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"Geflüchtete Menschen als Asyltouristen zu bezeichnen ist letztklassig"

Der Traiskirchner Bürgermeister Andreas Babler (SPÖ) übte heftige Kritik an Bundeskanzler Karl Nehammer und Innenminister Gerhard Karner (beide ÖVP) für den Umgang mit Flüchtlingen und deren Unterbringung in den Bundesländern.

Das Erstaufnahmezentrum für Asylbewerber in Traiskirchen ist chronisch überlastet.
Das Erstaufnahmezentrum für Asylbewerber in Traiskirchen ist chronisch überlastet.

Eine faire Aufteilung von geflüchteten Menschen auf alle Bundesländer und mehr Unterstützung für jene Österreicherinnen und Österreicher, die sie aufnehmen - das forderten am Montag der Traiskirchner Bürgermeister Andreas Babler (SPÖ), die Migrationsforscherin Judith Kohlenberger, Lukas Gahleitner-Gertz von der Asylkoordination und Hans Gollowitzer, der im Burgenland ukrainische Flüchtlinge in seinem Haus einquartiert hat. Babler gab zunächst Einblick in die großteils desolate Situation im Erstaufnahmezentrum für Asylbewerber in seiner Gemeinde. Er berichtete von Kindern, die nicht einmal Socken haben, von inexistenter Sozialbetreuung, langen Menschenschlangen bei der Essensausgabe sowie der Tristesse eines Massenquartiers - und jetzt auch noch von Kälte. Und er übte scharfe Kritik an den politischen Verantwortlichen - von Bundeskanzler Karl Nehammer über Innenminister Gerhard Karner bis hin zur nö. Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (alle ÖVP). "Statt der vereinbarten 500 Asylbewerber haben wir seit Monaten fast 2000. In 572 Gemeinden in Niederösterreich sind es insgesamt 1553." Babler sprach am Montag im Rahmen einer Pressekonferenz in Wien von "vielen Menschen, die vom System obdachlos gemacht wurden", weil es in Traiskirchen keinen Platz mehr gab - und auch sonst nirgends. "Wir haben 800 Personen ein Dach über dem Kopf organisieren können." Fixfertige Flüchtlingsquartiere, wie etwa in Hollabrunn, seien aus politischem Unwillen nicht geöffnet worden: "Somit liegt der Verdacht nahe, dass das alles absichtlich inszeniert wird", so die Kritik des Traiskirchner Bürgermeisters.

"Eklatante Verantwortungsverweigerung"

Migrationsforscherin Judith Kohlenberger sieht grobe Fehler in der Migrationspolitik nicht nur in Österreich: "Das große Problem in Europa ist die Unmöglichkeit zur legalen Flucht und Einreise. Dadurch steigt natürlich die illegale Migration. Auch die Umverteilung hat bis dato noch nicht funktioniert. Einzig und allein Außengrenzschutz als Antwort ist zu kurzsichtig." Was Österreich betrifft, so ortet Kohlenberger eine "eklatante Verantwortungsverweigerung von Bund und Ländern". Man sei "sehenden Auges und mit Anlauf" in eine Krise geschlittert. Während die Zivilgesellschaft ihren Beitrag leiste, tue dies der Staat "nur sehr bedingt". Das führe, sagte Kohlenberger, zu einer aufgeheizten Stimmung: "Die Österreicherinnen und Österreicher wollen kein Chaos und keinen Kontrollverlust. Ich frage mich, ob man überhaupt an einer Lösung der sogenannten Flüchtlingsfrage interessiert ist?", stellte Kohlenberger in den Raum.

"Zusammenarbeit funktioniert nicht"

Für Lukas Gahleitner-Gertz von der Asylkoordination ist der Innenminister unglaubwürdig: "Karner hat hervorgehoben, dass die Zusammenarbeit zwischen Innenministerium und Hilfsorganisationen so gut funktioniert. Nahezu gleichzeitig haben diese auf die prekäre Situation hingewiesen - steigende Obdachlosigkeit, Teuerung. Nein, die Zusammenarbeit mit dem Innenministerium funktioniert nicht." Mehr als zwei Drittel der ukrainischen Kriegsflüchtlinge und mehr als die Hälfte aller anderen Geflüchteten seien privat untergebracht. "Die Bevölkerung will einspringen und helfen, wird aber von der Regierung alleingelassen. Versprochen wurde schon viel, angekommen ist noch gar nichts. Den privaten Quartiergebern geht die Luft aus, sie brauchen den Teuerungsausgleich jetzt und nicht irgendwann. Und es braucht Sanktionen und Strafzahlungen für jene, die sich nicht an die Vereinbarungen halten. Die Pläne liegen am Tisch, sie müssen nur umgesetzt werden", fordert Gahleitner-Gertz.

"Die Quartiergeber sind frustriert"

Eine klare Kompetenzverteilung und administrative Stabstellen in jeder Gemeinde wünscht sich Hans Gollowitzer. "Das würde sehr helfen." Der Burgenländer hat in seinem Haus zwei ukrainische Familien untergebracht. "Wir sind dadurch Teil des Ganzen geworden, wir haben den Krieg emotional im Haus." Gollowitzer erzählte von einem Alltag, der nicht ohne Widrigkeiten auskommt: "Es gibt zum Beispiel Spannungen, weil die eine Familie den Krieg nicht direkt erlebt hat und die andere traumatisiert ist. Auch der Deutschunterricht für die Kinder gestaltet sich schwierig. Weil die haben Angst, dass sie hierbleiben müssen, wenn sie zu gut Deutsch sprechen." In puncto Aufteilung wüssten die Bürgermeister "genau, wo Platz ist. Wenn wir gemeinsam wollen, dann gibt es genügend Quartiere, wo wir Geflüchtete unterbringen können", betonte Gollowitzer. Er selbst wolle und könne es sich leisten, Geflüchtete aufzunehmen: "Aber ich kenne Fälle, da wird es schwierig. Es wird auch mich hinsetzen, wenn ich nächstes Jahr die Stromrechnung bekomme." Es komme allerdings jetzt schon vor, dass Vertriebene weggeschickt würden, weil sich die Beherberger die Aufnahme schlicht nicht mehr leisten könnten. "Was gut wäre: Wenn der Mietzuschuss erhöht wird. Viele von uns sind frustriert. Wir haben viel Aufwand, aber wenig Unterstützung. Es dauert alles viel zu lange."

Viel Geld für Betreuung gefordert

Traiskirchens Bürgermeister Andreas Babler ergänzte den Forderungskatalog: "Wir brauchen viel Geld für die Betreuung und die Tagesstruktur. Damit Menschen nicht dazu verdammt sind, herumzulungern." In diesem Zusammenhang griff er den Bundeskanzler erneut an: "Wenn ich höre, dass Nehammer von Asyltourismus spricht, wenn Menschen über Berge flüchten, übers Mittelmeer, und bis zu 20 Tage kein warmes Essen bekommen, dann ist das letztklassig."