Neue Proteste in Israel nach Votum für Justizreform
Nach dem Votum des israelischen Parlaments für eine umstrittene Justizreform haben sich die Proteste ausgeweitet. Die Ärztekammer des Landes begann am Dienstag einen 24-stündigen Streik. Am Nachmittag erklärte ein Gericht diesen allerdings für unzulässig. In der Nacht auf Dienstag hatte es massive Proteste gegeben. An mehreren Orten setzte die Polizei Wasserwerfer ein. Es gab Dutzende Festnahmen, mindestens 32 Menschen wurden verletzt.
BILD: SN/APA/AFP/JACK GUEZ
Massive Proteste in Israel
Ein Arbeitsgericht in Israel verbot am Dienstagnachmittag einen Streik von Medizinern aus Protest gegen die umstrittene Justizreform. Die Richter gaben damit am Dienstag einem Antrag der Regierung statt, wie israelische Medien meldeten. Die Regierung hatte demnach das Ende der Arbeitsniederlegung gefordert. Das zuständige Arbeitsgericht ordnete den Berichten zufolge eine einstweilige Verfügung an. Ärzte, Schwestern und weiteres medizinisches Personal müssen nun - etliche Stunden nach Streikbeginn - ihre Arbeit wieder aufnehmen.
Am Montag hatte Israels Parlament ein Gesetz verabschiedet, das die Handlungsmöglichkeiten des Obersten Gerichts einschränkt. Es ist Teil eines größeren Pakets der von Benjamin Netanyahu angeführten rechts-religiösen Regierung, das von Kritikern als Gefahr für Israels Demokratie eingestuft wird. Die Koalition wirft der Justiz dagegen zu viel Einfluss auf politische Entscheidungen vor.
Israels früherer Ministerpräsident Ehud Olmert sprach von einer "ernsten Bedrohung". Die Regierung habe beschlossen, das Fundament der Demokratie zu untergraben. "Und das ist nicht etwas, das wir akzeptieren oder tolerieren können", sagte Olmert in einem Interview mit dem Sender "Channel 4 News". So etwas habe es noch nie gegeben, warnte er. "Wir gehen in einen Bürgerkrieg."
Oppositionsführer Yair Lapid bat Reservisten darum, sich entgegen einer Drohung zunächst doch weiter zum Dienst zu melden. Sie sollten die Einsprüche gegen die Reform beim Obersten Gericht abwarten. Eine davon war von der Anwaltskammer des Landes eingereicht worden.
Unklar war zunächst, wie das Oberste Gericht reagieren wird. Die Präsidentin Esther Hayut brach einen Besuch in Deutschland ab, um sich in Israel damit zu befassen. Medienberichten zufolge könnte die Prüfung der Petitionen jedoch mehrere Monate dauern.
Nach Angaben des Rechtsexperten Aeyal Gross von der Universität Tel Aviv würde das Oberste Gericht komplett neues Terrain betreten. In Israel sei bisher noch nie ein Grundgesetz aufgehoben worden, nur reguläre Gesetze, die gegen das Grundgesetz verstoßen, schreibt Gross. Der Staat Israel hat keine schriftliche Verfassung und fußt stattdessen auf einer Sammlung von Grundgesetzen.
Sollte das Gericht dennoch dagegen vorgehen, warnt Gross vor möglichen Konsequenzen. "Sollte dies der Fall sein und die Regierung sich weigern, dem Urteil Folge zu leisten, könnte dies zu einer regelrechten Verfassungskrise führen." Denkbar wäre demnach, dass das Gericht erst mal abwartet, bis die Regierung eine eigentlich "unangemessene" Entscheidung fällt und dann eingreift.
Österreichs Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) hat sich in einer ersten Reaktion auf die Verabschiedung eines wichtigen Teils der Justizreform vor allem über die Proteste besorgt gezeigt. Es sei "besorgniserregend, dass die Proteste zu eskalieren scheinen", sagte sie am Dienstag in Wien vor dem Sommerministerrat. Israel sei eine Demokratie, ein Parlamentsbeschluss sei gefallen, es gebe keine Alternative zur Rechtsstaatlichkeit. "Wir können uns von außen keine abschließende Meinung anmaßen", betonte Edtstadler. Man werde die Situation weiter beobachten.
Die Reform hat Israel tief gespalten. Einer vor der Abstimmung veröffentlichten Umfrage zufolge waren 46 Prozent der Israelis gegen die Reform, 35 Prozent befürworteten sie und 19 Prozent waren unentschlossen. Auch die Wirtschaft ist betroffen. Direkt nach dem Votum verlor die Börse in Tel Aviv und die Landeswährung Shekel gab zum Dollar nach. Die Gewerkschaft Histadrut hat mit einem Generalstreik gedroht. Während ausländische Investoren ihr Geld abziehen, haben 68 Prozent der israelischen Startups einer Studie zufolge Maßnahmen ergriffen, um Teile ihres Geschäfts außerhalb des Landes zu verlegen. Finanzminister Bezalel Smotrich versuchte am Dienstag im Armeeradio zu beschwichtigen. "Der Versuch, dies als das Ende der Demokratie darzustellen, ist einfach falsch", sagte er.
Die Pläne der Regierung belasten auch die Beziehungen zu den wichtigsten Verbündeten. Die US-Regierung nannte das Votum am Montag "unglücklich". Großbritannien rief Israel am Dienstag auf, die Unabhängigkeit der Justiz zu gewährleisten. Die Regierung in Washington hatte Netanyahu gedrängt, bei einer Justizreform einen breiten Konsens anzustreben. In monatelangen Verhandlungen zwischen Regierung und Opposition gab es jedoch keine Einigung. Netanyahu war Ende Juni den Gegnern der Reform entgegengekommen und hatte den umstrittensten Teil der Reform fallengelassen. Dieser hätte es dem Parlament ermöglicht, Urteile des Obersten Gerichtshofs aufzuheben.