Es sei "völlig unverständlich, wie eine flächendeckende Versorgung ohne jegliche Faktenbasis behauptet werden kann, zumal diese Darstellung den Gegebenheiten in der Praxis diametral widerspricht", hieß es am Dienstagnachmittag seitens der Österreichischen Gesellschaft für ME/CFS (ÖG ME/CFS) in einem Statement zur APA zu den Aussagen aus dem Sozialministerium. Die Politik argumentiere hier "an der Lebensrealität von zehntausenden ME/CFS-Betroffenen vorbei" und ignoriere "die Erfahrungen sowohl der Patient:innen als auch der wenigen medizinischen Expert:innen im Land", so Vize-Obfrau Sandra Leiss.
Patienten-Organisation: "Klare Notlage"
Während das Ministerium bisher völlig versäumt habe, durch eine Versorgungsstudie belastbare Daten zu erheben, würden sämtliche verfügbaren Beobachtungsdaten eine "klare Notlage" zeigen, so die ÖG ME/CFS. Besonders irritierend sei, "dass wir noch im August einen sehr konstruktiven Austausch mit dem Gesundheitsministerium hatten, in dem uns versichert wurde, dass man sich der schlechten Versorgungslage und des dringenden Handlungsbedarfs bewusst sei und den Aktionsplan PAIS als Voraussetzung für konkrete Maßnahmen beschließen wolle".
Sozialministerium: Aussagen beziehen sich auf "Grundversorgung"
Aus dem Sozialministerium hieß es auf Nachfrage der APA, die Aussagen in der Anfragebeantwortung würden sich auf die Grundversorgung beziehen: "Von ME/CFS betroffene Menschen sind in einer äußerst belastenden Situation. Es ist wichtig, genau hinzuschauen, insbesondere wenn es um die Interpretation der Beschwerden im Kontext psychischer Belastungen geht", hieß es in einem knappen schriftlichen Statement.
Und weiter: "Dass die diesbezügliche medizinische Versorgung sichergestellt ist, bezieht sich auf die medizinische Grundversorgung." An einem flächendeckenden Netz an spezialisierter Versorgung sowie einer Verkürzung der Patientenwege werde im Rahmen der Zielsteuerung-Gesundheit "intensiv gearbeitet". "Während das Ministerium den Rahmen stellt, erfolgt die Umsetzung in enger Zusammenarbeit durch die Bundesländer und Sozialversicherung", verwies man auf die geteilten Zuständigkeiten.
Grüne fragten nach konkreter Versorgung
Die Anfrage hatte der Grüne Abgeordnete Schallmeiner gestellt, darin wollte er von Schumann unter anderem wissen, wie viele Ärzte und Ärztinnen in Österreich aktuell "nachweislich spezialisierte Versorgung für ME/CFS oder vergleichbare postvirale Erkrankungen" anbieten. Konkrete Zahlen werden in der der APA vorliegenden Anfragebeantwortung keine genannt. Gemäß dem aktuellen Versorgungspfad sei "die erste Anlaufstelle" die Primärversorgung bei niedergelassenen Allgemeinmedizinern und -medizinern, heißt es lediglich. "Bei Bedarf wird eine Vermittlung an weitere niedergelassene Fachärzt:innen vorgenommen".
Schumann: "Versorgung flächendeckend sichergestellt"
Zum Teil sei bei postakuten Infektionssyndromen (PAIS) eine "fächerübergreifende Behandlung unter Mitwirkung verschiedener Fachärztinnen bzw. Fachärzte erforderlich", hieß es in der Beantwortung Schumanns. Mit den Vertrags(fach-)ärztinnen und Vertrags(fach-)ärzten würden "jeweils entsprechende Verträge zur direkten Abrechnung ihrer Leistungen mit den Krankenversicherungsträgern" bestehen. "Die Versorgung ist damit flächendeckend sichergestellt", schreibt die Ministerin.
Bei "komplexen Erkrankungsfällen" könne "eine weitere Abklärung in speziellen Versorgungsangeboten, wie zum Beispiel fachspezifischen Spezialambulanzen" notwendig sein. "Da die Versorgung von Patient:innen mit postviralen Erkrankungen je nach Symptomatiken mehreren und/oder unterschiedlichen Fachbereichen zugeordnet sein kann (z.B. Neurologie, Pulmologie, etc.) und deren Versorgung daher interdisziplinär erfolgen muss, ist eine entsprechende Abgrenzung und Quantifizierung zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht möglich."
Zur Frage, ob es eine zentrale Erhebung der tatsächlichen Versorgungsstruktur im niedergelassenen Bereich gebe, hieß es, derzeit sei die Erhebung "der aktuell zur Verfügung stehenden Einrichtungen bzw. Strukturen, die als Anlaufstelle für Personen mit PAIS dienen", in "Vorbereitung". Erfolgen solle dies im Rahmen der "Zielsteuerung-Gesundheit" bzw. im Rahmen der "Arbeiten zum Zielsteuerungsvertrag 2024-2028".
Schallmeiner: "Haltlose Behauptung" - fordert "klare Taten"
Der Grüne Nationalratsabgeordnete Schallmeiner zeigte sich in einem Statement gegenüber der APA verwundert: "Diese Anfragebeantwortung bestätigt erneut, dass es keine belastbaren Zahlen zur Versorgung von Betroffenen postviraler Erkrankungen gibt", sagte er. "Weder das zuständige Ministerium noch die Sozialversicherungen können belastbare Zahlen liefern. Wie kann man dann von einer 'guten Versorgung' im niedergelassenen Bereich sprechen? Das ist schlicht eine haltlose Behauptung."
Solange keine belastbaren Daten vorliegen, stelle sich auch die Frage, wie Bundesländer wie Salzburg überhaupt Betroffene in den niedergelassenen Bereich "koordinieren" wollen.
Das "ständige Hinauszögern und das systematische Untergraben des Aktionsplans PAIS" durch Sozialversicherungen und Länder müsse "ein Ende haben", so Schallmeiner. "Es ist jetzt Zeit für Umsetzungsschritte, nicht für weitere Verzögerungen. Die Betroffenen erwarten klare Taten statt leerer Versprechen."
Rufe nach Behandlungsstellen bisher erfolglos - Viele Betroffene
Mit der Corona-Pandemie sind post-akute Infektionssyndrome (PAIS) verstärkt ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt - und damit auch ME/CFS. Laut Hochrechnungen der MedUni Wien dürften in Österreich aktuell zwischen 70.000 und 80.000 Personen von ME/CFS betroffen sein. Betroffenenverbände sowie Experten beklagten in den vergangenen Monaten wiederholt mangelnde Versorgung - sowohl im medizinischen als auch sozialen Bereich. Spezialisierte Behandlungsstellen für Betroffene lassen trotz Ankündigungen nach wie vor auf sich warten.