Die Recherche wurde federführend von "Lighthouse Reports" und "Paper Trail Media" gemeinsam mit 14 Medien und 70 Journalisten, darunter aus Österreich "der Standard", durchgeführt. Unter anderem gab es ein Undercover-Gespräch mit den Verantwortlichen von First Wap bei der Fachmesse für Überwachungssoftware ISS World in Prag. Dabei gab sich ein Lighthouse-Journalist als Geschäftsmann aus, der unter anderem wissen wollte, ob Vertreter einer Mine im Niger mit der Software Umweltaktivisten ausspionieren könnten. Das Gespräch wurde heimlich mitgefilmt. Außerdem wurde eine Datenbank mit 15 Millionen Datensätzen im so genannten Deep Web ausgewertet. Diese führte zu mehr als 14.000 Handynummern, die in 168 Ländern hauptsächlich zwischen 2007 und 2014 mehr als 1,5 Millionen Mal abgefragt wurden. 1.500 dieser Nummern seien bisher konkreten Personen zugeordnet worden, mit einigen hundert Betroffenen sei gesprochen worden.
Das Produkt von First Wap, Altamides, wird auf der Homepage (1stwap.com) Telekom-Firmen, Unternehmen und Regierungen angedient - letzteren etwa als Spezialsoftware für "Standortverfolgungslösungen für staatliche Stellen ... die speziell auf Sicherheitsbehörden im Bereich der rechtmäßigen Überwachung zugeschnitten ist". "Hinter verschlossenen Türen prahlten die Führungskräfte von First Wap mit ihrer Fähigkeit, WhatsApp-Konten zu hacken, und lachten darüber, wie sie Sanktionen umgehen konnten", schreibt hingegen Lighthouse Media auf ihrer Homepage.
Heimlich aufgezeichnetes Gespräch
Die Rechtmäßigkeit bei der Anwendung soll nicht so genau genommen worden sein, ist der Vorwurf des Recherchekollektivs. So habe der Vertriebschef von First Wap, der Österreicher Günther R., bei dem heimlich aufgezeichneten Gespräch selber gesagt, er dürfte über den angedachten Deal nicht einmal Bescheid wissen, "sonst kann ich ins Gefängnis kommen", wie "Der Standard" zitiert. Zugleich habe er darauf hingewiesen, dass die Software in sanktionierte Länder wie Niger über das First-Wap-Büro in Indonesien geliefert werden könne.
First Wap betonte auf Nachfrage der Medien, das Unternehmen unterliege "strengen Verpflichtungen zur Vertraulichkeit" und könne sich daher zu "spezifischen Vorwürfen" nicht äußern. Man bestreite "jegliche illegale Aktivität im Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen" und weise alle Vorwürfe zurück. Das Unternehmen betreibe ein legales Geschäft und lege Wert auf Sicherheit sowie den Schutz von Daten. In Bezug auf die Situation in Prag spricht First Wap in einem weiteren Statement von "Missverständnissen", die zu "fehlerhaften Bewertungen" geführt haben könnten, so "der Standard".
Auch verweist First Wap darauf, dass das Unternehmen selbst keine Nachverfolgung durchführt und dass es "nach der Installation" von Altamides keine weiteren Kenntnisse darüber habe, wie das Produkt verwendet wird. First Wap betonte laut "Lighthouse Reports", dass seine Technologie von Strafverfolgungsbehörden zur "Bekämpfung von organisierter Kriminalität, Terrorismus und Korruption" eingesetzt wird.
Große Bandbreite der überwachten Personen
Die bisher identifizierten überwachten Personen umfassen eine große Bandbreite. Sie geht vom früheren Premier von Katar, Hamad bin Jassim Al Thani, und der Ehefrau des früheren syrischen Diktators Bashar al-Assad über Unternehmer wie Netflix Produzent Adam Ciralsky, Blackwater-Gründer Erik Prince, über den Austropop Star Wolfgang Ambros und Hollywood-Schauspieler Jared Leto, Anne Wojcicki, bis zum früheren BVT-Chef, Gert-René Polli, der nach seiner Zeit als oberster Verfassungsschützer zwischen 2011 und 2014 insgesamt 28 Mal über seine Nummer abgefragt - und 19 Mal erfolgreich lokalisiert wurde, wie "der Standard" schreibt. Aber auch hunderte nicht öffentlich bekannte Privatpersonen wurden offenbar mit Altamides verfolgt - teilweise in Form von Stalking auf persönlicher Ebene.
Der italienische Journalist Gianluigi Nuzzi wurde 2012 getrackt nachdem er ein Enthüllungsbuch über Korruption im Vatikan veröffentlicht hatte. Er sei nach Verkaufsstart innerhalb weniger Tage fast 200 Mal erfolgreich über "Altamides" lokalisiert worden, als nach wenigen Tagen die Vatikanische Polizei Nuzzis Quelle festnahm - den damaligen Kammerdiener des Papstes - endete die Dauerüberwachung des Journalisten.
