Stress im Job. Stau auf dem Nachhauseweg. Und zu Hause wartet bei manchen sowieso Hektik und Chaos. Viele Menschen erleben dauerhafte Belastungen. Das lässt uns an die Grenzen des Machbaren gehen. Was kann helfen?
Simone Gadocha-Gangl ist eine, die sich schon seit Langem mit Stress und seiner Auswirkung auf den menschlichen Körper beschäftigt. Die klinische Psychologin führt je eine Praxis in Salzburg-Gnigl und in Munderfing im Innviertel und hält Seminare in Firmen, um Menschen für Stress zu sensibilisieren und ihnen Gegenstrategien zu bieten. "An sich ist Stress nicht schlecht, er dient der Anpassung", erklärt sie.
Die Stressreaktion läuft dabei noch immer nach einem uralten Überlebensprogramm ab und dient als Vorbereitung auf Kampf oder Flucht: Die Magen-Darm-Tätigkeit fährt herunter, die Herz- und Skelettmuskulatur wird stärker durchblutet. Der Blutdruck sowie Herz- und Atemfrequenz werden erhöht, der Blutzucker steigt an und es werden vermehrt rote Blutkörperchen produziert. "Wir reagieren noch immer wie ein Reh im Scheinwerferlicht", sagt Gadocha-Gangl. Die Reaktionen seien ausgelegt dafür, Energie umzusetzen. Das Problem heutzutage: "Meist sitzen wir bei Stress jedoch vor unserem Computer und können die Energie nicht abbauen."
Vor allem drei Dinge kommen bei Stress zum Tragen, schreibt der deutsche Psychotherapeut Gert Kaluza in seinem Buch "Stressbewältigung": einerseits die Stressoren, also etwa zu viel Arbeit, soziale Konflikte, Termine oder Stau. Diese stehen in enger Verbindung zu den "persönlichen Stressverstärkern" - zum Beispiel Ungeduld, Perfektionismus oder Kontrollstreben. Und diese beiden zusammen führen dann zu den körperlichen und emotionalen Stressreaktionen. "Hält diese Stressreaktion zu lange an, kann es zu Erschöpfung und Krankheit führen", resümiert Psychologin Gadocha-Gangl.
Typische stressassoziierte Erkrankungen sind etwa Depressionen, Magen-Darm-Beschwerden, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Autoimmunerkrankungen, aber auch Unfruchtbarkeit. Forschende konnten außerdem beweisen, dass psychischer Stress einen Einfluss auf unser Immunsystem haben kann. Was sind also Gegenstrategien gegen Stress, was kann man tun?
In einer spontanen Stresssituation sei ein Erste-Hilfe-Tipp, zunächst innezuhalten und dann tief zu atmen, rät Gadocha-Gangl. "Man kann das Innehalten eventuell mit einer Stoppgeste, etwa einer Handbewegung, verbinden." Anschließend sollte man drei bis fünf bewusste Atemzüge in den Bauchraum nehmen. "Der Körper kann nicht anders als zu entspannen, wenn man tief in den Bauch atmet", sagt die Expertin.
Für die längerfristige Stressreduktion sollte man versuchen, sich über eigene Muster bewusst zu werden. Etwa: Was sind meine Stressoren im Alltag? "Mögliche Gegenstrategien könnten sein, bewusst Nein zu sagen, auch einmal nicht erreichbar zu sein oder zu lernen, Dinge zu delegieren."
Bei den persönlichen Stressverstärkern sei es wichtig, an der eigenen Einstellung zu arbeiten: "Zunächst einmal muss man erkennen, was diese persönlichen Stressverstärker sind", sagt die Psychologin. Ist es der Blick auf das Negative? Oder nimmt man alles gleich persönlich? Denkt man eher in Defiziten? In jedem Fall gebe es Gegenmaßnahmen: Der Blick auf das Positive, wenn man Dinge oft zu negativ sieht. Nimmt man Dinge persönlich, "hilft es, die Sache aus einem anderen Blickwinkel zu sehen und sich zu distanzieren". Betone man Defizite zu sehr, rät die Expertin, sich auf die eigenen Stärken, Erfolge und Ressourcen zu konzentrieren. Denkt man zu häufig: "Das gibt's doch nicht", dann helfe es, sich vorzusagen: "Es ist, wie es ist." Manche Situationen könne man nun einmal nicht ändern.
Geht es um die Stressreaktion, so helfe Ausgleich: Ausdauersport, Yoga, regelmäßige Pausen, Kochen, Gartenarbeit, Urlaub, ausreichend Schlaf und vieles mehr. "Da findet jeder seine persönliche Strategie", sagt Gadocha-Gangl. Die Psychologin rät außerdem dazu, Genuss wieder zu kultivieren. "Genuss hilft dabei, zur Ruhe zu kommen und die kleinen Dinge des Lebens zu schätzen." Was auch unterstützen könne, seien Entspannungstechniken. Etwa die progressive Muskelentspannung nach Jacobson: Dabei spannt man Körperpartien nacheinander an, hält die Spannung jeweils für fünf bis sieben Sekunden, um dann beim Ausatmen in etwa 30 bis 45 Sekunden die Spannung zu lösen. Für viele Personen eigne sich außerdem ein Dankbarkeitstagebuch. "Man sollte sich jeden Tag ein wenig Zeit für einen positiven Tagesrückblick nehmen", rät Gadocha-Gangl. Eine amerikanische Metaanalyse aus dem Jahr 2020 zeigte - wie bereits vorangegangene Erhebungen -, dass Dankbarkeit und Wohlbefinden stark zusammenhängen.
Besonders nach akuten Stressphasen sei Ausgleich wichtig, ergänzt Gadocha-Gangl. Die Expertin vergleicht es mit Wellenbewegungen: "Stressphasen sind in Ordnung, aber wichtig ist, dass sich Körper und Psyche danach wieder erholen können, sonst fängt der Körper irgendwann an zu schreien." Häufig kommen gestresste Menschen erst sehr spät in Gadocha-Gangls Praxis. Dabei gilt jedoch: "Je früher ich etwas tue, desto besser."
