Weltweit werden Wolken mit Chemikalien "geimpft", um Regen zu erzeugen oder Hagel zu verhindern. Die dabei eingebrachten Substanzen dienen als künstliche Kondensationskeime. Eine häufig dafür verwendete Chemikalie ist Silberiodid (AgI). Wie die winzigen AgI-Kristalle in den Wolken genau wirken, war bisher nicht bekannt. Ein Wiener Forscherteam hat diesen Prozess nun auf atomarer Ebene geklärt und berichtet darüber im Fachjournal "Science Advances".
Für die Wolkenbildung und in weiterer Folge Niederschläge braucht es winzige Teilchen, an denen Wasser kondensiert. Sie können durch natürliche Prozesse, etwa als Staub, Sand oder Salz oder durch menschliche Aktivitäten, etwa Rußpartikel, in die Atmosphäre gelangen. Winzige Partikel werden auch absichtlich in die Wolken eingebracht, entweder vom Boden aus mit Raketen oder von Flugzeugen.
Oberfläche entscheidend für Eisbildung
Die Teilchen wirken als Kondensationskeim, an denen sich Wassermoleküle anlagern. So entstehen winzige Eiskristalle, die weiter wachsen, bis sie schwer genug sind, um als Regen oder Schnee zu Boden zu fallen. Durch das "Impfen" können Wolken beispielsweise über trockenen Gebieten zum Abregnen gebracht werden. Auch bei der Hagelabwehr will man durch mehr Kondensationskeime die Wolken zu einem frühen Abregnen bringen, damit es gar nicht erst zur Bildung von Hagelkörnern kommt. Durch die zusätzlichen Partikel können sich auch mehr Hagelkörner bilden, die dadurch kleiner bleiben und so weniger Schäden in der Landwirtschaft anrichten.
"Entscheidend für die Eisbildung ist die Oberflächenstruktur des Partikels", erklärte Jan Balajka vom Institut für Angewandte Physik der Technischen Universität (TU) Wien gegenüber der APA. Sein Team hat mit hochauflösender Mikroskopie und Computersimulationen untersucht, wie die Silberiodid-Partikel auf atomarer Ebene mit Wasser wechselwirken.
Mechanismus ist komplexer als gedacht
Silberiodid kann Oberflächen mit einer sechseckigen (hexagonalen) Symmetrie bilden, wie man sie auch von Schneeflocken kennt. Weil auch die Abstände zwischen den Atomen bei Eis- und AgI-Kristallen einander ähneln, habe man bisher darin die Erklärung dafür gesehen, dass Silberiodid ein so effizienter Kondensationskeim ist. Doch das Forschungsteam um Balajka zeigte, dass der Mechanismus komplexer ist.
In ihren Experimenten bei sehr tiefen Temperaturen im Ultrahochvakuum spalteten sie AgI-Kristalle, "um eine frische Oberfläche zu erzeugen, die weder Luft noch Feuchtigkeit oder Verunreinigungen ausgesetzt war und so die Untersuchung der tatsächlichen Atomstruktur ermöglicht", so der Forscher. Die Wissenschafter gehen davon aus, dass auch in der Praxis bei der "Wolkenimpfung" – wenn beim Verbrennen eines Gemisches etwa von Ethanol und Silberiodid kleine AgI-Partikel freigesetzt werden – solch frische Oberflächen entstehen.
Nur Silber-Oberflächen tragen zur Keimbildung bei
Bei der Spaltung entstehen frische Oberflächen, auf einem Teil besteht diese nur aus Silberatomen, am anderen Teil nur aus Jodatomen. "Zur Keimbildung trägt aber nur die Silber-Oberfläche bei", so Balajka. Auf der Silber-Oberfläche sind die Atome sechseckig angeordnet und bilden damit eine ideale Vorlage für das Wachstum einer Eisschicht. Auf der Jod-Oberfläche bilden die Atome dagegen eine rechteckige Struktur, die nicht zu den hexagonalen Eiskristallen passt.
Die Leiterin der Gruppe für Oberflächenphysik an der TU Wien, Ulrike Diebold, findet es "erstaunlich, dass man sich so lange mit einer eher vagen, phänomenologischen Erklärung für die Nukleationseffekte von Silberiodid zufriedengegeben hat". Dabei sei die Eiskeimbildung ein Phänomen von zentraler Bedeutung für die Atmosphärenphysik. Das neue Verständnis der Prozesse auf atomarer Ebene sei "essenziell, um herauszufinden, ob andere Materialien als effektive Keimbildner geeignet sein könnten", so Diebold in einer Aussendung.