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"Primaten könnten theoretisch Opern singen": Ein Wissenschafter gibt der Stimme eine Stimme

Ein Salzburger Stimmforscher nutzt Computersimulationen, um unser wichtigstes Kommunikationsmittel zu beleuchten.

"Gib mir Gehör und ich werde dir Stimme geben." Dieses Zitat wird dem Philosoph und Maler Khalil Gibran zugeschrieben. Und obwohl zwischen Gibrans Tod und der Geburt des Stimmforschers Christian Herbst fast 40 Jahre liegen, scheint es so, als wäre das Zitat ihm gewidmet. Denn die Forschung des Salzburgers trägt dazu bei, dass Sängerinnen und Sänger ihre Stimme gezielter trainieren können. Doch auch unmusikalische Menschen profitieren von den Erkenntnissen aus seiner Arbeit, der vielfach Beachtung geschenkt wird.

Der 52-Jährige forscht an der Universität Mozarteum und gehörte vergangenes Jahr zu den zwei Prozent der weltweit meistzitierten Wissenschafterinnen und Wissenschafter im Bereich der Stimmforschung. Fragt man ihn, weshalb seine Arbeit über die "Physiologie und Akustik der Stimme" und die "Stimmproduktion bei Säugetieren" so viel Aufmerksamkeit erhält, zuckt er mit den Schultern und sagt in aller Bescheidenheit: "Das müsste man die anderen fragen." Ein großer Vorteil sei aber, dass in seinem Körper zwei Herzen schlagen würden, fährt er im SN-Gespräch fort. Denn bevor er sich der Wissenschaft verschrieb, war Herbst als Gesangspädagoge tätig. "Durch diese Arbeit in der Praxis habe ich sehr genau mitbekommen, was die Problemstellungen sind. Dadurch ergeben sich gute und wichtige Fragen für die Wissenschaft", verrät er.

Um diese Fragen beantworten zu können, macht er sich unter anderem Computersimulationen zunutze. Durch diese könne man genauere Ergebnisse erzielen, als wenn man "in vivo" - also direkt am Menschen - forschen würde. Dies sei auch in seiner aktuellen Forschungsarbeit der Fall. Zusammen mit dem US-Sprachwissenschafter Brad Story von der Universität Arizona setzt er sich mit der Tragfähigkeit und dem Wirkungsgrad der Stimme beim unverstärkten Singen auseinander. Welche Fragen sie dabei konkret beschäftigten, fasst der Salzburger folgendermaßen zusammen: "Wie ist es möglich, dass in einer Oper der Gesang einer Person zu hören ist, obwohl gleichzeitig ein 50-köpfiges Orchester spielt - und wie funktioniert das, ohne dass die Sängerin oder der Sänger ständig am Limit singen muss?"

In eine Computersimulation speisten sie dazu den gesamten Tonraum und alle Vokalfarben ein, die zwischen a, e, i, o und u liegen, und simulierten eine singende Person. Dadurch war es ihnen möglich festzustellen, welche Bereiche des Vokaltrakts - damit sind vor allem der Mund und Hals gemeint, durch die wir Laute produzieren - tätig werden. Herbst und Story konnten durch dieses Verfahren herausfinden, dass Sängerinnen und Sänger je nach Tonhöhe auf unterschiedliche Strategien zurückgreifen. "Die Daten zeigen deutlich, dass bei tiefen Stimmen insbesondere der Kehlkopf als Klangquelle dient. Bei hoch singenden Sopranen sind hingegen der Vokaltrakt und die Vokalfarbe im Mund von Bedeutung. Das sind zwei völlig unterschiedliche Herangehensweisen."

Bild: SN/privat
Die Daten zeigen deutlich, dass bei tiefen Stimmen insbesondere der Kehlkopf als Klangquelle dient.
Christian Herbst, Stimmforscher

Neben seiner Forschung, die insbesondere in der Gesangspädagogik von Bedeutung ist, erforscht er auch Grundlegendes zum Thema Stimme und Artikulation. "Menschen sind rein von der Anatomie ein Allerweltstier", erklärt Herbst. Hirsche, Elefanten und insbesondere Primaten hätten ähnliche "Stimmapparate" wie Menschen und seien deshalb - theoretisch zumindest - in der Lage, Opern zu singen. "Primaten könnten theoretisch genauso Vokale formulieren wie wir. Sie würden dann eher wie Kinder klingen, aber die Ausstattung haben sie."

Der Mensch würde sich eher dadurch auszeichnen, dass er kognitiv in der Lage ist, Vokale zu lernen und Informationen in Sprache umzuwandeln. "Eine Stimme hat jeder. Auch ein Primat oder ein röhrender Hirsch kann sich verständigen. Der Mensch hat allerdings etwas, das in dieser Komplexität kein anderes Lebewesen hat: Syntax", sagt Herbst. Diese ermögliche uns, Informationen in Sprache umzuwandeln und Vokale zu lernen und zu formulieren. So werde aus Stimme Sprache. Und nur dadurch ist es möglich, dass man dem Forscher Gehör schenken kann, wenn er uns erklärt, wie unsere Stimme funktioniert.

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