Ein Schwerpunkt bei Red Bull Media House
In Österreich gebe es auffällig viele Nachverfolgungen von hochrangigen Mitarbeitern im Red Bull Media House, so "der Standard" am Mittwoch. Unter den über 20 ehemaligen und aktuellen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, darunter viele hohe Entscheidungsträger, sei auch Andreas Gall, der zwischen 2007 und 2013 heimlich lokalisiert worden sei, als er gemeinsam mit Dietrich Mateschitz Geschäftsführer des damals neu gegründete Red Bull Media House war.
Offen ist laut "der Standard", wer die Überwachung bei Red Bull in Auftrag gegeben hat. Das Unternehmen bestätigt zwar, mit First-Wap-Gründer Fuchs ein paar kleine Projekte umgesetzt zu haben. Es gebe aber keine Unterlagen, dass Red Bull oder dessen Gründer Mateschitz von den Überwachungen Kenntnis hatten, wie "der Standard" schreibt. Zugleich schreibt die Zeitung, "dass derart besondere Geschäfte oder Projekte wie jene mit First Wap an (Mateschitz) vorbeigelaufen wären - diese Vorstellung halten viel aus der Red-Bull-Welt für absurd".
FPÖ fordert Aufklärung, Innenministerium sieht keine Beziehungen
Etliche der Überwachten fordern nun Aufklärung. Das fordert auch die FPÖ, die einen Zusammenhang zwischen den nun bekanntgewordenen Vorwürfen gegen First Wap und dem Rücktritt von DSN-Chef Omar Haijawi-Pirchner herstellt. "Es drängt sich auch der Verdacht auf, dass hier eine illegale Vorstufe zur von den Systemparteien so heiß ersehnten 'Messenger-Überwachung' geduldet oder gar genutzt wurde", schreibt FPÖ-Sicherheitssprecher Gernot Darmann in einer Aussendung und stellt die Frage, ob "Innenministerium oder die DSN vielleicht sogar selbst Kunde bei diesem dubiosen Unternehmen" gewesen seien, "um die Fantasie des gläsernen Bürgers schneller voranzutreiben".
Das Innenministerium teilte in einer Stellungnahme auf APA-Anfrage mit, in der DSN seien "keinerlei Infos zu der genannten Firma, der angeblichen Spionagemethode oder den medial kolportierten Opfern bekannt". Die DSN habe keine Beziehung zu First Wap oder "ähnlichen Firmen". Das gelte auch für das Bundeskriminalamt, das weder Geschäftsbeziehungen oder Verträge habe. Es gebe auch keine Informationen dazu und daher keine Ermittlungen.
Die Grünen wollen im Parlament "Anfragen einbringen, um zu prüfen, ob es wirtschaftliche Beziehungen oder den Einsatz von Produkten dieses Unternehmens in österreichischen Ministerien gegeben hat", wie Digitalisierungssprecher Süleyman Zorba in einer Aussendung schreibt. Europa brauche "klare Grenzen und Transparenz in der Überwachungsindustrie. Es darf keine Grauzone geben, in der heimische Firmen oder Akteure Werkzeuge liefern, die später für Menschenrechtsverletzungen eingesetzt werden."
Unternehmen 1999 gegründet
First Wap wurde 1999 vom Tiroler Josef Fuchs gegründet. Zuvor arbeitete Fuchs für Siemens und sollte dann für den führenden Mobilfunkbetreiber Indonesiens den Telekom-Bereich ausbauen. Der ehemalige Siemens-Ingenieur fand eine kritische Schwachstelle im globalen Telekommunikationsnetz. Durch Ausnutzung eines veralteten, aber nach wie vor unverzichtbaren Kommunikationsprotokolls namens SS7 konnte er Telefonnetze dazu bringen, die Standorte ihrer Nutzer preiszugeben. Damit war First Wap Pionier bei der Handy-Ortung. Inzwischen habe das Unternehmen Altamides um Funktionen erweitert, mit denen es SMS-Nachrichten abfangen, Telefongespräche abhören und sogar verschlüsselte Messaging-Apps wie WhatsApp knacken kann, schreibt "Lighthouse Reports".
Kurz nach der - wie Fuchs bereits vor Jahren erklärte - sehr erfolgreichen Gründung seines Unternehmens begann für die sogenannten Tigerstaaten die Asienkrise. Die wirtschaftliche Krise in seiner neuen Heimat veranlasste Fuchs und seine Frau, mit der Indonesian Street Children Organisation eine wohltätige Organisation zu gründen. Diese sollte Straßenkindern Bildung ermöglichen, bis hin zum Studienabschluss. Die Stiftung entschädigt die Eltern, wenn ihre Kinder nicht mehr arbeiten, sondern zur Schule gehen. Darüber hinaus werden alle Kosten, etwa für Schuluniformen oder Schulgeld übernommen. Dazu flossen laut früheren Angaben von Fuchs rund ein Drittel seiner Unternehmensgewinne in die Stiftung, die sich mittlerweile um rund 2.500 Kinder und Jugendliche aus den Slums kümmert. 2021 erhielt Fuchs für sein Hilfsprogramm in Österreich das "Goldene Verdienstkreuz". Im Vorjahr starb Fuchs im Alter von 70 Jahren.