Mit einem an die nicht sehr intuitive Anatomie der Netzhaut angepassten Ansatz für eine Art Seh-Prothese warten Forschende aus Wien und Linz im Fachjournal "Advanced Functional Materials" auf: Das Team zeigte, dass mit einem dünnen, biegsamen Photovoltaik-Film, der auf Infrarot-Licht reagiert, das komplexe Netzhaut-Nervennetzwerk angeregt werden kann, obwohl er quasi auf der falschen Seite der Struktur liegt. Das könnte einmal neue Optionen für sehbehinderte Menschen bringen.
Bei manchen Menschen sind die Zellen, die das ins Auge einfallende Licht registrieren und diese Information als Nervenimpuls an die dahinter liegenden Strukturen weitergeben, geschädigt. Sie können schlecht sehen, obwohl die Nervenzellen, die die Lichtsignale für die Verarbeitung im Gehirn aufbereiten und weiterleiten, eigentlich intakt sind. In solchen Fällen könnte man mittels Seh-Prothesen große Verbesserungen erzielen. Dazu braucht es Materialien, die gut auf Licht reagieren, im Körper keinen Schaden anrichten und mit bestehenden Nervenzellen verbunden werden können - die also "biokompatibel" sind, wie es Wissenschafter ausdrücken.
Signalweiterleitung über Umweg
Ein Problem in dem Zusammenhang ist auch der etwas eigentümlich anmutende Aufbau der Netzhaut (Retina): Hier liegen die Lichtrezeptoren - die "Stäbchen" und "Zapfen" - hinter den Nervenzellen (Neuronen), die die Signale an das Gehirn weitergeben. Das Licht muss also an diesen Ganglienzellen und darunter liegenden Neuronen vorbei, um registriert zu werden. Danach wird das Nervenzell-Signal über ein neuronales Netz nach vorne zu den Ganglienzellen und weiter ins Gehirn übertragen.
Versuche, nicht funktionierende Rezeptoren technisch zu ersetzen, haben bisher großteils bei den Ganglienzellen angesetzt. "Das bedeutet aber, dass die Signalverarbeitung, die normalerweise im Nerven-Netzwerk hinter der Netzhaut stattfindet, nicht genützt wird. Daher entsteht auf diese Weise nur ein verfälschter, wenig zufriedenstellender optischer Eindruck", so einer der Hauptautoren der Publikation, Günther Zeck vom Institut für Biomedizinische Elektronik der Technischen Universität (TU) Wien. Andere Versuche setzten zwar am Ort der Rezeptoren an, nutzten aber siliziumbasierte Photodioden, die hart und damit für einen Einsatz in lebenden Augen kaum geeignet sind.
Vielversprechende Laboruntersuchungen
Die TU-Forscher sowie u.a. Mediziner der Universität Linz platzierten nun in Laboruntersuchungen die Photovoltaik-Sensoren unter Retinagewebe von Mäusen, das fast keine Rezeptoren, wohl aber die anderen Nervenzellstrukturen trug. Bestrahlten die Wissenschafter diese Struktur mit Infrarotlicht, führte dies zu einer messbaren Reaktion in den Ganglienzellen, die "dem natürlichen Verhalten in einem gesunden Auge sehr nahekommt", wird Studien-Erstautor, Andrea Corna, in einer Aussendung zitiert.
Für die aktuelle Arbeit habe man mit Infrarotlicht gearbeitet, weil es das Gewebe weniger schädigt als Licht mit höheren Blau-Anteilen, erklärte Zeck gegenüber der APA. Prinzipiell könnte man den Ansatz aber auch auf andere Frequenzbereiche ausweiten. Ein nächster Schritt wäre es, Photovoltaik-Filme mit aus menschlichen Stammzellen gezüchteten Netzhäuten - man spricht in dem Zusammenhang von einen "Organoid" - zu verbinden. Das sei aber noch "Zukunftsmusik", so Zeck.
Zunächst habe man einmal gezeigt, dass die Stimulation der Nervenzellen mittels dünnem, körperverträglichem und drahtlos betreibbarem Photovoltaik-Film funktioniert. Man positioniere diese Materialien als "vielversprechende Kandidaten für die nächste Generation minimalinvasiver Retina-Prothesen", heißt es in der Publikation. Im besten Fall mit Partnern aus dem klinischen Bereich in Österreich bzw. der Uni Linz möchte man nun herausarbeiten, welche Vorteile der Ansatz gegenüber dem Einsatz von Silizium-Photodioden hat. Das könnte dann auch von Firmen aus dem Bereich der Neuro-Prothetik aufgegriffen werden, zeigte sich Zeck überzeugt.