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Neue Ideen gegen Hausarztmangel: 120 neue Ausbildungen an Uni-Kliniken

Mit der Ausbildung von 120 zusätzlichen Hausärztinnen und Hausärzten sollte sofort an den Uni-Kliniken gestartet werden, fordert eine Plattform.

Der Kassenhausarztmangel ist enorm.
Der Kassenhausarztmangel ist enorm.

Gibt es in Österreich einen Ärztemangel? Nein. Gibt es in Österreich einen Mangel an Ärztinnen und Ärzten, die bereit sind, eine Kassenpraxis zu führen? Ja. Jedenfalls in drei Disziplinen: Allgemeinmedizin, Kinder- und Jugendheilkunde, Gynäkologie. Der stets genannte Grund: Stress pur.

Weniger Kassenärzte trotz steigender Bevölkerungszahl

Zur Illustration ein paar Zahlen: Im Jahr 2000 waren österreichweit 10.650 Allgemeinmedizinerinnen und -mediziner tätig, davon 4228 oder 39,7 Prozent als Kassenärzte. Bevölkerungszahl damals: acht Millionen. Und heute? Gibt es um fast 2300 Allgemeinmediziner mehr als zur Jahrtausendwende, konkret 12.942, von denen allerdings nur noch 3990 Kassenverträge haben. Das ist nicht einmal jede/r Dritte - bei einer Bevölkerungszahl von neun Millionen.

100.000-Euro-Startbonus für Allgemeinmediziner

Die paar Zahlen erklären, warum die Regierung nun als Sofortmaßnahme einen 100.000-Euro-Startbonus genau für Ärztinnen und Ärzte der Allgemeinmedizin, der Kinder- und der Frauenheilkunde erfunden hat, wenn sie - möglichst heuer noch - (wieder) einen Kassenvertrag abschließen. Ob's wirkt, wird man erst sehen, zumal es beim Abschluss eines Kassenvertrags um mehr als Geld geht; es geht - wie heutzutage bei allen Berufen - auch um Lebensqualität. Was wiederum der Grund dafür ist, warum die Regierung so stark auf den Ausbau der Primärversorgungseinheiten setzt, also auf Ärztegemeinschaften, die um weitere Gesundheitsberufe erweitert werden können (Physiotherapie, Wundmanagement etc.). Geteiltes Risiko, geteilte Verantwortung, Möglichkeit zur Teamarbeit: Das scheint den Nerv bei den Jungen zu treffen. Eine selbstständige Tätigkeit als Einzelkämpfer oder Einzelkämpferin kann sich laut Umfragen unter Jungmedizinern nur eine kleine Minderheit vorstellen - zugleich steht auch in der Ärzteschaft eine gewaltige Pensionierungswelle bevor. 17.400 der aktuell insgesamt rund 52.660 Ärztinnen und Ärzte treten im Lauf der kommenden Jahre in den Ruhestand.

Experten-Vorschlag zur Lösung des Hausarztmangels

Bei der gemeinnützigen Gesundheitsinitiative Praevenire sieht man die Regierung auf dem richtigen Weg - hat aber Ideen, um den Kassen-Hausarztmangel schneller zu lindern und einen zusätzlichen Turbo zum Ausbau der Primärversorgungseinheiten einzuschalten. Wilhelm Marhold, langjähriger Leiter des Wiener Krankenanstaltenverbunds (heute Gesundheitsverbund), schlägt vor, dass an den Universitätskliniken sofort mit der Ausbildung von Allgemeinmedizinern begonnen werden soll. Konkret solle der Bund den Uni-Kliniken als einmaliges Projekt die Ausbildung von 120 zusätzlichen Hausärzten finanzieren, was pro Person und Jahr rund 100.000 Euro koste. Fünf Jahre solle die Ausbildung dauern, so Marhold - und damit genau so lange wie die neue Facharztausbildung für Allgemeinmediziner, auf die sich Gesundheitsministerium, Bundesländer, Sozialversicherungen und Ärztekammer vergangenen Herbst nach vielen Jahren der Diskussion geeinigt haben, und die schrittweise umgesetzt wird.

Finanzierbare Ausbildung an Uni-Kliniken

Der ehemalige Krankenhausmanager sieht in dem Vorschlag nur Vorteile: Er sei mit zwölf Millionen Euro pro Jahr fürs Gesundheitsministerium finanzierbar, die 120 angehenden Allgemeinmedizinerinnen und -mediziner bekämen an den Uni-Kliniken (Wien, Graz, Linz, Salzburg, Innsbruck) eine hervorragende Ausbildung, zudem sei auch den Kliniken geholfen, da sie zusätzliche Stationsärzte quer durch die Fächer bekämen. Und fertig wären die an den Uni-Kliniken ausgebildeten Allgemeinmediziner genau dann, wenn die Pensionierungswelle richtig in Fahrt komme, so Marhold, der daran erinnert, dass es ein solches Projekt schon einmal gab - unter Gesundheitsministerin Ingrid Leodolter (SPÖ) in den 1970er-Jahren. Freilich müsse für das Projekt ein "gutes Curriculum" her, das auch dafür sorge, dass die 120 Jungmediziner in Facharztausbildung nicht "als Ärzte zweiter Klasse gesehen werden".

Attraktivierung der Primärversorgungseinheiten

Und was nützen mehr noch so gut ausgebildete Allgemeinmediziner, wenn sie dann nicht als Kassenärzte tätig sein wollen? Alexander Biach, als früherer Chef des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger (heute Dachverband) ebenfalls einer der Praevenire-Experten, glaubt an den Siegeszug der Primärversorgungseinheiten, regt aber eine zusätzliche Attraktivierung an. Auch selbstständige Ambulatorien (Labors, physikalische Institute etc.) sollten Primärversorgungseinheiten sein oder mit ihnen gemeinsame Sache machen können, womit im niedergelassenen Bereich "Mini-Spitäler" mit Kassenverträgen entstünden. Das würde die Bildung multiprofessioneller Teams und die von Jungen häufig gewünschte Anstellung erleichtern.

Herausforderungen: Juristische Hürden und Zuständigkeit

Der Vorschlag ist nicht unheikel, sind doch selbstständige Ambulatorien juristisch Krankenanstalten, womit ihre Bewilligung in die Kompetenz der Länder fällt - während Primärversorgungseinheiten Sache der Sozialversicherung, also der Kassen sind. Zudem wären gleich zwei Kammern involviert, die Wirtschafts- und die Ärztekammer.