiefen von etwa 4000 Metern ungewöhnlich hohe Sauerstoffkonzentrationen. In dieser Gegend liegen auf dem Meeresgrund bekanntlich viele Manganknollen, die wertvolle Rohstoffe enthalten - und primär Ziel des umstrittenen Tiefseebergbaus sind. Mit dem neuen Phänomen, das bereits als "natürliche Geobatterie" diskutiert wird, könnte der Tiefseebergbau umso lukrativer werden. Der physikalische Hintergrund des hohen Sauerstoffaufkommens, Forschende sprechen von "dunklem Sauerstoff", dürfte laut der Studie in der sogenannten Meerwasserelektrolyse zu finden sein: Denn bekannt ist, dass schon eine sehr geringe Spannung von etwa 1,5 Volt ausreichen dürfte, um damit Meerwasser in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff aufzuspalten. Sweetman und seine Kollegen schreiben in der Studie: "Wir haben das elektrische Potenzial zwischen zwei Platinelektroden an 153 Stellen auf der Oberfläche von 12 Knollen (…) getestet. Obwohl die Potenziale zwischen verschiedenen Positionen auf den Knollen sehr unterschiedlich waren, wurden Potenziale bis zu 0,95 Volt gefunden." Nimmt man nun mehrere Knollen zusammen, sei es nicht schwierig, auf das nötige Maß an Elektrizität zu kommen, um die Meerwasserelektrolyse in Gang zu setzen, schrieben die Wissenschafter. Sweetmans Conclusio: "Die Batterie-Hypothese wurde durch den Zusammenhang zwischen DOP (englische Abkürzung für dark O2 production, Anm.) und der durchschnittlichen Knollenoberfläche gestützt."

Norwegen hat Tiefseebergbau bereits erlaubt

Wie es scheint, lässt sich der umstrittene Tiefseebergbau wohl aber nicht mehr lange aufhalten: So hat das Parlament in Norwegen als einem der ersten Länder der Welt bereits heuer im Jänner grünes Licht für den umstrittenen kommerziellen Abbau von Bodenschätzen in der Tiefsee gegeben. Konkret soll ein rund 281.000 Quadratkilometer großes arktisches Gebiet auf dem norwegischen Kontinentalsockel für die Exploration und Gewinnung von Mineralien auf dem Meeresgrund freigegeben werden - trotz des Protests von Aktivisten und Umweltorganisationen vor dem Parlament in Oslo.

Die norwegische Minderheitsregierung des Sozialdemokraten Jonas Gahr Støre hatte sich im Dezember mit zwei Oppositionsparteien - der konservativen Partei Høyre und der rechtspopulistischen Fortschrittspartei - auf die Öffnung für den Tiefseebergbau verständigt. Die Öl- und Gasnation Norwegen soll über große Vorkommen von Mineralien auf dem Meeresgrund verfügen, die zum Beispiel für Windkrafträder oder Batterien für Elektroautos benötigt werden. Sie werden als bedeutend für die Klimawende und zudem als strategisch wichtig betrachtet, damit sich die EU und ihre Partner in Zeiten internationaler Spannungen selbst damit versorgen können.

Die Regierung in Oslo hofft dabei auch auf neue Einnahmen. Kritiker und Umweltschützer warnen dagegen davor, dass der kommerzielle Abbau von Rohstoffen am Boden internationaler Meere Gefahren noch nicht absehbaren Ausmaßes für dortige Ökosysteme birgt. Gespräche zum Umgang mit dem Tiefseebergbau gingen im Sommer ohne verbindliche Entscheidungen zu Ende. Bei der Sitzung des Rates der Internationalen Meeresbodenbehörde (ISA) vereinbarten die 36 Mitgliedsstaaten lediglich das Ziel, im Jahr 2025 ein Regelwerk zu verabschieden.

Pazifikstaat Nauru macht hier den meisten Druck

Viele Länder haben sich noch nicht klar zum Tiefseebergbau positioniert. Der Pazifikstaat Nauru hatte vor einiger Zeit angekündigt, mit dem kanadischen Konzern The Metals Company (TMC) Manganknollen auf dem Meeresboden in 4000 bis 6000 Metern Tiefe abbauen zu wollen. Solche uralten Zusammenschlüsse enthalten Rohstoffe wie Mangan, Kobalt, Kupfer und Nickel, die etwa zur Herstellung der Batterien für E-Autos verwendet werden könnten.

