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Tschernobyl: Alexej Breus, der letzte Mann im Kontrollraum

Ein Techniker versuchte vergeblich, die Katastrophe aufzuhalten. 30 Jahre später spricht er darüber.

Tschernobyl: Alexej Breus, der letzte Mann im Kontrollraum
Tschernobyl: Alexej Breus, der letzte Mann im Kontrollraum

Als am 26. April 1986 im Reaktor Nr. 4 des Atomkraftwerkes von Tschernobyl die Kernschmelze beginnt, soll Alexej Breus den Super-Gau durch seinen Einsatz doch noch verhindern. Doch der riskante Einsatz des Technikers misslingt. 30 Jahre nach der Katastrophe äußerte sich der ehemalige Techniker jetzt in einem Interview.

Die Szenerie damals: Verzweifelt drückt Alexej Breus auf den Knopf im Kontrollraum von Tschernobyl - doch der Versuch, den Super-Gau zu stoppen, scheitert. "Es war wohl der sinnloseste Versuch, den man unternehmen konnte", sagt der 57-Jährige im Gespräch jetzt im Interview in Kiew. Breus gilt als der letzte Mann im Kontrollraum von Tschernobyl. Rund 15 Stunden nach der Explosion sollte er den Reaktor per Knopfdruck fluten. Ergebnislos.

Lässig gekleidet in Jeans und einen dunklen Pullover steht Breus in der ukrainischen Hauptstadt zwischen selbstgemalten Ölbildern. Damals habe Unklarheit geherrscht über den genauen Zustand im Reaktor, erzählt er. Die Behörde in Moskau habe verlangt, Wasser hineinzupumpen. Doch alle Bemühungen, die fatale Kettenreaktion zu stoppen, waren vergeblich.

"Die Ursache für die Havarie liegt nicht so sehr bei den Technikern oder Konstrukteuren als vielmehr in allgemeiner Fahrlässigkeit und Verantwortungslosigkeit", sagt der Mann mit dem schütteren Haar rückblickend. Das Unglück von Fukushima 2011 habe aber gezeigt, dass so etwas auch in einem Hochindustrieland wie Japan und nicht nur in der damaligen Sowjetunion geschehen könne.

Die technologische Entwicklung betrachtet er mit Skepsis. "Der Zug namens Fortschritt rast mit voller Geschwindigkeit irgendwohin - und die Menschheit hofft, dass er in eine gute Zukunft fährt", sagt Breus. Stoppen könne man diesen Zug nicht. "Aber man sollte ihn wenigstens auf ein sicheres Gleis lenken", sagt er.

Der 1959 in Südrussland geborene Breus zieht 1982 nach dem Studium an der Technischen Bauman-Hochschule in Moskau nach Prypjat bei Tschernobyl. "Den Ausschlag gab ein Mädchen, das mich beim Spazierengehen auf seinen Rollschuhen anrempelte. Meine Frau Galina fragte das Kind: "Wohin soll der Onkel gehen: nach Tschernobyl oder Podolsk?" Es sagte "Tschernobyl" - so fiel die Entscheidung", erzählt der Ukrainer. Als sich der Unfall ereignet, arbeitet seine Frau gerade in Leningrad (heute St. Petersburg). "Zum Glück", sagt Breus.

Nach der Katastrophe findet der Mann zunächst eine Stelle in Kiew bei der Atomaufsicht. 1990 schließt er ein Journalismusstudium in der ukrainischen Hauptstadt ab und arbeitet für das Amtsblatt des Parlaments, später für eine Nachrichtenagentur. Daneben entdeckt er die Malerei für sich. Mit der Künstlergruppe "Strontium-90" und als Journalist reist er etwa hundertmal in die Todeszone. Hauptthema: die Bewahrung der Natur. 2015 kündigt er seinen Journalistenjob, seitdem lebt er von seiner Kunst und den knapp 170 Euro Tschernobyl-Rente. "Wenn es meine Gesundheit noch zulässt, will ich ein Buch schreiben - über den Samstag, der nicht nur mein Leben komplett veränderte", erzählt Breus. Experten schätzen, das die Katastrophe am 26. April 1986 Zehntausende Menschen das Leben kostete. Die Zahlen dazu schwanken je nach Berechnung stark.

(Schluss) ww