Der Bundespräsident nahm Stellung …
Zur Sinnhaftigkeit, als Präsidentschaftskandidat 6000 Unterschriften sammeln zu müssen:
Ich habe festgestellt, dass viele Leute gar nicht wissen, dass es diese Regel gibt und dass auch der amtierende Bundespräsident das braucht. Ich glaube, dass diese Regel einen Sinn hat. Und zwar, um ein wenig den Kreis der Kandidaten zu beschränken auf jene, die ein Mindestmaß an Erfolgsaussicht haben.
Über seine Erfahrungen als Unterschriftensammler in Salzburg:
Wenn ich ganz ehrlich bin: Die Leute, die mich mögen, möchten dann natürlich ein Selfie haben, oder es gibt die eine oder andere Autogrammjägerin. Das Wichtige ist der Kontakt mit den Leuten. Das macht mir auch große Freude. Es ist schön zu sehen, wenn sich jemand freut, mich zu sehen. Dann freue ich mich auch.
Zur Frage, ob für ihn "das Maß voll" sei, was die Rekordzahl an Ministerangelobungen während seiner Amtszeit betrifft:
Das Problem liegt in der notwendigen Kontinuität der Politik. Jeder Minister, der neu anfängt, muss erst einmal den Betrieb und die handelnden Personen kennenlernen. Das dauert ja alles. Insofern verliert man mit jedem Ministerwechsel auch Zeit. Das ist aber nicht mein großes Problem als Bundespräsident. Wir hatten ganz andere Situationen, die zum ersten Mal in der hundertjährigen Geschichte der Republik stattgefunden haben. Zum Beispiel war noch nie ein Misstrauensantrag gegen eine Bundesregierung erfolgreich. 2019 war er erfolgreich. Oder: Noch nie hatten wir die Situation, dass der Bundespräsident ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs exekutieren musste. Das waren interessante und lehrreiche Dinge, wo man viel Erfahrung dazugewonnen hat.
Zur Frage, welche Einflussmöglichkeit er bei Ministerbestellungen habe:
Der Bundespräsident ist bei Ministerbestellungen auf den Vorschlag des Kanzlers oder der Kanzlerin angewiesen. Einen Vorschlag kann ich auch ablehnen. In der Praxis versuche ich natürlich, wenn ich das Gefühl habe, die eine oder andere Person nicht in der Regierung zu wollen, das informell im Vorfeld zu klären und zu sagen: Schlagt mir bitte diese Person nicht vor, das würde uns alle in eine unangenehme Situation bringen. Es ist kein Geheimnis, dass ich seinerzeit bei der Bildung der türkis-blauen Regierung zum Beispiel signalisiert habe, dass ich Johann Gudenus nicht als Innenminister akzeptieren würde.
Zur Frage, ob er eventuell auch noch einen vierten Bundeskanzler angeloben müsse:
Das hoffe ich nicht, das sage ich ganz offen. Das ist eine heikle Situation. Ich habe schon deutlich gemacht: Derzeit, in diesen Wochen, hoffe ich, dass jeder die Einsicht hat, dass wir eine große Krise durchleben. Eine Kumulierung von einzelnen Krisen, die ich in dieser Schärfe noch nicht erlebt habe. Wir haben einen Krieg, wir haben eine Energiekrise mit steigenden Preisen, die Pandemie ist noch nicht vorüber. Die Klimakrise verschwindet nicht von allein, sondern ganz im Gegenteil. Also bitte in der jetzigen Situation: Spielen wir nicht mit der Zukunft Österreichs, lassen wir die Personalspekulationen sein. Kümmern wir uns gemeinsam mit den Landeshauptleuten und Sozialpartnern um diese unmittelbar anstehenden Probleme.
Zu seiner Zufriedenheit mit der Bundesregierung:
Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Die Bundesregierung hat ein Paket von 28 Milliarden geschnürt, um dafür zu sorgen, dass die Menschen mit den Preissteigerungen fertigwerden. Aber wenn Sie fragen, wie und wann das Geld die Menschen erreicht - ich denke, weder Sie noch ich könnten das beantworten. Das heißt, wir haben ein Kommunikationsproblem. Politik ist nicht nur die Sacharbeit, auch die Kommunikation mit den Menschen ist wesentlich.
Zur Frage, ob der soziale Friede in Österreich gesichert sei:
Wir haben extreme Unterschiede in der Vermögensverteilung. Die Schere ist in den letzten Jahrzehnten deutlich auseinandergegangen. Wir sehen das auch bei den Einkommen. Das ist ein Thema, das Ökonomen und sozialpolitisch Interessierte seit Langem beschäftigt: Wie steuern wir dagegen? Wir haben im internationalen Vergleich sehr geringe Vermögenssteuern, darüber kann man diskutieren. Aber das Wichtigste ist, dass wir den Menschen, die sich schwertun mit den steigenden Preisen - der typische Mindestrentner, die Alleinerzieherin -, entsprechend unter die Arme greifen. Das ist jetzt viel wichtiger und akuter, als darüber zu diskutieren, ob wir eine Erbschaftssteuer brauchen. Es darf sich niemand alleingelassen und im Stich gelassen fühlen.
Van der Bellens Appell: "Niemanden im Stich lassen"
In zwei Monaten findet die Wahl zum Bundespräsidenten statt. SN-Chefredakteur Manfred Perterer diskutierte mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen über den Krieg, die Inflation, die Teuerung, den Klimawandel und den aktuellen Wahlkampf.

BILD: SN/ROBERT RATZER
SN-Chefredakteur Manfred Perterer stellte die Fragen.