"Die Arktis soll nun auch noch für seine Bodenschätze ausgebeutet werden, obwohl sie durch den Klimawandel bereits stark bedroht ist. Norwegen schafft mit dieser Entscheidung für den Tiefseebergbau einen gefährlichen Präzedenzfall und verliert jede Glaubwürdigkeit als verantwortungsbewusste Meeresnation", kritisierte heuer im Jänner Olivia Herzog, Meeresexpertin bei Greenpeace in Österreich, die Entscheidung Norwegens. Nicht nur werde Meeresboden langfristig zerstört, auch die Tiere des Nordmeeres, etwa die Narwale, würden betroffen sein. Statt Tiefseebergbau zuzulassen, sollten Meeresschutzgebiete ausgeweitet werden, "dafür müssen sich Politikerinnen und Politiker in ganz Europa einsetzen".

Neue Studie könnte Begehrlichkeiten erhöhen

Was die neue Studie von Andrew K. Sweetman und seinen Kollegen für die Nutzung der Manganknollen genau heißt, lässt sich noch schwer abschätzen. In deutschen Medien haben aber bereits mehrere Fachleute von einer Sensation gesprochen: So meinte etwa Tiefseeforscher Felix Janßen vom Alfred-Wegener-Institut in Bezug auf die Studie gegenüber der "Süddeutschen Zeitung": "Das würde alles auf den Kopf stellen, was wir bisher als gegeben angenommen haben." Aber auch Sweetman als Hauptautor der neuen Studie meldet Zweifel über die Folgen an, wenn man nun großflächig Knollen vom Meeresgrund entnehmen würde: "Während dieser Prozess weitere Untersuchungen erfordert, kann die DOP-Aktivität, wenn sie wahr ist, mit der Sedimentbedeckung auf den Knollen schwanken, was die dringende Frage aufwirft, wie sich die Remobilisierung und Verteilung von Sedimenten über große Gebiete während des Tiefseebergbaus auf DOP auswirken kann."

Bezüglich der möglichen Umweltfolgen warnen die NGOs aber schon länger vor Eingriffen auf dem Meeresgrund: "Tiefseebergbau könnte verheerende Folgen für die Artenvielfalt und die Umwelt haben. Daher muss die Politik rasch die Stopptaste drücken, damit in der Tiefsee nicht die gleichen Fehler passieren wie an Land", betont etwa der WWF-Meeresexperte Georg Scattolin. Der Meeresboden sei nicht nur von immensem Wert für die Biodiversität, sondern die Tiefsee ist auch ein riesiger CO2-Speicher. Damit leiste sie einen großen Beitrag zum Klimaschutz.

NGOs fordern bewussteren Umgang mit den Ressourcen

Anstelle des Tiefseebergbaus fordert der WWF eine bessere Nutzung der vorhandenen Metalle und Mineralien. "Wir müssen die vorhandenen Ressourcen sorgfältiger nutzen und die Kreislaufwirtschaft fördern, anstatt unseren Planeten komplett auszubeuten. Eine echte Wende beginnt beim Senken des viel zu hohen Verbrauchs. Auch beim Recycling gibt es noch sehr viel Luft nach oben", erläuterte Scattolin. Auch die Dachorganisation der Europäischen Wissenschaftsakademien gehe davon aus, dass für die Erreichung der Klimaziele bzw. für den Ausbau erneuerbarer Energien die Aufnahme des kommerziellen Tiefseebergbaus verzichtbar ist.

Neben der direkten Zerstörung von Lebensräumen könnten beim Tiefseebergbau giftige Chemikalien und Abfallprodukte ins Meer gelangen. Zugleich würde eine zusätzliche Lärmbelastung für besonders sensible Lebewesen erzeugt. Dazu kommen potenziell negative Folgen für die Fischerei und zukünftige wissenschaftliche Entdeckungen. "90 Prozent der zuletzt gefundenen Arten in der Tiefsee sind neue Entdeckungen. Derzeit wissen wir weniger über die Tiefsee als über die Oberfläche des Mondes. Am Meeresgrund schlummern noch zahlreiche Geheimnisse, die wir keinesfalls durch eine ungezügelte Gier auf Rohstoffe gefährden dürfen", warnte Scattolin.