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Warum Frauen in der Forschung noch immer zu wenig sichtbar sind

Nur ein Drittel aller Forschenden weltweit ist weiblich. Das hat Auswirkungen auf den Alltag und bringt voreingenommene Systeme künstlicher Intelligenz.

Laut dem Unesco-Science-Report 2021 liegt der Frauenanteil in der Wissenschaft weltweit bei nur knapp über 30 Prozent.
Laut dem Unesco-Science-Report 2021 liegt der Frauenanteil in der Wissenschaft weltweit bei nur knapp über 30 Prozent.

Sie hat das erreicht, was nur wenige schaffen: 2011 wurde Sabine Seidler zur ersten Rektorin der TU Wien gewählt. Seit 2020 ist die Werkstoffwissenschafterin auch Präsidentin der österreichischen Universitätenkonferenz. Ihr Weg dorthin war nicht immer leicht. Aber sie hatte Unterstützung. "Mein Vorgänger holte mich in sein Team als Vizerektorin für Forschung", erzählt sie. Ihm habe sie viel zu verdanken. Eine Bezugsperson gehöre für eine Karriere in der Forschung genauso dazu wie eine Portion Glück. "Fakt ist aber, dass es eine gläserne Decke in der Wissenschaft gibt", sagt sie. Frauen seien noch immer unterrepräsentiert.

Das zeigen auch Erhebungen im Rahmen des internationalen Tages von Frauen und Mädchen in der Wissenschaft, der am 11. Februar begangen wird. Laut dem Unesco-Science-Report 2021 liegt der Frauenanteil in der Wissenschaft weltweit bei nur knapp über 30 Prozent.

Besonders geringer Frauenanteil in den Mint-Disziplinen

Bild: SN/APA/HELMUT FOHRINGER
Forschende können sich ihre Arbeitszeit weitgehend frei einteilen
Sabine Seidler, Rektorin TU Wien.

Man müsse jedoch differenzieren, sagt TU-Rektorin Seidler. Vor allem in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (Mint) ist der Frauenanteil noch immer sehr gering. Zuletzt lag er bei unter einem Viertel. "Daraus können dementsprechend auch nur weniger Wissenschafterinnen hervorgehen."

An Hochschulen ist die Frauenquote in den vergangenen Jahren stetig gestiegen. Im Jahr 2021 lag der Anteil der Frauen mit einem Hochschulabschluss in Österreich mit 21,2 Prozent sogar über jenem der Männer (17,2 Prozent). In der Wissenschaft Karriere machen anschließend hingegen weniger Frauen. Unter den Professorinnen und Professoren lag ihr Anteil zuletzt bei unter 30 Prozent.

Teilzeit-Führungspositionen seien nicht wirklich vorgesehen, kritisiert Cornelia Brunnauer vom Zentrum für Gender Studies an der Universität Salzburg. "Außerdem sind die männlich geprägten Strukturen und Seilschaften im Forschungsbereich oft eine Hürde für Frauen."

Es ist ein gesellschaftliches Problem

Was noch immer fehlt, sei die allgemeine gesellschaftliche Akzeptanz berufstätiger Frauen, findet TU-Rektorin Seidler. Wissenschaftliche Karrieren seien zudem dadurch geprägt, "dass man sich durch befristete Dienstverhältnisse durcharbeitet und möglichst ins Ausland geht", erzählt sie. All das in einer Lebensphase, in der viele Frauen eine Familie gründen wollen. "Das macht diesen Beruf für viele Frauen weniger attraktiv."

Das findet auch Francesca Ferlaino. Sie ist Professorin am Institut für Experimentalphysik der Uni Innsbruck und wissenschaftliche Direktorin am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation der österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Innsbruck. An ihrem Institut sind rund 20 Prozent der Bachelor-Studierenden in Physik Frauen. Im Master- und Doktoratsstudium bleibt diese Zahl gleich. "Aber nur noch zehn Prozent kommen in die Postdoc-Phase" - und damit einer Professur näher. "Genau in dieser Lebensphase stehen Frauen vor der Herausforderung, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen."

Bildungseinrichtungen müssen Frauen fördern

Aber auch die 20 Prozent zu Beginn des Physikstudiums seien zu wenig: "Und da denken Frauen üblicherweise noch nicht über eine Familie nach", sagt Ferlaino. Was es brauche, seien Positivbeispiele. "In der Schule muss das Gefühl vermittelt werden, dass das Geschlecht in der Berufswahl keine Rolle spielen darf." An einem Tag der offenen Tür sollten sowohl Frauen als auch Männer in die Welt der Physik einführen. Und die Politik sei gefragt, Forschende aktiv auf dem Weg zu mehr Geschlechtergerechtigkeit einzubinden, fordert Ferlaino.

Dabei hätten Frauen in der Wissenschaft ideale Arbeitsbedingungen, sind sich Ferlaino und Seidler einig. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sei gut möglich. "Forschende können sich ihre Arbeitszeit weitgehend frei einteilen", sagt Seidler.

Die geringe Sichtbarkeit von Frauen in der Forschung kann Folgen haben. Der sogenannte Gender-Data-Gap zeigt, dass es vor allem auch in medizinischen Bereichen weniger Daten zu Frauen als zu Männern gibt. Medikamente wurden über lange Zeit hinweg hauptsächlich an Männern getestet. Frauen bräuchten andere Dosierungen von Medikamenten als Männer, warnen einige Medizinerinnen und Mediziner immer wieder.

Es braucht umfassende Maßnahmen

"Wir haben die Art und Weise zu forschen über lange Zeit hinweg zu wenig hinterfragt", sagt TU-Rektorin Seidler. Auch Systeme der künstlichen Intelligenz seien mit einer Voreingenommenheit trainiert. Das betreffe sowohl das Geschlecht als auch kulturelle Diversität allgemein. "Je diverser Forschungsteams zusammengesetzt sind, desto besser sind die Forschungsergebnisse", sagt Seidler.

Was braucht es also noch, um die gläserne Decke zu durchbrechen? "Organisationen, nicht nur Universitäten, müssen die Karrieren von Frauen unterstützen", sagt Gender-Studies-Expertin Brunnauer. Dazu gehöre eine ausreichende Kinderbetreuung. Außerdem plädiert sie für eine Quotenregelung: "Eine generelle Gleichstellungspolitik in den Unternehmen ist essenziell, um Geschlechterstereotype und die Marginalisierung von Frauen zu bekämpfen."

"Ich finde, Frauen sollten aber auch mehr netzwerken und sich mit Gleichgesinnten austauschen", sagt TU-Rektorin Seidler. Nicht zuletzt sei auch die Erziehung wichtig. Seidler selbst hat zwei Töchter. Bei der Erziehung sei ihr stets wichtig gewesen, ihnen eine gute Basisbildung zu ermöglichen, "damit ihnen dann alle Wege offenstehen - ob Beruf oder Studium." Jedoch sei auch die Gesellschaft gefragt: Die beste Erziehung nütze nichts, "wenn das soziale Umfeld keine Akzeptanz für das hat, was man den Kindern mitgeben will. Wir alle müssen mehr Offenheit lernen."