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"Spritze" gegen Bluthochdruck weiterhin erfolgreich

Sie ist bei Probanden mit milder bis moderater Hypertonie wirksam, wie eine neue Studie zeigt. Ihr Effekt hält mindestens drei Monate an.

Eine von US-Wissenschaftern entwickelte "Spritze" gegen Bluthochdruck bewährt sich in klinischen Studien. Nach ersten positiven Resultaten mit rund hundert Betroffenen ist jetzt eine viel größere internationale Studie mit dem potenziellen Biotech-Medikament Zilebesiran erschienen. Die einmalige Injektion reduzierte den mittleren systolischen Blutdruck im Vergleich zu einem Placebo monatelang deutlich.

1,3 Milliarden Menschen leiden weltweit an Bluthochdruck. Die Hypertonie ist ein Hauptrisikofaktor für Herzinfarkt, Herzschwäche, Nierenschäden und Schlaganfälle. Trotz prinzipiell gut wirksamer Medikamente aus den Wirkstoffklassen der ACE-Hemmer, Angiotensin-II-Rezeptor-Blockern, Diuretika, Kalziumantagonisten und Betablockern sind bei weitem nicht alle Patienten optimal versorgt.

"Weltweite Schätzungen deuten darauf hin, dass bis zu 80 Prozent der Patienten mit einer Hypertonie die empfohlenen Blutdruckwerte nicht erreichen. Selbst Patienten, die bei regelmäßigen Arztbesuchen einen gut kontrollierten Bluthochdruck zu haben scheinen, dürften dazwischen stark schwankende Werte aufweisen. Auch das führt zu einem ständigen Risiko für akute Herz-Kreislauf-Ereignisse", schrieben jetzt George Bakris von der Universität Chicago und seine Co-Autoren in der Zeitschrift der US-Ärztegesellschaft (JAMA; doi:10.1001/jama.2024.0728).

Oft ist die tägliche Einnahme mehrerer Blutdruckmedikamente für die Betroffenen notwendig. Darauf wird oft vergessen. Neue Wirkprinzipien zur Behandlung der Hypertonie könnten die Situation verbessern. Das US-Biotech-Unternehmen Alnylam Pharmaceuticals hat sich der Entwicklung völlig neuer Arzneimittelsubstanzen verschrieben. Das Prinzip: Bei den Wirkstoffen handelt es sich um kurze künstliche RNA-Sequenzen, welche die körpereigene Produktion jeweils eines Proteins zielgerichtet blockieren. Die Wissenschafter sprechen von RNA-Interferenz (RNAi), weil die künstlichen RNA-Ketten die für die zelleigene Proteinproduktion notwendigen RNA-Teile beschädigen.

Nach der Zulassung erster derartiger Medikamente zur Behandlung von Seltenen Erkrankungen wurde das Prinzip nun auch bei der Entwicklung von Zilebesiran zur Behandlung des Volksleidens Hypertonie eingesetzt. Zilebesiran ist eine RNA-Sequenz, die durch einen chemischen Trick langlebig gemacht wurde und sich in der Leber ansammelt. Als siRNA-Substanz (RNA-interferenztherapeutikum) zielt es auf die Verhinderung der Bildung von Angiotensinogen in der Leber ab.

Angiotensinogen ist die einzige Vorstufe der Angiotensin-Peptide ACE-I und ACE-II, welche ganz zentral für die Blutdrucksteuerung bzw. Blutdruckerhöhung verantwortlich sind. Zilebesiran führte laut ersten Untersuchungen bei einer einmaligen Injektion einer Dosis von 200 Milligramm zu einer 24 Wochen anhaltenden Reduktion des Angiotensinogen-Spiegels im (Blut-)Serum und zur Normalisierung des Blutdrucks.

Der Effekt des potenziellen neuen Medikaments wurde vor einigen Monaten erstmals in der Phase-I-Studie mit 107 Hypertonie-Erkrankten belegt. Bei den Probanden zeigte sich insgesamt eine Verringerung des Angiotensinogen-Spiegels im Blutserum von 90 Prozent und mehr, wenn die Wirkstoffdosis hundert Milligramm oder mehr betragen hatte. "Nach Einzeldosen von Zilebesiran von 200 Milligramm oder mehr wurden in Woche acht eine Senkung des systolischen Blutdrucks um mehr als zehn mmHg und des diastolischen Blutdrucks um mehr als fünf mmHg beobachtet. Bei den acht Patienten, die 800 Milligramm Zilebesiran erhalten hatten, wurde in Woche 24 ein systolischer Blutdruck von minus 22,5 mmHg und ein diastolischer Blutdruck von minus 10,8 mmHg verglichen mit den Ausgangswerten gemessen.

Die Entwicklung geht weiter. Jetzt ist die erste Studie der Phase II mit dem potenziellen zukünftigen Medikament erschienen. An 78 Zentren in Kanada, in der Ukraine, Großbritannien und den USA wurden 394 in die Untersuchung aufgenommen. Sie alle hatten mittlere Tages-Blutdruckwerte (systolisch) zwischen 135 und 160 mmHg und waren stabil auf herkömmliche Blutdruckmedikamente eingestellt. Nach dem Beenden dieser Therapie erhielten sie 150, 300 oder 600 Milligramm des RNA-Interferenz-Wirkstoffes alle sechs Monate oder 300 Milligramm alle drei Monate bzw. ein Placebo (75 Probanden).

Nach drei Monaten erfolgte eine 24-Stundenmessung des systolischen Blutdrucks. Je nach Studiengruppe zeigte sich eine Abnahme des Blutdrucks (systolisch/während der Pumpphase des Herzens) im Vergleich zur Placebogruppe um 14,1 bis 16,7 mmHg. Über stärkere Nebenwirkungen klagten 3,6 Prozent der Patienten unter der echten Behandlung, aber 6,7 Prozent der Personen, welche das Scheinmedikament bekommen hatten.

"Diese Daten beleuchten eine Möglichkeit, eine dauerhafte Reduktion des Blutdrucks durch die zweimal jährliche Verabreichung von Zilebesiran zu erzielen. Das könnte auch noch verstärkt werden durch die Kombination mit anderen Blutdruckmitteln", schrieben die Wissenschafter in JAMA. Möglich wäre natürlich auch eine Blutdrucksenkung mit dem neuen Wirkstoff bei Reduktion anderer Medikamente für diesen Zweck.

Bis zu einer allfälligen Zulassung des neuen Wirkprinzips müssen aber noch klinische Studien der Phase III (Wirksamkeit und Verträglichkeit im Vergleich zu herkömmlicher Standardtherapie bei vielen Probanden) erfolgen. Das US-Biotech-Unternehmen Alnylam arbeitet mit dem Schweizer Pharmakonzern Roche zusammen.